Nichts weniger als eine neue Ära erhoffen sich Fans, Klub und Mannschaft bei Real Madrid vom neuen Trainer Zinédine Zidane. Das Debüt gegen Deportivo La Coruña ist geglückt, Real siegt 5:0.
Zinédine Zidane ist noch schlanker geworden seit seinem Abschied als Fussballer. Kein Wunder, dass der Mann nebenher auch modelt. Schwarzer Anzug und Krawatte, weisses Hemd und braune Schuhe sind die Requisiten seiner Eleganz an einem besonderen Abend. Fast zehn Jahre nach seinem letzten Spiel für Real Madrid kehrt er als Trainer ins Estadio Santiago Bernabéu zurück.
Schon vor Beginn des Spiels gegen Deportivo La Coruña macht alles den Eindruck, als nehme ein Auserwählter endlich seinen vorbestimmten Platz ein. Als das Video zu Placido Domingos Schmalzhymne «Hala Madrid» auf den Stadionleinwänden läuft, ist schon eine neue Schlusssequenz eingearbeitet: wie Zidane sich in der Umkleidekabine die Krawatte richtet und dann in den Spielertunnel hinausgeht, ein Mann, allein vor dem Gang in das Licht des Stadions; und idealerweise in das Licht einer neuen Ära.
Zidane zweifelt nicht
Nicht weniger soll er ja erreichen. Schon immer hat Präsident Florentino Pérez zu Zidane ein Vertrauensverhältnis gehabt wie zu keinem anderen seiner «Galaktischen» der ersten Generation, jenem Team, das den Fussball endgültig in der Glamourindustrie platzierte. Als der Franzose zunächst eine Trainerlaufbahn ausschloss, hielt ihn sich Pérez als persönlicher Berater, und als er vor zweieinhalb Jahren sagte, er würde es jetzt doch mal gern versuchen, bekam er einen Posten als Assistent von Carlo Ancelotti und dann die zweite Mannschaft. Die einzigen Zweifel, die es für den Präsidenten gab: Ist es noch zu früh? Ist der Wechsel während der Saison zu riskant?
Zidane selbst zerstreute sie während der vergangenen Wochen. Er sei bereit, liess er durchsickern. «Ich bin glücklich und ich fühle mich stark», bestätigte er am Tag vor dem Spiel. Nun hört er, wie sein Name vor dem Spiel mehr Applaus erhält als der jedes seiner Spieler.
Dass «sogar die Bäume des Paseo de la Castellana (die Madrider Prachtachse, an der auch das Bernabéu liegt, d. Red.) mit ihren nackten Zweigen und ihrer grünen Seele die Ankunft Zidanes begrüssen», wie ein Lyriker der Sportzeitung «Marca» dichtete, kann an dieser Stelle zwar nicht zweifelsfrei bestätigt werden. Was jedoch auffällt: Die Zuschauer, sogar die Klubangestellten haben ein Lächeln auf dem Gesicht.
Nach dem Abpfiff wird es noch grösser sein. Real fegt den Tabellenachten Deportivo La Coruña mit 5:0 aus dem Stadion. Es windet und regnet, es ist, als würde die ganze Pein der bleiernen Zeit unter Vorgänger Rafael Benítez mit einem Spiel abgewaschen.
Das Phlegma abgeschüttelt
Nur am Anfang spürt man kurz die Zweifel, das Phlegma der letzten Wochen. «Man hätte ja ein Madrid erwarten können, das aus den Startlöchern schiesst, aber so war es nicht», sagt Gäste-Trainer Víctor Sánchez später. Seine Mannschaft, eine der Überraschungen der Saison, zeigte anfangs die bessere Spielanlage, hat durch ihren Shooting-Star Lucas Pérez (12 Tore, die meisten eines Spaniers) die erste grosse Chance und gestaltet die Partie phasenweise völlig offen. Aber die Tore schiesst Madrid.
Zunächst durch Karim Benzema, den Landsmann und Liebling Zidanes, dem der neue Trainer vor Anpfiff als letztem noch etwas ins Ohr flüstert. Nach einer Viertelstunde verlängert der Mittelstürmer mit der Hacke einen Schuss von Sergio Ramos. Ein diskutabler Treffer, weil Gareth Bale aus einer Abseitsposition dem Deportivo-Keeper German Lux womöglich die Sicht versperrt. Aber auch unter Benítez hat Real zuletzt viele diskutable Treffer erzielt. Befreiend wirkten sie trotzdem nicht.
Das ist diesmal anders. In der 25. Minute applaudiert Zidane, sonst eher sparsam mit seinen Gesten, am Seitenrand einer klugen Spieleröffnung von Benzema nach aussen zu Dani Carvajal. Es passt ins Bild, dass aus diesem Angriff das 2:0 durch Gareth Bale fällt. Zidane, der Connaisseur. Zidane, der Prophet.
Jubel während und nach dem Spiel, auf und neben dem Platz. Zidanes Einstand als Trainer bei Real Madrid ist geglückt. Im Bild feiern Gareth Bale und Teamkollege Toni Kroos einen Treffer. (Bild: Reuters/SUSANA VERA)
Zidane, für den alles läuft an diesem Abend, denn ausgerechnet Bale wird mit insgesamt drei Toren zum Mann des Abends. Der einzige der Stars, der sich unter Benítez wohl fühlte, der einzige, der dessen Abgang bedauerte – selbst er spielt besser als vorher.
«Wir haben gar nicht so viel anders gemacht», sagt der Waliser später nach der Dusche, den Ball für seinen Hattrick unter dem Arm. Doch das stimmt nicht ganz. 20 Minuten vor Schluss etwa läuft Bale bis in den eigenen Strafraum zurück und verhindert durch ein Tackling das 1:4-Anschlusstor für La Coruña.
Zuckerbrot und Peitsche
«Es darf keine ein, zwei oder drei Spieler geben, die nicht verteidigen», sagte Zidane am Tag vor dem Spiel. Eine klare Anspielung auf die BBC, das Sturmtrio aus Bale, Benzema und Cristiano Ronaldo, an deren selektiver Abwehrarbeit die Mannschaft seit Jahren verzweifelt. Bei seiner ersten Pressekonferenz am Dienstag hatte Zidane dem Dreieck überraschend explizit eine Stammplatzgarantie ausgestellt, nun nahm er es in die Pflicht. «Zuckerbrot und Peitsche» – so hat er in der Zeit als Ancelotti-Assistent mal selbst die ideale Herangehensweise für einen Trainer definiert.
Nach den undefinierten Benítez-Monaten sehen die Zuschauer beides: mehr Heiterkeit, aber auch mehr Engagement. Den ersten Szenenapplaus gibt es nach einer guten halben Stunde für energische Ballrückeroberungen von Luka Modric, sowieso ein Liebling des Bernabéu, weil er nicht nur galaktisch spielen, sondern auch so kämpfen kann.
Wenig später folgt nach Tippkickflanke von Bale und Pfostenkopfball von Ronaldo eine Ovation für die Gesamtdarbietung; eine spontane Zufriedenheitserklärung, wie man sie in diesem hyperkritischen Stadion schon lange nicht gehört hat.
Zidane bringt Fussball, wie ihn die Fans sehen wollen.
Fussball, wie man ihn im Bernabéu sehen will, hatte Zidane angekündigt. Fussball, wie man ihn hier sehen will, bekamen die Fans geliefert. Generös in der eigenen Abwehr, sicher. Aber eben auch mit magischen Momenten nach vorn.
Als er nach dem Spiel zur Pressekonferenz kommt, füllt sein Lächeln den ganzen Raum. Zidane hat noch nie viele Worte gebraucht, um viel Ausstrahlung zu haben. «Ganz einfach, ich bin happy, das ist eigentlich alles», sagt er zu seinem Debüt. Als entscheidende Qualität seiner Elf hebt er immer wieder die Einstellung hervor. Das hat sein Ex-Chef Ancelotti auch immer gemacht. Dass diese Mannschaft guten Fussball spielen kann und muss, versteht sich für sie von selbst.
Im Fanshop von Real Madrid, wo sie viel vom Marketing verstehen, wird seit ein paar Tagen ein Trikot mit Zidanes Namen und seiner alten Nummer Fünf angeboten. Der Verkauf dürfte nicht schlechter laufen in den nächsten Tagen, und den Rest wird man in diesen wenigen Spielen sehen, die über die Titel entscheiden. Gegen Barça und Atlético etwa, die in der Tabelle vor Real liegen, trotz je einem Spiel weniger.
Zidane hat das Team durch seine Aura wiederbelebt. Ab jetzt, sagt er, will er seine Konzepte einbringen: Weil Madrid aus dem Pokal ausgeschlossen wurde, bleibt unter der Woche viel Raum zum Üben. «Wir haben noch viel zu verbessern», erklärt der neue Trainer, und lächelt wieder dieses so scheue wie gewinnende Lächeln. «Aber geben wir der Sache ein bisschen Zeit. Ich habe ja gerade erst angefangen.»