«Der schimpft», sagt Emanuel Trueb und zeigt nach oben. Im blattlosen Geäst der Rosskastanie hat er einen Kleiber entdeckt, der lauthals zwitschert. «Diese Bäume sind etwas vom Wertvollsten, was wir gewissen Vögeln an Lebensraum bieten können.» Trueb, der oberste Stadtgärtner Basels, erzählt die Geschichte der ältesten Bäume der Stadt.
Die drei Rosskastanien auf der Pfalz stehen seit etwa 1740 dort. Das Datum hat Trueb anhand von Kupferstichen rekonstruiert. Möglich also, dass Napoleon Bonaparte bereits unter den Bäumen stand, als er 1798 in Basel weilte. Auch Johann Peter Hebel und Friedrich Nietzsche mögen schon darunter flaniert haben.
Jetzt steht Trueb vor einem der Bäume. Er hält seine Hände an den Stamm, als ob er zum Baum Kontakt aufnehmen wollte. «Mit den türkischen Reitertruppen kamen die weissblühenden Rosskastanien im 16. Jahrhundert nach Mitteleuropa», erklärt der 56-Jährige. Die Kastanien dienten als Pferdemedizin, daher der Name.
«Die Rosskastanie war über die vergangenen 300 Jahre der ideale Baum für die Stadt. Jetzt zeigt sich aber, dass viele Exemplare krank werden – wegen vermehrter Trockenheit, ständigen Bauarbeiten im Strassenbereich, Auftausalz und Blattpilzen.» Die Rosskastanien, von denen in Basel-Stadt über 2000 stehen, sind überdies seit Jahren von der Kastanien-Miniermotte befallen.
Krank werden auch immer mehr Platanen, die die Stadt in den 1960er- und 1970er-Jahren en masse pflanzte. Eine Pilzkrankheit nimmt den Bäumen jede Kraft, bis sie eingehen und aus Sicherheitsgründen gefällt werden. Die Konzentration auf wenige Baumarten hat sich rückblickend nicht gelohnt. Deshalb setzt die Stadtgärtnerei heute auf Diversität in der Baumgesellschaft.
Die ältesten Basler Bäume sind schwer krank. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie nicht mehr gesichert werden können.
Jeden Herbst fällt die Stadtgärtnerei kranke Bäume und pflanzt neue an deren Stelle. Die kranken Rosskastanien und Platanen werden mit ganz unterschiedlichen Bäumen ersetzt, vorwiegend mit Arten aus dem Süden, die mehr Hitze und Trockenheit aushalten.
Die Kastanien auf der Pfalz stehen zwar noch. Die Eisenstangen, die die Baumkronen stützen, deuten aber darauf hin: Die ältesten Bäume Basels sind schwer krank. Im Innern der Stämme klaffen grosse Löcher. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man die Äste nicht mehr ausreichend stützen kann und der Aufwand zu gross wird, um die Bäume zu sichern.
Damit wolle man aber so lange wie möglich warten, sagt Trueb. «Natürlich können wir nicht ausschliessen, dass wir die Bäume irgendwann aus Sicherheitsgründen fällen müssen.»
1992, als Trueb noch nicht bei der Stadtgärtnerei war, wurde einer der uralten Bäume auf der Pfalz gefällt, um für das 600-Jahr-Jubiläum «Gross- und Kleinbasel» eine Seilbahn über den Rhein zu spannen. «Aus Jux und Dollerei», ärgert sich Trueb heute.
Aber nicht nur auf der Pfalz stehen Truebs Pflegekinder. Wir fahren zu den nächsten Bäumen am Theodorsgraben. «Ich kenne praktisch alle Bäume», ruft Trueb, während wir mit dem Velo über die Wettsteinbrücke radeln.
Von der Brücke aus zu sehen ist ein Ginkgo aus der Anfangszeit der Theodorsgrabenanlage. Der Stamm ist tief verzweigt, die Blätter leuchten gelb. Daneben stehen zwei Rotbuchen, deren Blätter noch nicht ganz gelb sind. Diese Bäume gehören zu den älteren Semestern in der Stadt. Parkbesucher, Jogger und Flaneure merken das kaum, wenn sie durch die Grünanlage laufen.
Neben den Rotbuchen steht eine Eibe, die rot markiert ist. Sie muss zurückgeschnitten oder gar gefällt werden, weil ihre Äste die benachbarten Bäume stark bedrängen. «In solchen Situationen müssen wir Prioritäten setzen: Welchem Baum geben wir den Vorrang?» In diesem Fall sei die Entscheidung aber klar, erklärt Trueb: Der alte Baum nebenan hat Priorität.
Hohe Ansprüche an den Baumbestand
Es gibt aber auch noch andere Bedenken. Thema sei zum Beispiel, dass die Bäume und vor allem Sträucher nicht zu dicht werden. Ansonsten fühlten sich die Leute nicht mehr sicher, weil sich jemand darin verstecken könnte. Anwohner setzten sich deshalb am Theodorsgraben dafür ein, dass die Anlage licht bleibe und dennoch Abschirmung biete.
An der Solitude, unserer nächsten Station, stehen zwei Eichen. Trueb blickt ernst in die Baumkronen: «Was Sie hier sehen, ist ein Abbau auf Zeit.» Die beiden Eichen, eine amerikanische und eine heimische, sind aus dem 19. Jahrhundert. Für das Laienauge sehen sie eigentlich gesund aus.
Daneben, parallel zum Roche-Gebäude, befindet sich eine Lindenallee aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Bäume standen einst in einem Herrschaftsgarten der Familie Hoffmann, bis sie in den Besitz von Basel-Stadt kamen. In Privatgärten konnten sich bis heute einige sehr alte Bäume halten, zum Beispiel im Quartier Am Ring.
Bis 1860 war das Thema Bäume und Grün im öffentlichen Raum praktisch inexistent, erklärt Trueb. Grünflächen gab es in der Stadt bis dahin nur am Petersplatz, auf der Pfalz und in den Stadtteilfriedhöfen – wovon heute nur noch der Wolfsgottesacker als Begräbnisstätte übrig geblieben ist.
Die Stadt war im 19. Jahrhundert noch so klein und umgeben von Wald, Landwirtschaft und Obstgärten, dass die Bewohner nicht weit gehen mussten, um ins Grüne zu gelangen. Klein war damals auch das Bedürfnis nach Grünflächen für Freizeit und Erholung innerhalb der Stadt. Die Menschen hatten wenig Freizeit. Parkanlagen waren meist privat und wurden von der Oberschicht genutzt.
Heute sind die Grünflächen beliebt. Für viele Stadtbewohner stehen sie für Lebensqualität. Entsprechend pflegt der Kanton seine Bäume. Seit 2000 gibt es ein Gesetz zum Schutz von Bäumen. Wird ein Baum gefällt, der über 90 Zentimeter Stammumfang misst, muss ein neuer gepflanzt werden.
Das Baumschutzgesetz kann nicht verhindern, dass der Baumbestand langsam zurückgeht.
2009 kam eine Ausnahmeregelung hinzu: Wenn eine Ersatzpflanzung nicht möglich ist, muss eine Ersatzabgabe geleistet werden. Die kommt gemäss Trueb meist dann zum Zuge, wenn im Rahmen eines Bauprojekts zu wenig Platz da ist, um neue Bäume zu pflanzen. Im Schnitt sei das drei- bis fünfmal pro Jahr der Fall. Der Bauherr zahlt dann 3500 Franken pro Baum, der gefällt und nicht mit einem neuen Baum ersetzt wird.
Das Baumschutzgesetz verhindert, dass die Bäume auf öffentlichem und privatem Grund einfach so gefällt werden. Es kann aber nicht verhindern, dass der Baumbestand in der Stadt langsam zurückgeht.
Problematische Fällungen
Der Grüne Michael Wüthrich kritisiert, dass das Gesetz im Zuge von Bauprojekten häufig ausgehebelt werde. «Im Bau- und Verkehrsdepartement gibt es eine Tendenz, bauliche Verdichtung höher zu gewichten als den Schutz von Bäumen.» Wenn ein Baum Hausbewohnern die Sicht nehme, komme es auch zu Fällungen von gesunden Bäumen, vermutet Wüthrich.
Belegen lässt sich das nicht. Eine Auswertung, die die Stadtgärtnerei für die TagesWoche erstellte, zeigt: In den letzten zehn Jahren gab es etwas mehr Fällungen als Neupflanzungen. Auf öffentlichem Grund nimmt die Zahl der Bäume dank vielen Neupflanzungen zu. Im privaten Bereich ist der Saldo leicht negativ.
Insgesamt wurden auf öffentlichem und privatem Grund seit 2006 genau 73 Bäume mehr gefällt als gepflanzt. Die folgende Grafik zeigt, wie sich der Baumbestand in den einzelnen Jahren jeweils im Verhältnis zum Jahr 2006 entwickelt hat:
In der Stadt stehen insgesamt rund 60’000 Bäume. Im Vergleich dazu wirkt der Verlust von 73 Bäumen verschwindend klein. Problematisch für das Basler Ökosystem ist allerdings, wenn zu viele alte Bäume mit jungen ersetzt werden.
Eine alte Eiche hat etwa 600’000 Blätter und verdunstet im Durchschnitt rund 34 Liter Wasser pro Tag. Ein Jungbaum kommt an diese Zahlen nicht annähernd heran. «Ein Altbaum erzielt etwa 20’000-mal mehr Klimawirkung als ein Jungbaum», so Trueb.
Der Stadtgärtner ist aber überzeugt: Die Biomasse bei Basler Bäumen nimmt über die Jahre hinweg zu. Das ist seine Einschätzung, Zahlen gibt es dazu keine.
Einer der ältesten Bäume steht auf dem Theaterplatz. Er ist ein spezielles Exemplar und einer von Truebs Lieblingsbäumen. Die Platane stammt von 1875, als das alte Stadttheater gebaut wurde. Der Baum ist älter als die meisten umliegenden Gebäude.
Faszinierend ist für Trueb, dass der Baum in einer denkbar naturfeindlichen Umgebung prächtig gedeiht. Denn der Wurzelraum des Baumes ist durch das danebenliegende Parkhaus enorm begrenzt. Truebs Vermutung: Der Baum hat bis zum Birsig, der daneben unterirdisch fliesst, Wurzeln geschlagen und bezieht von dort überlebenswichtiges Wasser. Für Trueb «ein Wunder».