Joel Mayer tänzelt an einem Ninja vorbei. In seinem Kaffebecher herrscht gefährlicher Wellengang. Auch der Ninja will Kaffee. Der Ork hinter ihm umklammert eine Cola und versucht, seine blutverschmierte Axt aus Pappmaché nicht auf den Boden plumpsen zu lassen.
«Zuallererst eine Zigi». Mayer tritt aus dem Kioskladen auf den Messeplatz. Die braunen Knopfaugen schwirren hektisch über zwei Dutzend Elfen, Dämonen und manchmal einfach nur Menschen, die sich um den Shop versammelt haben. Mayer raucht in schnellen, kurzen Zügen. «Ehrlich gesagt: Es sind weniger die Leute, die mich nervös machen. Aber die Technik, tja – das ist halt immer so ein Ding…»
Der Horror beginnt
Die Uhr an der Messehalle 2 zeigt fünf nach neun. Noch 25 Minuten, und Basel ist fantastisch. Zum vierten Mal findet von Donnerstag bis Samstag die «Fantasy Basel» statt. Mit 60’000 Quadratmetern Fläche und 50’000 erwarteten Besuchern ist es die grösste Schweizer Messe für Comicliebhaber, Cosplayer, Gamer und Filmfanatiker. Und natürlich auch für alle, die sich wundern, wo diese kuriosen Figuren hinpilgern.
Joel Mayer ist nicht kurios. Das Auffälligste am 31-jährigen Basler ist sein T-Shirt: «Purgatory» – Fegefeuer – steht in orangenen Lettern darauf. «Purgatory» ist Mayers Baby, und an der «Fantasy Basel» will er allen zeigen, wie gruslig es ist. Es ist ein Horror-Adventure-Computerspiel im pixeligen 80er-Jahre-Stil: «Mein erstes ernstzunehmendes Spiel.»
An der Fantasy – seiner ersten – präsentiert Mayer exklusiv die Demo-Version. Der Spieler hilft darin der jungen Alex, nach einem Autounfall im nächtlichen Wald ihre verschwundenen Freunde wiederzufinden. Dabei stösst sie auf eine alte, scheinbar verlassene Villa. Und der Horror beginnt.
Wenige Minuten vor der Türöffnung, Halle 2.1, Stand 468 beginnt Mayers ganz persönlicher Horror: «Jetzt ist er abgekackt.» Alex ist plötzlich gelähmt. Mayer klimpert wild auf der Tastatur vor einem der beiden Computer, die ihm zugeteilt wurden. Nach wenigen Sekunden kann Alex wieder gehen. Mayer behält auch in diesem kritischen Moment seinen Humor: «Wenn man schon zwei PCs bekommt, muss sowas ja passieren.»
«In Unterhosen im Bett liegen und programmieren – da kriegst du einen üblen Tunnelblick. Es braucht unbefangene Augen.»
Joel Mayer ist Mitglied der «Swiss Game Developers Association» (SGDA), ein unabhängiger Verein, der junge Spielentwickler in der Schweiz vertritt und unterstützt. Die SGDA macht es auch möglich, dass eine Handvoll Entwickler zu vergünstigten Standpreisen an der Fantasy ihre Spiele vorstellen dürfen – so wie Mayer.
Die Messebesucher erhalten so exklusive Einblicke in die neusten Games. Für die Aussteller ist die «Fantasy Basel» eine massive Werbeplattform und die Möglichkeit, direktes Feedback einzuholen. Oder wie es Mayer sagt: «In Unterhosen im Bett liegen und programmieren – da kriegst du einen üblen Tunnelblick. Und deine Freunde klopfen dir sowieso nur auf die Schulter. Es braucht unbefangene Augen.»
Zuckende Schultern
Die Besucher tröpfeln in den ersten Stock. Hinten in der Halle wird Filmtrailer um Filmtrailer gespielt, Bässe wummern durch die feuchtwarme Luft. Kurz vor 10 Uhr schlurft der erste Spieler in Trainerhose an Mayers Stand. Der Entwickler wird still und beobachtet aus sicherer Distanz. Keine Minute vergeht, und der Trainerhosen-Typ legt den Kontroller wieder hin. Schulterzucken, weiterschlurfen.
Auch Mayers Schultern zucken. «Adventure-Games sind eine Nische. Die gefällt nicht allen.»
In zwei Stunden wird er sagen: «Am Anfang, also puh! Da hatte ich ja noch gedacht: Das wird hier echt hart für mich.»
Hart ist es ohnehin für Mayer. Seit Oktober 2017 sitzt er an dem Spiel. Und das nebst einem 100-Prozent-Pensum als New Media Manager bei der Migros-Tochter Mibelle und einer Ausbildung zum Interaction Designer an der Höheren Fachschule. Was an Freizeit bleibt, beanspruchen Alex und ihr Horror-Trip.
Die Leidenschaft für PC-Spiele entwickelte Mayer schon als Kind: Mit dem Vater und den beiden Schwestern sei er damals vor dem PC gesessen und habe Adventure-Games gespielt. Irgendwann bekam er Lust, etwas eigenes zu machen. 2009 stand fest: Horror soll es sein. Gfürchig, aber kein plumpes Gemetzel, und mit einer Geschichte, die den Spieler zum Nachdenken anregt. «Ausserdem ist ein Geisterhaus ein abgeschlossener Raum und damit ideal – vor allem mit kleinem Budget.»
Über die Jahre hinweg schrieb Mayer Stück für Stück das Drehbuch, entwickelte Charaktere, feilte an der Szenerie. 2017 holte er sich den britischen Animator Matt Frith ins Boot, der die Hintergründe in «Purgatory» gestaltet. Mit der nahenden Fantasy kam der Druck: «Wenn du hier ausstellen willst, musst du was vorzeigen können. Sonst wirds peinlich.» Bis zur letzten Minute schliff er die Demo. 3000 bis 4000 Franken sind bisher in die Entwicklung geflossen. Das finale Spiel soll Anfang 2019 auf der Gaming-Plattform Steam landen. «So ist es jedenfalls geplant.»
Aber was, wenn es allen Fantasy-Besuchern ergeht wie dem Trainerhosen-Typ? Wenn die Schultern nur so davonzucken? Es ist kurz vor 12, und direkt neben den SGDA-Ständen befindet sich ein Food-Court. Zulauf garantiert.
Echte Gamer
Zwei Männer mit VIP-Badge um den Hals spielen während 15 Minuten die gesamte Demo durch. «Echte Gamer, die musst du einfach lieben», sagt Mayer und grinst. Hier und da muss er den Männern helfen. Trotzdem erhält er wertvolles Feedback. «Genau das meinte ich mit dem Blick von aussen. Jetzt weiss ich, wo ich nachbessern muss.»
Eine Frau im Shirt einer skandinavischen Metalband grinst beim Spielen, dass ihr die Piercings fast aus den Lippen springen. «Cool gemacht! Horror ist einfach geil, voll mein Ding.»
Elfen, Dämonen und manchmal einfach nur Menschen steuern Alex durch die Nacht. Manchmal nur wenige Minuten, doch wer bleibt, dem gefällts. Alle anfänglichen Bugs sind ausradiert. Jetzt braucht Joel Mayer endlich wieder eine Zigarette. Im Innenhof der Halle streicht er sich über die glänzende Stirn und lässt den Tabak glühen. «Verdammt, ist das anstrengend. Auch toll, klar. Aber anstrengend.» An den drei Tagen wird er jeweils zehn Stunden an seinem Stand stehen, damit sein Fegefeuer nicht erlischt. Und danach?
«Schlafen. Am Sonntag werde ich einfach nur schlafen.»