Des einen Rassismus ist des andern Tradition

Was an der Fasnacht kaum Anstoss erregt, sorgt im Hochsommer für rote Köpfe: Darf eine Gugge im Jahr 2018 noch «Negro» im Namen führen und auf ihrem Emblem das Zerrbild eines primitiven Wilden zeigen?

Einfach glatt oder voll daneben? Seit dem Fest der Kleinbasler Gugge wird heiss diskutiert.

Am Ausgangspunkt steht ein Fest: die Party einer altgedienten Basler Gugge vom vergangenen Sonntag auf dem Claraschulhof. Die Märsche sind längst verklungen, aber die Feier hallt nach. In den sozialen Netzwerken. Im Postfach der TagesWoche. Bei der Fachstelle Rassismus. Bei «20 Minuten».

Die Absender mehrerer Nachrichten zeigten sich darin irritiert, beleidigt bis wütend über das Banner der Festgesellschaft, das erst am Basel Open Air, dann auch auf dem Festgelände zu sehen war: «E nätts Negro-Fescht. Härzligg willkomme», stand dort. Neben dem Schriftzug spielte eine Figur mit dicken Lippen, Armschmuck, Bastrock und nackten Füssen die Pauke. Und ein Knochen im Haar. Es handelt sich um das Vereinsemblem der «Negro-Rhygass», die dieses Jahr ihren 60. Geburtstag feiern.

Rassismus und Kolonialismus reproduziert?

Das Banner mit Emblem und Schriftzug polarisierte, gelinde ausgedrückt. Die Nachrichten an die TagesWoche waren eindeutig: Es sei anzunehmen, schreibt ein Leser, «dass mit der Durchführung des Festes Rassismus und Kolonialismus öffentlich präsentiert und reproduziert werden». Andere schicken Bilder des Banners: «What do you think?»

In den sozialen Netzwerken kursieren der Aufruf, das Fest zum Erliegen zu bringen, und die «dringliche Bitte» auszusprechen, den Namen zu ändern.

Das Fest selbst wurde nicht attackiert. Zwei Passanten hätten während des Wochenendes um Auskunft gebeten, sagt Niggi Schmieder, der Obmann der «Negro-Rhygass». «Diesen wurde versucht, in höflichem Austausch zu erklären, was hinter dem Namen und dem Logo steckt.» Weitere Interventionen bei der Gugge blieben laut Schmieder aus.

Die Gugge führt ihre Geschichte als Argument gegen den Rassismusvorwurf an. Im Taschenformat geht die so:

1927 schliessen sich einige Kleinbasler unter dem Namen «Negro-Rhygass» zusammen und machten Guggenmusik. Zitat aus der Vereinshistorie: «Zu ihrem aussergewöhnlichen Namen verhalf ihnen der Schweizer Flugpionier Walter Mittelholzer, der in diesem Jahr bei einem kühnen Unternehmen mitten in Afrika notlanden musste. Daher auch unser Vereinsemblem: Ein kleiner Mohr mit Pauke.» Nach einer zwischenzeitlichen Flaute wurde die Gugge 1957 neu gegründet.

Ist etwas rassistisch, weil es so gemeint ist – oder ist es rassistisch, weil es so empfunden wird?

Die TagesWoche hat Obmann Niggi Schmieder mit den Rassismusvorwürfen konfrontiert. Wurde die «Negro-Rhygass» schon in der Vergangenheit mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert? Schmieder verneint: «Wir haben in den letzten 60 Jahren nur ganz selten kritische Rückmeldungen erhalten. Weder der Name noch das Emblem unseres Vereins suggerieren Rassismus.»

Dass sich eine Gugge ausgerechnet nach 60 Jahren und ausgerechnet im Hochsommer mit ihrem Namen herumschlagen muss, ist kein Zufall. Im Getümmel der Fasnacht ist der Name viel weniger exponiert und steht in einem anderen Kontext als während eines Quartierfests.

Ausserdem tragen die «Negro-Rhygass» an der Fasnacht niemals rassistische Sujets oder Kostüme zur Schau. Ihr Stammkostüm ist der Clown, ihr Markenzeichen sind die silbernen Schuhe und das Schweinchen auf der Nase. Nur auf den neu gekauften Trommeln, dort prangt ganz klein die Karikatur mit dem Knochen im Haar.

Auch wenn Obmann Schmieder sich nur an wenige kritische Rückmeldungen erinnert – aufgetaucht sind sie in der Vergangenheit immer wieder. Das zeigt schon eine kurze Recherche: Auf Facebook schreibt im September 2017 User Ruedi Scheidegger:

Die Bezaichnige «Guggemuusig Mohrekopf» und «Negro-Rhygass» geen nimme. Das isch absolut rassistisch. Y ha d Uffschrifte vo däne Snare & Bass Drums im Comité gmäldet. Das muess umgschryybe wärde in «Dunggli Rhygass» und ooni Nägerkopf im Logo. Jäwoll.

In einem Beitrag der «Basler Zeitung» vom Februar 2018 spricht  BaZ-Kolumnist -minu Obmann Schmieder auf mögliche Namensprobleme an, «wegen politischer Korrektheit». Er zitiert Schmieder mit den Worten: «Manchmal bekommen wir anonyme Briefe oder Zettel – man müsse die Bezeichnung ändern. Aber wir sind ja wirklich keine Rassisten. Und eine alte Tradition kann keiner plötzlich nicht mehr beim Namen nennen.» Eine verdrechselte Antwort auf eine umstrittene Frage: Ist etwas rassistisch, weil es so gemeint ist – oder ist es rassistisch, weil es so empfunden wird?

Obmann distanziert sich von Rassismus

Obmann Schmieder sagt, die «Negro-Rhygass» distanziere sich klar von Rassismus und jeglicher Form von Diskriminierung. «Der Name und das Logo repräsentieren einzig die Geschichte unseres Vereins, und dieser Name wie auch das Emblem haben nachweislich keinen rassistischen Ursprung.»

Man kann dies auch anders sehen. Im Juli 2018 widmete das Zürcher Landesmuseum dem Schweizer Flugpionier Mittelholzer eine Ausstellung. Und zwar ohne die problematischen Seiten des Fliegers und leidenschaftlichen Fotografen zu verschwiegen, wie die NZZ in ihrer Besprechung festhielt.

Mittelholzer lässt in den Schilderungen seiner Afrikareisen – ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend – immer wieder kolonialistische Wertungen erkennen. Und er hat viele seiner Bilder von Eingeborenen auch gestellt. So hat er die Leute etwa überredet, für die Fotos ihre Kleider abzulegen oder Stammeskleidung anzuziehen, die sie sonst nicht mehr trugen. All dies ist in der Ausstellung gut dokumentiert.

Die Doktorandin Jovita Pinto hat viel über Postkolonialismus und Rassentheorie geforscht. Für die TagesWoche wirft sie einen Blick auf das Emblem der Gugge und sagt:

«Diese Karikatur spiegelt den kolonialen Blick der 20er- und 30er-Jahre. Der Bastrock und die Nacktheit trennen die zivilisierte Betrachterin von der unterentwickelten, primitiven Kultur des afrikanischen Kontinents. Der Knochen weckt Assoziationen mit Kannibalismus. Dieser Exotismus war gerade in den 30er-Jahren weit verbreitet, zum Beispiel in der Werbung oder den populären Völkerschauen.»

Für die Doktorandin sind Emblem wie Festbanner eindeutig rassistisch. «Dass das infrage gestellt wird, zeigt, dass koloniale Vorstellungen immer noch Alltag sind», sagt Pinto.

Der Diskussionsbedarf scheint indes gross zu sein. Bei der Nordwestschweizer Beratungsstelle «Stopp Rassismus» ist laut einem Artikel von «20 Minuten» infolge der Debatte bereits ein Anruf des Kantons eingegangen. In den sozialen Netzwerken ist die Diskussion voll entbrannt. Allerdings wenig differenziert, Daumen hoch und durch.

Der Grundton der zahlreichen «Negro»-Verteidiger lautet, Fasnacht sei nun einmal nicht politisch korrekt. Und Tradition nun mal Tradition. Verteidigende Stellungnahmen finden sich auch aus Reihen der Politik wie von Baselbieter FDP-Landrat Marc Schinzel:

Mit «Hexenjagd» ist klar, wer hier das Opfer sein soll. Und der Rassismusfrage weicht man so auch aus. Was «Tradition» ist, das kann ja unmöglich schlecht sein. Oder?

Der «Schwarze Peter» wird fleissig herumgereicht. Nicht mitspielen darf derzeit «Negro-Rhygass». Die Facebook-Seite der Gugge – auch die der «Guggemusig Mohrekopf» – war am Mittwochmorgen nicht mehr aufrufbar. Auch die Eingabe von www.negro-rhygass.ch führt zu einer Fehlermeldung.

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