Es ist halb acht, Freitagabend, wir sind auf dem Weg zum «Solidaritätsmarsch» für die beiden Guggen «Negro-Rhygass» und «Mohrenkopf». Beide Fasnachtsformationen sind mit einem massiven Image-Problem konfrontiert.
«Sali! Kunnsch nit?», ruft einer über die Elisabethenstrasse und zeigt Richtung De-Wette-Park, wo man sich für den Marsch besammelt. Sein Kollege von der anderen Strassenseite spaziert Richtung Innenstadt. «Sicher nit, bi somene Saich machi nid mit!»
Der kurze Austausch ist sinnbildlich für die öffentliche Diskussion um die Guggen «Negro-Rhygass» und «Mohrenkopf».
Ein einig Volk von Fasnächtlern?
Aber Uneinigkeit darf nicht sein. «Fasnächtler miesse zämme hebe» und «zämme stark» sind zwei der Mottos, die die Solidaritätsmarsch-Organisatorin Jessica Nagele gewählt hat. «Wir sind hier, um den Zusammenhalt der Fasnächtler zu zeigen», betont Nagele gegenüber der TagesWoche, kurz bevor der Marsch losgeht.
Zusammenhalt in welcher Sache? Es sei «jedem klar, dass die Fasnacht nichts mit Rassismus zu tun» habe, so Nagele. Das war auch nicht der Vorwurf. Vielmehr ging es um konkrete Vorwürfe, Namen und Logos einzelner Guggen seien rassistisch. Für die betroffenen Verbände könne sie zwar nicht sprechen, sagt Nagele. Aber dass «Negro», «Mohrenkopf» oder eine Kolonial-Karikatur rassistisch sind? Nein, findet die Organisatorin. «Sonst wäre die Fasnacht kaum Weltkulturerbe geworden.»
Nagele ist bei der «Revoluzzer»-Gugge aus Aesch. Auf die Frage, ob denn alle Mitglieder der Gugge den Solidaritätsmarsch unterstützten, schüttelt sie fast unmerklich den Kopf.
Am Freitagabend marschierten rund 800 Personen durch Basel. Die grosse Mehrheit ohne Instrumente. Eine einzige komplette Gugge-Formation stand ein. Die Guggen, um die es ging, erschienen nicht.
Mohrenköpfe und Marschmusik
Vor dem Abmarsch gibt es viel zu tun für die Organisatoren und ihre Helfer. Ein paar wenige Teilnehmer hatten Parolen geschrieben. «Für die Demo», sagt einer. «Das geht nicht», teilt man ihnen mit. Für eine Demo habe man keine Bewilligung, sondern für einen Umzug. Schilder und sonstige politische Botschaften seien deshalb verboten.
Ein Mann wird gebeten, sich doch bitte von seinem schwarzen Gesicht zu verabschieden. Hier will sich zwar auf keinen Fall jemand den «Negro» oder den «Mohrenkopf» abschminken, aber das Vermummungsverbot gilt auch an diesem Marsch.
Kurz bevor der Tramverkehr auf der Elisabethenstrasse für das Einstehen eine Viertelstunde lang zum Erliegen gebracht wird, werden 960 gesponserte Schokoküsse verteilt. Grosser Jubel bricht aus. Die Süssigkeiten stammen von der Baselbieter Firma, die stolz darauf ist, dass die bei ihr noch Mohrenköpfe heissen.
Auf der Brücke wird es brenzlig
Der Zug setzt sich in Bewegung. Erste Märsche ertönen. Vorn läuft ein kleiner Zug mit Trommlern und Pfyffern, hinten eine bunte Schar Guggen. Rundherum marschieren Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit, vom De-Wette-Park Richtung Bankverein. Erwachsene, Jugendliche, einige Kinder.
Eine Gruppe von Teilnehmern schlägt einem jungen Mann, der die Demonstration vom Rande des Geschehens aus filmt, sein Handy aus der Hand. Hat er die Flugblätter verteilt, auf denen von einer «rassistischen Demo» die Rede ist? Jedenfalls ist das Gerangel das erste Zeichen dafür, dass die Stimmung nicht bei allen Anwesenden friedlich ist.
Weiter hinten, in der Mitte des Zuges, laufen mehrere offen bekennende Rechtsextreme im Takt einer Gugge mit. Einer trägt ein T-Shirt des Neonazi-Labels H84U. «Fight Antifa» steht gross auf seiner Brust. Ein anderer trägt die Zahl 88, für «Heil Hitler». Niemand scheint sich an ihnen zu stören.
Zu stören scheinen allerdings die einigen wenigen Transparente, die von Demo-Gegnern auf der Marschroute angebracht wurden. «Kultur hangt an Respekt», heisst es etwa gegenüber des Kunstmuseums. Gruppen junger Männer machen Jagd auf die Anti-Demo-Parolen, reissen die Transparente herunter, zerreissen sie, stecken sie in Abfalleimer.
Als der Zug die Wettsteinbrücke überquert, wird es brenzlig. Rund 50 Gegendemonstranten versperren den Weg auf der Kleinbasler Seite. «Mit rassistischen Traditionen brechen», steht auf ihrem Transparent.
Eine einzige Polizistin
Es ist der Geistesgegenwart der einzigen anwesenden Polizistin und der Vernunft der Gegendemonstranten zu verdanken, dass auf der Brücke nichts Schlimmeres passierte.
Die einsame Wächterin über rund 800 Demonstranten hält den Zug auf der Brücke rechtzeitig an. Der Abstand zur Gegendemo ist gerade so gross, dass es einige Minuten dauert, bis erste gewaltbereite Solidaritätsdemoteilnehmer nach vorne stürmen.
«Lumpenpack! Haut ab, dorthin wo ihr herkommt!», schreit eine Frau mit grau gewelltem Haar in Richtung Gegendemonstranten. «Sauhünd!», entfährt es dem Mann neben ihr. «Dräcksäu!»
Der Abstand zwischen den Demonstranten und Gegendemonstranten verringert sich. Es wird brenzliger. «I schloh di kaputt», schreit einer einem Gegendemonstranten zu. Da ist dieser, wie seine Kollegen, schon auf dem Rückzug. Die Gegendemonstranten wollen ein Statement machen, keine Eskalation. Die Brücke ist wieder frei.
«Alles geili Sieche»
Vor der Theodorskirche spielen die verbliebenen Fasnächtler Märsche, zuletzt das Lied «z’Basel an mym Rhy», schwenken ihre Handys – um 22 Uhr ist Schluss. Unterdessen hat die Polizei ihr Dispositiv um drei Beamte in zivil erhöht.
«Mir sin alles geili Sieche!», singen die Anwesenden zum Abschied. «Alle ans Mattenfest in Birsfelden!», lautet die Aufforderung.
Aber der kommen nicht alle nach.
Pöbeleien
Vor dem Restaurant Hirscheneck, wo die Gegendemonstranten von der Brücke den Rest des Abends genossen, wird die Lage ungemütlicher. «Seid ihr die Drecksneger von vorhin?», fragt eine Frau. «Wir machen euch fertig», raunt einer aus einer Gruppe Vorbeispazierender.
Die Provokationen häufen sich. Polizei ist keine mehr da.
Kurz nach 23 Uhr kommt es laut Augenzeugen beinahe zur Eskalation. Mehrere versuchte gewalttätige Übergriffe durch Rechtsextreme auf Menschen. Polizei, endlich doch mit grösserem Aufgebot. Polizeikette vor dem Hirscheneck, mit Gummischrot ausgerüstet.
«Nach dem Umzug kam es zu einzelnen gegenseitigen Provokationen von verschiedenen Personengruppen», sagt Polizeisprecher Toprak Yerguz zur TagesWoche. Er hält fest, es habe keinen Gummischrot-Einsatz gegeben. Yerguz beschreibt den Einsatz anders als die Augenzeugen, die gegenüber der TagesWoche von einer «Polizeikette», respektive einer «Konzentration Dutzender Polizisten vor dem Hirscheneck» sprachen. Der Sprecher: «Die Kantonspolizei Basel-Stadt hat durch Präsenz und Vermittlung eine Eskalation verhindert. Eine ‹Polizeikette› oder Mitteleinsatz gab es nicht.»
«Keine politische Demonstration»
Für die Behörden war der Solidaritätszug «keine politische Demonstration», wie Daniel Hofer, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit Tiefbauamt, zur TagesWoche sagt. Darum war es überhaupt möglich, so schnell eine Bewilligung zu erhalten. Hofer: «Es ist ein Umzug einer Marschkapelle, sprich, von ein paar Guggemusiken. Wenn die Organisatoren sagen, es sei eine politische Kundgebung geplant, dann wäre das etwas anderes.»
Dass der Solidaritätsmarsch aber kein Anlass wie jeder andere war – und die Einordnung den Behörden wohl nicht so leicht fiel – räumt Hofer dann aber ein. «Vielleicht ist es ein Grenzfall», sagt er.
Für die Bewilligung von politischen Kundgebungen wäre das Justiz- und Sicherheitsdepartement zuständig. «Wir haben das mit der Polizei angeschaut», betont Hofer. Laut JSD hatte die Veranstaltung «aufgrund der vorliegenden Kenntnisse den Charakter eines Umzugs», sagte Sprecher Toprak Yerguz am Freitagnachmittag zur TagesWoche.
Update Samstag, 12.15 Uhr: Der Bericht wurde um die Antwort des Basler Justiz- und Sicherheitsdepartements zum Einsatz nach dem offiziellem Ende des Marsches ergänzt.