An der Ecke Schaffhauserrheinweg/Stachelrain beginnen im Sommer geschätzte zwölf Minuten Sodom und Gomorrha. Und zwar beim Fussmarsch dem Rhein entlang auf der Solitude-Promenade, auch bekannt als härtester Wutbürgersteig der Stadt.
Dabei fängt alles so gut an. Auf den ersten Metern fällt das Atmen noch leicht, hier lässt es sich leidlich wandeln. Die erste Ramme, ein auf Brusthöhe abgesägter Baumstrunk mitten im Weg, wirkt wie ein letzter mahnender Fingerzeig für kommendes Ungemach. Und wie der Mittelfinger sämtlicher Raumplaner, so viel steht fest.
Wer auch immer auf die Idee kam, diesen Sunset-Boulevard als Solitude-Promenade zu bezeichnen, er war ein Zyniker vor dem Herrn. Denn hier steigt sich im Sommer tout Bâle auf die Hacken. Und das tut weh.
Dabei wollen wir doch nur baden
Spätestens auf Höhe der Roche verroht das Habitat. Rechts flankiert eine Mauer auf Kniehöhe die Szene, links spriessen Hecken. In der Schleuse dazwischen wirds enger und enger, und sofort steigt auch der Blutdruck auf der Bademeile. Rring, Rrrrring, Rrrrrrrrrrring.
Von hinten teilt ein E-Bike-Panzer die Spaziergängerfluten wie Moses das Meer. Wer keine Batterie am Velo trägt, schnallt sich Musikboxen ans Rad. Technoklingeln, bis dem Vordermann das Hemd flattert. Man lässt die Rowdys passieren. Gewaltfantasien machen die Runde.
Das Aneinandervorbei wird zum Überlebensreflex. Aber die taktische Variabilität der Spaziergänger auf dem Spielfeld Solitude-Promenade ist enorm: Der Einmannsturm in Funktionskleidung und Joggingschuhen prescht durch – komme, was wolle. Mehrere Abwehrblöcke versuchen, genau das zu verhindern. Sie bestehen aus drei bis vier Freundinnen, die sich unterhaken und weder auf Veloklingeln reagieren noch auf das eindringliche Schnauben des Einmannsturms. Nacken aus Teflon muss man haben.
Der Libero spielt in einer anderen Liga. Er ist oben ohne, trägt Speedos und schwitzt. Enough said.
Krawall und Remmidemmi, die Stimmung kippt.
Wir gelangen über die Biege zum Solitudepark. Für Sekunden öffnet sich der Raum. Schon schiessen zwischen spielenden Kindern die aufgestauten Velofahrer wie Korken aus der Flasche. Von beiden Seiten notabene. Krawall und Remmidemmi, die Stimmung kippt.
Prompt jagts den Feierabendsportlern hinter uns den Nuggi raus. Wüste Wünsche schallern irgendwem hinterher und hinab in die Büsche, dieser naturgeschützten Verwahrlosung am Wegesrand. Ihretwegen darf die Stadt diese ganze Zone zwischen Schwarzwaldbrücke und Schaffhauserrheinweg nicht generalplanieren und zu einer mittelgrossen Autobahn auswalzen.
Es ist eine Pattsituation. Die Stadt sucht seit Jahren händeringend nach Lösungen zwischen Roche, WWF und Baumschutz. Zurzeit ist eine Testplanung in Arbeit, bis Ende Jahr liegen Resultate vor. In jener seltenen Phase also, in welcher der Park hält, was er verspricht: Solitude. Einsamkeit.
Zurück in der Gegenwart bleibt vorerst alles so, wie es immer war: Auf dem Weg zum Naherholungsgebiet ist die Erholung unendlich weit weg.
Der Ärger verpufft binnen Sekunden, als wir die Treppen zum Wasser hinabsteigen.
Kinderwagen, Trottinettler, Fahrradfahrer und Joggerinnen vermischen sich unter den Platanen zu einem apokalyptischen Tohuwabohu. Und dann, kurz bevor sich der Dichtestress in einer wilden Massenschlägerei entlädt, quetscht sich der ganze Tross durch das letzte Nadelöhr scharf rechts unter dem Tinguely-Museum und es passiert: nichts.
Ruhe, Entspannung, Kinderlachen.
Der Ärger verpufft binnen Sekunden, als wir leichten Schrittes die Treppen zum Wasser hinabsteigen. Oh süsse Riviera, oh Côte d’Azur Basiliensis. Hier strahlen wir mit dem Sonnenuntergang um die Wette, während sich der Einmannsturm von eben am seichten Ufer die Hacken kühlt. Der Wickelfischaggressor wickelt versonnen die Wertsachen ein, man lacht sich zu, man hat sich gern.
Möge uns dieser Pfad noch lange erhalten bleiben. Wer ihn nicht besteht, hat den Sommer in Basel nicht verdient.