«Wir müssten quasi verlumpen»: Gemeinden fordern mehr Solidarität bei Sozialkosten

Elf Baselbieter Gemeinden leiden besonders stark unter hohen Sozialkosten. Sie fühlen sich vom Kanton im Stich gelassen. Das wollen sie so nicht hinnehmen.

Grellingen leidet unter besonders hohen Sozialkosten.

Wer am Morgen vom turbulenten Basler Bahnhof SBB mit dem Zug nach Grellingen fährt, hat jeglichen Dichtestress hinter sich gelassen. Die 1800-Seelen-Gemeinde ist menschenleer – ein Durchschnitts-Strassendorf ohne herausragende Vorzüge, aber auch ohne nennenswerte Probleme…

… könnte man meinen: Gemeindepräsident Hans-Peter Hänni hat aber anderes zu berichten. Gemeinsam mit seinen Kollegen der Gemeinden Laufen, Liestal und Oberdorf hat er zu einer Medienkonferenz eingeladen. Thema waren die hohen Sozialkosten, unter denen einige Oberbaselbieter Gemeinden leiden.

438 Franken Sozialkosten pro Kopf der Gesamtbevölkerung

Grellingen ist in besonderem Masse betroffen: 1,4 Millionen Franken waren es 2017, bei Steuereinnahmen von insgesamt 3,5 Millionen Franken. Zieht man die Rückvergütung durch den Kanton ab, bleiben 438 Franken pro Einwohner. Um nicht in die finanzielle Negativspirale zu geraten, hat Grellingen beim Kanton einen «Härtefallbeitrag» beantragt. Aber ohne Erfolg, obwohl die Gemeinde ihren Steuerfuss auf den kantonalen Spitzenwert von 67 Prozent hinaufgeschraubt hat.

Grellingen befindet sich in einem Teufelskreis: Der hohe Steuerfuss vertreibt wohlhabende Einwohner, die Sozialhilfebezüger aber bleiben. Nicht zuletzt, weil es in der Gemeinde Immobilienbesitzer gibt, die günstige, aber schlecht ausgebaute Wohnungen vermieten.

Grellingen steht mit dem Problem der übermässig hohen Sozialkosten nicht alleine da. Elf Gemeinden haben deshalb eine Initiative für eine gerechtere Verteilung der Sozialkosten eingereicht. Konkret sieht die «Ausgleichsinitiative» vor, 70 Prozent der Nettosozialhilfekosten aller 86 Gemeinden des Kantons in einem Pool zusammenzufassen. Dieser Betrag würde dann gemäss Einwohnerzahl auf die Gemeinden verteilt. Die übrigen 30 Prozent der Kosten würden die Gemeinden laut Initiative selber tragen.

Die Initiative wurde 2016 eingereicht. 2017 präsentierte die Baselbieter Regierung einen Gegenvorschlag, der mehr oder weniger auf dem aktuellen System fusste. Laut Hänni war es ein Gegenvorschlag, «der diesen Namen nicht verdient». Dieser Meinung war auch die Hälfte des Landrats, die mit dem Stichentscheid der Ratspräsidentin zur Mehrheit wurde. Der Gegenvorschlag der Regierung wurde gegen die Stimmen – der für einmal nicht mehrheitsfähigen – rechtsbürgerlichen Landräte an die vorberatende Kommission zurückgewiesen.

Schwarze Zahlen können täuschen

Die betroffenen Gemeinden befürchten nun aber, dass ihr gemeinsames Problem nach wie vor nicht ernst genug genommen werden könnte. «Einmalige Sonderfaktoren, wie ein rückwirkender Finanzausgleich und der Verkauf einer Landparzelle, haben uns 2017 ein positives Ergebnis beschert», sagte Alexander Imhof, Stadtpräsident von Laufen, an der Medienkonferenz. Dieser Eindruck täusche aber, auf operativer Ebene sehe es nicht gut aus. Und hier fielen die Sozialkosten, die in Laufen einen Anteil von 14 Prozent der gesamten Steuereinnahmen ausmachten, stark ins Gewicht.

«Wir müssten quasi verlumpen»

Für Daniel Spinnler, Stadtpräsident von Liestal, funktioniert die aktuelle Härtefallregelung nicht. Der Kantonshauptort hat selbst mit dem hohen Steuerfuss von 65 Prozent keine Chance auf zusätzliche Hilfeleistungen durch den Kanton. «Wir müssten quasi verlumpen, um etwas zu erhalten», sagte der frisch erkorene Präsident der Stadt, die mit einer Sozialhilfequote von 6,3 Prozent an der Spitze des Kantons liegt.

Piero Grumelli, Gemeindepräsident von Oberdorf, hat noch immer mit den Folgen des Wegzugs des finanziell potenten Medizinaltechnik-Unternehmens Synthes zu kämpfen. «Seit dem Wegzug 2013 sehen wir uns einem strukturellen Defizit gegenüber», sagt er. Dazu komme ein hoher Leerstand an günstigen Wohnungen, der Menschen mit niedrigen Einkommen und Sozialhilfebezüger anlocke.

Die Gemeinden pochen und hoffen nun also auf interkommunale Solidarität. Derweilen läuft die politische Diskussion um die Sozialkosten im Baselbiet aber in eine andere Richtung. So hat der Landrat erst kürzlich einen SVP-Vorstoss an die Regierung überwiesen mit der Forderung, den Grundbetrag der Sozialhilfe um einen Drittel zu kürzen und nur besonders motivierten Betroffenen einen Bonus zu gewähren.

SVP-Vorschlag einer generellen Kürzung bringt nichts

Die Präsidenten der besonders betroffenen Gemeinden halten nicht viel von dieser Massnahme: «Auf die unverhältnismässige Verteilung der Sozialhilfebezüger im Kanton hat diese Massnahme keinen Einfluss», sagt der Liestaler Stadtpräsident Spinnler. «Hier wird die Kostenfrage mit einem marginalen Effekt verpolitisiert», pflichtet ihm sein Kollege aus Laufen bei.

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