In Basel stellen Biologen massgeschneiderte Lebensformen im Labor her. Die Organismen sollen Menschen heilen helfen und innovative Umwelttechniken ermöglichen – doch gegen die Produktion von Leben regt sich Widerstand.
Die Zentrifuge dröhnt wie ein kleiner Küchenmixer. Mit geübten Handgriffen träufelt Sonja Billerbeck eine helle Flüssigkeit in das Schleudergerät. Heraus kommt eine chemische Lösung mit sauber getrennten Plasmiden: Diese mikroskopisch kleinen Verbindungsstücke benötigt die Doktorandin am Basler Bioprozesslabor der ETH Zürich für den Bau einer «molekularen Schere». «Mit dieser Schere können in einer Zelle bestimmte Enzyme gezielt weggeschnitten werden», erklärt die Biologin, während sie die Lösung mit den Plasmiden aus der Zentrifuge fischt.
Was sich hier an der Mattenstrasse 26 im Kleinbasel zwischen Reagenzgläsern und Zentrifuge abspielt, fällt in das noch junge Forschungsfeld der Synthetischen Biologie. «Wir versuchen Bakterien so zu programmieren, dass sie für uns Chemikalien herstellen», beschreibt Sven Panke, Professor für Bioverfahrenstechnik in Basel und Doktorvater von Sonja Billerbeck, das ehrgeizige Vorhaben, Zellen in «Fabriken» umzuwandeln.
Dazu schauen die Bioingenieure der Natur in die Karten und versuchen durch den gezielten Einbau künstlich hergestellter Gene Zellen nach ihren Wünschen zu steuern. «Zu diesem Zweck müssen wir das Protein manchmal umbauen und ihm neue Eigenschaften verleihen, damit es das tun kann, was wir wollen», sagt Panke.
Natur als «Werkzeugkasten»
Die Natur – ein gewaltiger Werkzeugkasten, mit dessen Hilfe Biologen ihre Wunschmoleküle zimmern? Biologen, die neuen Baumeister des Lebens?
Gemessen an den Aussagen des Basler Grundlagenforschers Panke scheint das Bild passend zu sein. Es gehe bei der Synthetischen Biologie um die fundamentale Frage, «ob sich Biobausteine – Nukleotide, Enzyme, Proteine – so herstellen lassen, dass sie in einer neuen Umgebung funktionieren.»
Doch zu welchem Zweck? Die Synthetische Biologie eröffne langfristig neue Möglichkeiten für die Medizin und die chemische Industrie, aber auch für die Umwelttechnologie, sagt Panke, «etwa für den Fall, wenn eines nicht allzu fernen Tages das Erdöl als Rohstoffbasis wegfällt.» Ziel der Synthetischen Biologie sei, entsprechende Moleküle auf künstlichem, biosynthetischem Weg im Labor herzustellen und relativ billig und in ausreichender Menge für Forschung und Industrie zugänglich zu machen – alles in allem eine «intelligente, saubere Chemie», wie Panke meint.
«Bedeutender als die A-Bombe»
Eine bunte Palette spektakulärer Anwendungsmöglichkeiten der Synthetischen Biologie bietet der alljährliche «Wettbewerb für genmanipulierte Maschinen» am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Studententeams aus der ganzen Welt – darunter auch eines aus Basel – präsentieren dort, was sie aus Biobausteinen gebastelt haben: Bakterien, die die Schärfe von Speisen messen oder darauf dressiert sind, Keime und Tumorzellen zu jagen. Die standardisierten Bauteile für ihre Kreationen erhalten die Nachwuchstüftler direkt vom MIT.
Forschung und Industrie dagegen beziehen die gewünschten Erbmoleküle per Bestellung – zum Beispiel bei der Regensburger Biotechnologiefirma GeneArt. Zu ihrer Kundschaft zählen neben international tätigen Forschungsinstituten die 20 grössten Pharma-konzerne der Welt. Novartis, Roche, BASF, Böhringer, Syngenta – sie alle verwenden die von GeneArt produzierten DNA-Buchstaben zur Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten.
Geliefert hat GeneArt auch an den US-Forscher Craig Venter, der im Jahr 2000 verkündete, als erster das menschliche Genom entschlüsselt zu haben. Vor gut einem Jahr stellte sich der Star unter den Genetikern vor die Kameras und erklärte, er und sein Team hätten mit der Herstellung eines künstlichen Bakteriums erfolgreich neues Leben geschaffen. Wir müssten uns darauf einstellen, kommentierte das Magazin «Economist», dass in Zukunft neue Tiere und Pflanzen am Computer entworfen würden. Venters Experiment sei bedeutender als die «Zündung der ersten Atombombe». Die Herrschaft des Menschen über die Natur habe eine neue Stufe erreicht.
Sven Panke verzichtet bewusst auf solche Superlative, weil sie falsche Erwartungen und auch Ängste schüren. «Damit zieht Venter uns aus der Sandkiste der Grundlagenforschung heraus und stellt uns ins Planungsbüro, wo die Synthetische Biologie heute noch nicht hingehört.»
«Gefährlicher als Gentechnik»
Die künstliche Herstellung von Leben provoziert auch Kritik. So warnt etwa die Basler Biologin und Gentech-Kritikerin Florianne Koechlin vor den Risiken der Synthetischen Biologie, die «für Mensch und Umwelt wahrscheinlich grösser sind als die von der Gentechnik bisher bekannten – vor allem, wenn manipulierte Mikroorganismen freigesetzt werden sollen». Dabei verweist die Mitbegründerin des Basler Appells gegen Gentechnologie auch auf die Unkontrollierbarkeit des Lebens: «Entweicht ein künstlicher Mikroorganismus, ist er nicht mehr wieder einzufangen und aus dem natürlichen Kreislauf der Natur zu entfernen.»
Ein schwerwiegendes Problem sieht Koechlin, die auch Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission für Biotechnologie im Ausserhumanbereich ist, im Wettrennen um Patente auf synthetisch hergestellte Organismen. «Wenige grosse Konzerne könnten die Synthetische Biologie monopolisieren», befürchtet sie.
Brisanz erhalte diese Sorge etwa durch den Deal des britischen Ölkonzerns BP mit der University of California, wo BP auf der Suche nach biosynthetisch hergestellten Biotreibstoffen die Abteilung für Synthetische Biologie mit Forschungsgeldern in Höhe von 500 Millionen Dollar fördert. «Ich wehre mich gegen diese Monopolisierung, die ich ökonomisch und gesellschaftlich für keine gute Sache halte.»
Doch die rasante Entwicklung der Synthetischen Biologie schafft nicht nur eine neue milliardenschwere Industrie mit all ihren Folgen. Auch die Grenze zwischen Natur und Technik verschwimmt zunehmend. Es geht also um grundsätzliche Fragen: Was ist Leben? Was zeichnet Lebewesen gegenüber unbelebter Materie aus?
Die Protagonisten der Synthetischen Biologie sind sich bei der Frage, was Leben sei, weitgehend einig. Demnach müssen drei Eigenschaften bestehen: Leben pflanzt sich fort, hat einen funktionierenden Stoffwechsel und bildet nach aussen abgeschlossene Systeme. «Für die Biologie ist diese Definition von Leben sinnvoll», sagt der Basler Forscher Panke. Er schaue schliesslich nicht mit der Brille eines Theologen oder Metaphysikers auf das Leben, sondern aus dem Blickwinkel eines dem naturwissenschaftlichen Denken verpflichteten Biologen. «Die Freude im Gesicht eines Kindes», schiebt der Vater einer kleinen Tochter lächelnd nach, «ist experimentell als Kriterium einfach nicht zu gebrauchen.»
Und trotzdem: Auch wenn sich die Eigenheiten von Leben aus Sicht der Biologen funktional einfach beschreiben lassen, es bleiben wichtige Fragen offen. Was ist es, was in den Laboren der Biobaumeister entsteht? Handelt es sich bei den Produkten synthetisch-biologischer Verfahren um Leben, Maschinen oder um sogenannte «living machines», lebende Maschinen? Und: Welchen Status sollen diese «lebensähnlichen Funktionssysteme», wie es ein Gutachten der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich formuliert, künftig erhalten?
«Mensch 2.0» noch nicht in Sicht
«Es wird in der westlichen Gesellschaft unter dem Einfluss von Gentechnologie und Synthetischer Biologie zu einem stärker mechanistischen Verständnis von Leben kommen», sagt Bioingenieur Panke. «Die Biologie ist eine der pulsgebenden Technologien des 21. Jahrhunderts.» Und er berichtet von den Ergebnissen seines Pariser Kollegen Philippe Marlière, dem es kürzlich gelungen ist, bei einem Bakterium einen der vier DNA-Grundbausteine zu ersetzen. «Wenn es Marlière gelingt, nicht nur einen, sondern weitere DNA-Bausteine auszutauschen, und sich auch diese Zelle teilt, ist das eine lebendige Zelle.»
Bei der Vorstellung, solche Experimente auf «höheres Leben» auszudehnen, zögert Panke jedoch und meint: «Bei solchen Zellen bewegen wir uns auf den unteren Stufen des Lebens, wo wir gleichsam im Dunkeln ein paar Schritte ausprobieren.» Unter natürlichen Bedingungen seien die synthetisierten Biosysteme nicht länger als einen Tag überlebensfähig. «Die Mensch-Version 2.0 ist in keiner Weise in Sicht.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.03.12