Der Schock nach dem Sturz

Der Verkauf der Bank Wegelin & Co. war nicht nur überraschend – er stellt auch den geschäftsführenden Teilhaber Konrad Hummler in ein seltsames Licht.

Der Verkauf der Bank Wegelin & Co. war nicht nur überraschend – er stellt auch den geschäftsführenden Teilhaber Konrad Hummler in ein seltsames Licht.

Die Wegelin & Co. als älteste Bank der Schweiz ist abgestürzt. Mit ihr einer der lautesten Kämpfer für das Bankgeheimnis – der geschäftsführende Teilhaber Konrad Hummler. Mit Anschuldigungen der Beihilfe zu Steuerbetrug aus den USA konfrontiert, hat die Bank in kurzer Frist Milliarden an Kundengeldern verloren. Hummler sah sich zum Notverkauf an Raiffeisen gezwungen. Das ist für die Schweiz nicht systemrelevant, aber möglicherweise folgenreich.

Seit Monaten war bekannt, dass die Bank, zusammen mit der Credit Suisse (CS), der Basler Kantonalbank (BKB), der Zürcher Kantonalbank (ZKB) und anderen auf einer Liste von Schweizer Banken stand, gegen die amerikanische Behörden in Sachen Beihilfe zu Steuerhinterziehung ermitteln. Den Banken wird vorgeworfen, sie hätten nach 2008 US-Steuerhinterziehern, von denen sich die mit Staatsgeld gerettete UBS trennen musste, ihre Dienste angeboten.

Die USA hatten aus Ermittlungen im Fall UBS Kenntnis über Kundentransfers zu anderen Schweizer Banken. Im Herbst 2011 setzten sie Fristen zur Lieferung von Akten über Transaktionen. Die Amerikaner verlangen insbesondere Namen von Kunden und Kundenbetreuern. Einzelne Banken wären angeblich bereit gewesen, solche Informationen zu liefern. Aber Schweizer Behörden wehrten sich dagegen mit dem Argument, das verstosse gegen Schweizer Recht.

Ein Fünftel der Kundengelder

So liess man die der CS und der BKB angesetzte Frist vom 31. 12. 2011 verstreichen. Prompt reagierten die Amerikaner Anfang Januar mit einer Anklage gegen drei Kundenbetreuer von Wegelin & Co. Ein US-Staatsanwalt drohte, die Bank unter Anklage zu stellen, wenn sie nicht Namen von Kunden und Beratern liefere. In der Öffentlichkeit wurde über die sich dramatisch zuspitzende Konfrontation wenig berichtet.

Zwei Wochen vor Ablauf der den übrigen Instituten gesetzten Frist vom 31. 1. 2012 begann bei Wegelin ein offenbar nicht mehr kontrollierbarer Kundenexodus: Innert weniger Tage verlor die Bank dem Vernehmen nach rund einen Fünftel ihrer Kundengelder. Der geschäftsführende Teilhaber Konrad Hummler suchte in höchster Not beim Bund und bei der Nationalbank rettende Garantien.

Dazu musste er weit über seinen ultraliberalen Schatten springen. Der gern mit harten Worten auf der erzliberalen Seite provozierende St. Galler plädierte jahrelang in Kolumnen, Anlegerbriefen, Referaten und Interviews für mehr Wettbewerb und Selbstverantwortung und für weniger Staat und Steuern. Hummler bezeichnete das Bankgeheimnis als «Menschenrecht».

Hummler ist Mitglied von illustren rechtskonservativen Organisationen: Als Nachfolger des alten und neuen Hauptaktionärs der «Basler Zeitung» (BaZ) Tito Tettamanti leitet er den radikalkonservativen «Verein Zivilgesellschaft». Hummler ist auch Gründer der Dachorganisation «Liber’all», unter der die «Aktion für freie Meinungsbildung» («Trumpf Buur») das «Medien Forum» und die «Liberale Aktion» operieren.

Seit April 2011 ist der in der Ostschweiz beliebte Musikmäzen auch Verwaltungsratspräsident der NZZ-Gruppe. Seine Wahl passte in die Strategie einer Gruppierung «Freunde der NZZ», die seit Jahren bestrebt ist, das Zürcher Medienunternehmen wirtschaftlich auf einen gewinnträchtigeren und politisch auf einen radikaleren liberalen Kurs und näher zur SVP zu bringen. Ein Leitartikel vor den Wahlen, in dem der Chefredaktor Christoph Blocher zur Wahl als Ständerat empfahl, wurde inner- und ausserhalb der NZZ als Zeichen dieses Wechsels gesehen.

Dass Konrad Hummler als Leitfigur der ultraliberalen Schweiz und Wegelin & Co. als Leuchtturm unter den noblen Schweizer Bankadressen so abrupt stürzen konnten, hat dem Schweizer Establishment sichtbar die Sprache verschlagen. Auf der Instant-Suche nach Schuldigen verirrten sich Politiker, Professoren und Medienkommentatoren in eigenartigen Schuldtheorien. Auf bürgerlicher Seite wurden Stimmen laut, die Schweizer Behörden hätten versagt, weil sie das Bankgeheimnis nicht hart genug verteidigt hätten.

Lobeshymne in der NZZ

Ins Schleudern gerieten vor einer Woche vor allem auch die Kommentatoren der in Sachen Beihilfe zu Steuerhinterziehung zuoberst im Konzern belasteten NZZ. In der NZZ präsidiert der Hauptverantwortliche der Bank Wegelin den Verwaltungsrat der Mediengruppe. In dieser heiklen Situation wagte der Chefredaktor in seinem Kommentar erst am Schluss einer langen Lobeshymne auf Hummler den Satz: «Mag sein, dass die forcierte Aufnahme von ehemaligen ‹amerikanischen› UBS-Kunden durch die Bank Wegelin im Frühjahr 2008 leichtfertig war.» Die Situation erinnert an ein Interview der NZZ von 2001, in dem der damalige Swissair VR-Präsident Eric Honegger, der auch die NZZ präsidierte, Tage vor dem Ende der Swissair die Situation schönreden durfte.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.02.12

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