Zuerst war er ein gefeierter Held. Dann wurde Stefan Borgas zum Buhmann und Abzocker. Nun spricht der ehemalige Lonza-CEO für einen Topmanager ungewohnt offen über den gerechten Lohn und sein eigenes Befinden.
Zuerst verliert Stefan Borgas seinen Job als CEO von Lonza. Dann seinen guten Ruf, auch wegen seiner Abgangsentschädigung von angeblich 3,3 Millionen Franken. Der «Blick» schreibt vom «geschassten Chef», der von Lonza immer noch den «grössten Lohn» erhalte, der «Tages-Anzeiger» titelt: «Millionen für nichts». «Selten zuvor wurde einem Manager so viel Dreck nachgeworfen», stellt die «Schweiz am Sonntag» danach fest.
Den Ton in der ganzen Berichterstattung hat Rolf Soiron, Verwaltungsratspräsident von Lonza, bereits unmittelbar nach dem Rauswurf vorgegeben. Borgas hätte eben mehr «lifere anstatt lafere» müssen, sagt Soiron an einer Pressekonferenz.
Am Anfang klingt das noch besser für Borgas: Nach seinem Wechsel zu Lonza im Jahr 2004 äussert sich nicht nur die Presse, sondern auch Soiron sehr viel positiver. Zu diesem Zeitpunkt ist Borgas noch ein Star.
Typ: Model
Borgas, das ist der Mann, der in der Ausbildung und den ersten Berufsjahren durch ein «Stahlbad» geht. Bereits mit 39 Jahren steht er an der Spitze eines Unternehmens mit 8000 Mitarbeitern und 3 Milliarden Franken Umsatz.
Der smarte Manager, mit dem schwarzen Scheitel, dem perfekt sitzenden Anzug und den eingewebten «SB» an den Ärmeln. Der «Model»-Typ, der auch seinem schwächelnden Unternehmen sehr viel schöne Zeiten in Aussicht stellt («Ich will in die Champions League!»).
Borgas, der Mann, der seinen Tee pur trinkt, ohne Zucker und ohne Milch (was immer das bedeuten soll) und Jetlag für eine psychische Marotte hält.
Borgas, der liebevolle Vater, der mit seinen Kindern regelmässig Hauskonzerte gibt (er selbst spielt Cello).
Das alles und noch sehr viel mehr kann man unter anderem in der «Handelszeitung» oder im «Management»-Magazin nachlesen.
Die Aktien sinken
Die Anleger sind ebenfalls begeistert – anfangs. Doch dann schafft es Lonza auch mit Borgas nicht aus der Problemzone, der Kurs sinkt und irgendwann hat der Verwaltungsrat genug.
Borgas ist jetzt kein Star mehr, sondern ein Buhmann. Im Januar 2012 muss er weg.
Für ihn ist die Entlassung ein Schock. Und eine «persönliche Verletzung». Er hat Angst, in ein Loch zu fallen. Doch dann merkt er, wie stark er die letzten Jahre auf seine Firma und seine beruflichen Ziele fokussiert gewesen war. «Und wie bunt das Leben eigentlich ist, wenn man auch noch nach links und rechts schaut», wie er gegenüber dem Magazin «Eco» vom «Schweizer Fernsehen» überraschend offen erzählt (in nachfolgendem Video zu sehen).
«Unter einer Million wäre absolut zu wenig»
Sehr offen reagiert Borgas auch auf unsere Anfrage rund um die Kontroverse um die Basler 1.Mai-Feier. Während die anderen angeschriebenen Topmanager eher ausweichend oder gar nicht auf die Fragen nach einem gerechten Lohn antworteten, nennt er konkrete Zahlen.
Für den CEO eines globalen Konzerns sei ein Lohn von 20 Millionen Franken Lohn zu hoch – und weniger als eine Million «absolut zu tief», sagt er. Seinen eigenen Lohn bei Lonza (zwischen 1,5 und 3 Millionen Franken) sei somit angemessen gewesen: «Bei dieser Rechnung muss eben einiges in Betracht gezogen werden – die Verantwortung, die Arbeitsbelastung, das persönliche Risiko, die Belastung für die ganze Familie, das Medienbashing, die Angebote der internationalen Konkurrenz.» Borgas selbst arbeitet heute nicht mehr in der Schweiz, sondern in Israel, als CEO von Israel Chemicals.
Er weiss also, über was er redet. Und wie umstritten die Höhe der Managerlöhne ist. Und er hält es auch für richtig, dass eine Debatte geführt wird, ganz grundsätzlich auch über die Frage, welcher Lohn denn gerecht sei. Obwohl es keine endgültigen Antworten gibt. «Die Frage ist ja schon so alt wie die Menschheit», schreibt Borgas und nennt gleich auch noch den Grund: «Wenn man von Leistungsgerechtigkeit ausgeht – jeder erhält zurück, was er leistet – sind grosse Lohnunterschiede gerecht. Bei der Bedarfsgerechtigkeit – jeder erhält, was er benötigt – sollten die Löhne dagegen stark angeglichen werden.»
Borgas selbst lässt keinen Zweifel offen, auf welcher Seite er steht, wenn er zum Beispiel sagt, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich für die Menschen schon immer eine Motivation gewesen sei, Leistung zu bringen. So ganz nebenbei erwähnt er in diesem Zusammenhang auch noch, dass es seine Wohngemeinde im Baselbiet ebenfalls «ganz gut fand», wie viel er während seiner Zeit bei Lonza verdiente und entsprechend versteuerte.
Eine Gefahr für die Schweiz
Seine Botschaft ist klar: Von den hohen Löhnen profitieren alle, auch die Allgemeinheit und die gar nicht zu knapp. Ein weiterer Grund, warum er nichts von Beschränkungen hält, wie sie etwa das Ja zur Abzocker-Initiative mit sich bringt oder sie die Juso mit ihrer 1:12-Initiative erzwingen möchten.
Borgas nennt gleich fünf Gründe, warum solche Forderungen seiner Ansicht nach «nicht sehr intelligent» seien:
- Erstens führten sie dazu, dass sich weniger Konzerne in der Schweiz ansiedeln.
- Zweitens würden Unternehmen sich von der Börse zurückziehen und anders finanzieren, was den Finanzplatz schwäche.
- Drittens würden noch mehr Gehaltskomponente in Risikoanteile (Aktion, Optionen und so weiter) umgewandelt, womit das Risikoverhalten der Manager noch weiter zunehmen würde.
- Viertens würden die tieferen Löhne erhöht, so dass der Standort an Konkurrenzfähigkeit einbüsse.
- Fünftens gäbe es mehr Outsourcing, was sich negativ auf die Arbeitsplatzsicherheit auswirke.
Einzelne Probleme sieht allerdings auch er – heute schon. Ja, sogar von «Exzessen» spricht Borgas, meint damit aber offenbar weniger die Wirtschaft als den Sport. «Die Entlöhnung einzelner Fussballspieler von deutlich über einer Million Franken finde ich unpassend im Vergleich zur Verantwortung, die sie tragen.»
Die umstrittene Einladung der Basler SP ging eigentlich an folgende zehn Topmanager:
• Joe Jimenez (CEO Novartis, der es in seiner Firma auf ein Lohnverhältnis von 1:219 bringt)
• Severin Schwan (CEO Roche, 1:203) • Sergio Ermotti (CEO UBS, 1:127)
• Hariolf Kottmann (CEO Clariant, 1:92)
• Martin Strobel und Rolf Schäuble (CEO und ehemaliger VR-Präsident Bâloise 1:72)
• Richard Ridinger und Stefan Borgas (aktueller und ehemaliger CEO Lonza, 1:47)
• Guy Lachappelle und Hans Rudolf Matter (aktueller und ehemaliger CEO Basler Kantonalbank, rund 1:16).
Die SP forderte die zehn Topverdiener auf, die Höhe ihres Lohns an der 1.-Mai-Feier auf dem Barfüsserplatz zu rechtfertigen. Anlass ist die 1:12-Initiative der Juso. Darin wird verlangt, dass in einer Firma niemand mehr als zwölf Mal so viel Lohn erhalten darf wie irgendein anderer Mitarbeiter. Die oben aufgeführten Angaben über die heutigen Lohnverhältnisse stammen von der SP Basel-Stadt und der Gewerkschafts-Dachorganisation TravailSuisse. Wobei sich die Gewerkschaften nicht nur an der grossen Differenz stören, sondern auch an der Tatsache, dass die hohen Löhne in deutlich stärkerem Ausmass steigen als die tieferen.
Borgas antwortete am ausführlichsten
Nach der Kontroverse um die SP-Aktion hat die TagesWoche die zehn Topmanager angeschrieben und Fragen zur Lohngerechtigkeit gestellt. Eine Antwort erhielten wir von allen. Diese waren ausnehmend freundlich, wenn auch nicht durchweg sehr inhaltsreich. Eine der interessantesten war jene von Stefan Borgas, die wir darum an dieser Stelle ausführlich wiedergeben.
Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens auch, dass Borgas nach eigener Angabe nie eine Einladung von der Basler SP an die 1.Mai-Feier erhalten hat, obwohl auch in den Medien wiederholt darüber berichtet wurde. Überhaupt wird die ganze Debatte über Lohngerechtigkeit in der Schweiz seiner Ansicht nach emotional statt faktenbezogen geführt, was zu einigen Ungenauigkeiten und Falschinformationen führe. Das gelte auch für die viel diskutierte Zahlung nach seinem Abgang bei Lonza. Mehr als zwei Drittel der publizierten Summe entfalle auf Gehaltsanteile wie Aktien, die bereits in den drei Jahren davor als sein Gehalt ausgewiesen worden seien, schreibt er: «Solche Details – die mir allerdings essentiell erscheinen – passen nicht ins das Argumentatorium der Diskussionsteilnehmer. Wenn man sie aber ignoriert, so sind die daraus abgeleiteten Empfehlungen und Richtlinien unsinnig oder für den Standort Schweiz gefährlich.»