Ein Stein am Bein?

Die Raiffeisen-Bank mausert sich von der Volksbank zur Bank, die auch Wohlhabende bedient – mit allen Tücken, die so ein Deal mit sich bringt. 

Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz betätigt sich neu im Vermögensgeschäft. (Bild: Keystone)

Die Raiffeisen-Bank mausert sich von der Volksbank zur Bank, die auch Wohlhabende bedient – mit allen Tücken, die so ein Deal mit sich bringt. 

Was der Chef von Raiffeisen Schweiz, Pierin Vincenz, mit der Übernahme des nicht amerikanischen Geschäfts der abgestürzten Wegelin & Co. anstrebt, ist klar: Sein Verbund von landesweit 328 Genossenschaftsbanken ist im Massengeschäft mit 3,5  Millionen Kundinnen und Kunden, 1106 Bankstellen und 144 Milliarden Franken Kundengeldern rasch zur drittgrössten Bank des Landes herangewachsen.

Aber mit ihrem Schwergewicht bei Sparkonten, Kassenobligationen und Hypotheken, die in einem harten Wettbewerb geringe Gewinne abwerfen, erzielt Raiffeisen im Vergleich zu Grossbanken und noblen Privatbanken eine relativ bescheidene Rendite. Die neue Privatbank Notenstein sei ein «Quantensprung» in der Entwicklung der Raiffeisen-Gruppe, sagte Vincenz nach dem Wegelin-Deal. Sie biete Raiffeisen «eine gute Möglichkeit, im Geschäft mit den vermögenden Kunden Fuss zu fassen». Raiffeisen soll in die hochrentable Vermögensverwaltung für Wohlhabende aufsteigen. Es locken Gewinne und Prestige. Notenstein soll für Raiffeisen Schweiz und ihre Chefs leuchten wie Porsche für VW oder die Nobeluhrenmarke Breguet für den Hayek-Konzern SMH.

Steuerhinterzieher aus der EU

Ob diese Rechnung aufgeht, ist nicht garantiert. Der Wegelin-Notenstein-Coup ist nicht risikolos. Zwar sind die amerikanischen Kunden, die Wegelin zu Fall gebracht haben, entfernt. Aber es ist unsicher, was die zu einem geschätzten Preis von 500 bis 600 Millionen «gekauften» 21 Milliarden Kundengelder kommerziell wert sind. 30 Prozent sollen europäische Kunden sein, von denen allenfalls, beziehungsweise wahrscheinlich auch eine beträchtliche Zahl in ihren Domizilländern Steuern hinterzieht.

In den laufenden Auseinandersetzungen um Steuerabkommen zwischen der Schweiz und EU-Ländern könnten nicht nur deutsche Ex-Wegelin-Kunden für Raiffeisens neue Privatbank zur Belastung werden. Raiffeisen-Chef Vincenz, der den Verwaltungsrat der neuen Bank präsidiert, hat das gesamte Wegelin-Personal übernommen und einen der acht Wegelin-Teilhaber an die Spitze seiner neuen Privatbank gestellt. Das könnte bei ausländischen Steuerbehörden Vermutungen nähren, bei Notenstein gehe es weiter wie vorher bei Wegelin.

Schliesslich stellt sich die Frage, wie die Kunden der Raiffeisen-Genossenschaften auf Vincenz’ Nobel-Acquisition reagieren werden. Ein beträchtlicher Teil von ihnen hat erst in den letzten vier Jahren zu Raiffeisen gewechselt. Viele aus Protest gegen die schamlose Geschäftspolitik der UBS, die 2008 mit einem Milliardeneinsatz an Staatsgeld gerettet werden musste. Viele auch einfach mit der Absicht, ihr Privat- oder Geschäftskapital ohne Casino-Gewinnträume in einer anständigen Bank in Sicherheit zu bringen.

Erfolgloses Werben um Sarasin

Im Geschäftsbericht 2010 der Raiffeisen Schweiz wurde erklärt, das starke Wachstum der Gruppe werde nicht mit höherem Risiko erkauft. Als Vincenz dann aber im Herbst 2011 (am Schluss gegen ein höheres Angebot einer brasilianischen Gruppe) erfolglos versuchte, die grosse Privatbank Sarasin zu kaufen, wurden kritische Stimmen laut.

Der noch wenig durchsichtige Deal mit dem rechtskonservativen Kreisen um Tito Tettamanti und Christoph Blocher nahestehenden geschäftsführenden Wegelin-Teilhaber Konrad Hummler rückt Vincenz’ Expansionsehrgeiz weiter ins Rampenlicht. Sollte bei Notenstein nicht alles rundlaufen, sollten Ungereimtheiten ans Licht kommen und wenn Vincenz zu weiteren Einkaufstouren aufbrechen sollte, könnte der Raiffeisenchef einem Teil seiner Kunden bald einmal nicht mehr ge­heuer sein.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.02.12

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