Grenzgänger: Ende der Zweiklassengesellschaft

Das Bezirksgericht Arlesheim gibt Grenzgängern Recht, die sich gegen eine Lohnsenkung gewehrt haben. Rechtsprofessoren gehen davon aus, dass jetzt Firmen Grenzgänger bald wie inländische Angestellte behandeln müssen: kein tieferes Salär und keine Löhne in Euro mehr.

Grenzübergang St. Louis (Bild: Michael Würtenberg)

Das Bezirksgericht Arlesheim gibt Grenzgängern Recht, die sich gegen eine Lohnsenkung gewehrt haben. Rechtsprofessoren gehen davon aus, dass jetzt Firmen Grenzgänger bald wie inländische Angestellte behandeln müssen: kein tieferes Salär und keine Löhne in Euro mehr.

Es sind sechs Grenzgänger, die Schweizer Firmen in Grenzregionen Bauchschmerzen bereiten. Sie wollten eine Lohnsenkung von sechs Prozent der Aescher Firma Stöcklin Logistik nicht akzeptieren. 114 ihrer Kollegen, allesamt Grenzgänger, hatten die Lohnkürzung geschluckt. Ihr Arbeitgeber schickte den sechs eine Änderungskündigung, entliess sie schliesslich. Dagegen wehrten sie sich.

Das Dreiergericht des Bezirksgerichts Arlesheim gab ihnen einstimmig Recht. In seinem Urteil kam das Gericht zum Schluss, dass diese Kündigungen missbräuchlich waren. Begründung: Eine Lohnsenkung nur für Grenzgänger diskriminiere diese gegenüber inländischen Angestellten. Damit werde das Freizügigkeitsabkommen mit der EU verletzt.

Gewerkschaft feiert, Arbeitgeber zweifeln

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Auf Anfrage sagt Urs Grütter, Chef der Firma Stöcklin Logistik, die Firma werde das Urteil mit «hoher Wahrscheinlichkeit» weiterziehen. Die Gewerkschaft Unia feierte dennoch umgehend die Signalwirkung des Urteils, der Basler Arbeitgeberverband beeilte sich zu betonen, dass das Urteil eben gerade kein Grundsatzentscheid sei. Konkret zweifelt der Verband daran, dass Grenzgänger unter das Freizügigkeitsabkommen mit der EU fallen und beruft sich dabei auf die Aussage von Jean-Fritz Stöckli, Ordinarius für Privatrecht der Universität Basel. Dieses verbietet eine Diskriminierung von EU-Bürgern.

Die Gewerkschaft hingegen frohlockt: Das Urteil des Bezirksgerichts Arlesheim bestätige, dass eine Diskriminierung von Grenzgängern ganz generell nicht zulässig sei, sagt Jean Christophe Schwaab, zuständiger Jurist für Arbeitsrecht beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Grenzgänger den Lohn in Euro bekämen, länger arbeiten oder eine Lohnsenkung in Kauf nehmen müssten: All diese Massnahmen würden gegen das Freizügigkeitsabkommen mit der EU verstossen, das auch für Grenzgänger gelte.

Experten geben Arbeitgebern wenig Chancen

Mit dieser Einschätzung ist die Gewerkschaft nicht allein. «Es ergibt sich klar aus dem Freizügigkeitsabkommen, dass es auch für Grenzgänger gilt», sagt Astrid Epiney, Professorin am Institut für Europarecht der Universität Fribourg. Der starke Franken allein sei kein Rechtfertigungsgrund, um Grenzgängern den Lohn zu kürzen.

Zum selben Schluss kommt auch Thomas Geiser, Professor für Arbeitsrecht der Universität Sankt Gallen. Er sieht für Unternehmen nur dann eine Chance, eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, wenn sie all ihre Angestellten nach den Lebenshaltungskosten an ihrem Wohnort entlöhnen würden. Dann würden aber zum Beispiel Angestellte aus dem Elsass für dieselbe Arbeit weniger verdienen als deren Kollegen aus dem Südbadischen. Fazit: «Einem Unternehmen wird es nicht leicht fallen, vor Gericht zu begründen, weshalb es die Grenzgänger anders behandelt», sagt Geiser.

Gut möglich also, dass Firmen Grenzgänger schon sehr bald für dieselbe Arbeit nicht mehr schlechter entlöhnen dürfen als einheimische Angestellte.

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