Immer mehr, immer mutig, immer anders

Werner Bürgin kann das Jammern über die Krise nicht verstehen. Die Auftragsbücher seiner Sucotec AG sind voll, sein Tatendrang ist grenzenlos.

Werner Bürgin könnte zufriedener nicht sein. Seine Auftragsbücher sind voll, sein Tatendrang ist ungebremst. (Bild: Basile Bornand)

Werner Bürgin kann das Jammern über die Krise nicht verstehen. Die Auftragsbücher seiner Sucotec AG sind voll, sein Tatendrang ist grenzenlos.

Als es schliesslich ums Fotografieren geht und wir schon eine Stunde sehr interessiert und höchst verständnislos Werner Bürgins Erzählungen aus der fremden Welt der verschleissfesten Schichtsysteme (ich sag nur: «TiN-TiCN-Al2O3-TiN!») gelauscht haben, wird es plötzlich ziemlich handfest Industriespionage-mässig. «Diese Kühlfallen könnt ihr nicht fotografieren», sagt Bürgin und zeigt auf eine Metalltrommel in der Grösse eines kleinen Pizzaofens, «die Kühlfallen der anderen sind zu 20 Prozent leck. Und die möchten zu gerne wissen, wie wir unsere Fallen bauen.» Erst kürzlich habe ihm einer seiner Kunden erzählt, wie die Konkurrenz versucht habe, die gesamte Anlage fotografisch zu dokumentieren. «In unserem Geschäft wird mit harten Bandagen gekämpft.»

Es geht ja auch um viel Geld. Auf zwischen 30 und 40 Millionen Franken schätzt Bürgin das jährliche Auftragsvolumen im globalen Markt der Beschichtungssysteme. Bürgin baut, um es vereinfacht auszudrücken, Anlagen, mit denen andere Firmen Bestandteile ihrer Produktion (meistens Präzisionswerkzeuge) beschichten können. Marktführer sind zwei Schweizer Firmen – seine Sucotec und eben, «die ­anderen».

Die Anderen

Jahrzehntelang hat Bürgin für die anderen gearbeitet, war «der Fachmann für Beschichtungssysteme», wie es Helga Holzschuh ausdrückt, die Consulting-Leiterin der Sucotec. 2004 kam es zu einem Management-Buy-out und die Firma änderte die Strategie. «Plötzlich ging es nur noch um den Shareholder und nicht mehr um den Kunden», sagt Bürgin, «und da reichte es mir.»

Schwierigkeiten im Baselbiet

Er stieg aus. 56-jährig, ohne Firma, ohne Produktionshallen, aber mit zwei Aufträgen in einer Höhe von je zwei Millionen Franken. Und damit begann jenes Kapitel in der Erfolgsgeschichte der 2007 gegründeten Sucotec, in dem das Baselbiet eine ungute Rolle spielte. Bürgin sprach bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank vor und erbat sich eine Bankgarantie für die Hälfte des Auftragsvolumens. «Wohlgemerkt: Ich wollte keine Garantie für eine neue, inexistente Firma. Ich wollte eine Garantie für zwei fix versprochene Aufträge.» Die Bank lehnte ab.

Bürgin versuchte es weiter im Baselbiet, sprach bei der kantonalen Wirt­schaftsförderung vor, um sich bei der Suche nach geeigneten Produktionshallen unterstützen zu lassen. Zwei Monate wartete er auf Antwort, und als endlich eine kam, lieferte die Wirtschaftsförderung nicht mehr als ein paar «Alibi-Adressen», sagt Bürgin.

Rettung nahte von ennet dem Jura. Er wandte sich an Sepp Käppeli von der Nencki AG in Langenthal und hatte innerhalb von vier Tagen eine positive Antwort. Käppeli übernahm die Bankgarantie, stellte Bürgin seine Produk­tionshalle zur Verfügung und ist heute an der Sucotec beteiligt. Mittelfristig wird Bürgin, das ist die Konsequenz aus der unerfreulichen Erfahrung zu Beginn seiner zweiten Karriere, den Firmensitz von Liestal nach Langenthal verlegen, wo er heute schon produziert.

Das System neu gedacht

Den Baselbietern entgeht damit eine Firma, der es trotz Krise nicht besser gehen könnte. Die nächsten eineinhalb Jahre sind Bürgin und seine sieben Mitarbeiter ausgebucht. «Als Werner bei der anderen Firma aufhörte, setzte er sich hin und dachte das ganze System noch einmal neu», sagt Helga Holzschuh. Alle Fehler und Schwächen der Anlagen seines früheren Arbeitgebers seien heute ausgemerzt. «Das ist unser Erfolgsrezept. Fortschritt in der Technologie – und eine enge Betreuung der Kunden.»

Bürgin, heute 64, denkt noch nicht ans Aufhören. Er sei im Moment gerade an einer ganz grossen Sache, «die wird der Hammer!» Er will nicht zu viel verraten, der Konkurrenz und der harten Bandagen wegen. Er redet jetzt leiser, flüstert beinahe und erzählt etwas über Schneidegeschwindigkeiten. Höchst faszinierend, auch wenn wir kein Wort verstehen.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.08.12

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