Die meisten Guthaben der Banken sind heute staatlich garantiert. Schuld daran sind die viel zu hohen Gewinne der Unternehmen, die ungedeckte Konsumkredite in riesigem Ausmass nötig gemacht haben.
Die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» formulierte es kürzlich so: «Die nunmehr fast fünf Jahre währende Finanzkrise geht erst vorbei, wenn die Staaten eine andere Finanzwirtschaft geschaffen haben, eine, die der Gesamtwirtschaft dient.» Klingt gut, ist aber falsch. Das Gegenteil ist richtig: Die Welt braucht dringend wieder ein Wirtschaftssystem, in dem auch Banken überleben können.
Das können sie nämlich im aktuellen System nicht, und zwar nicht nur weil die Bankmanager mit ihren üppigen Boni den Banken die Eigenkapitaldecke weggezogen haben. Dieser Skandal versteckt bloss ein tiefer liegendes Problem: Die Banken sind pleite, weil in unserer Wirtschaft die Kreditströme gleichsam bergauf fliessen.
Als alles noch in Ordnung war
Um das zu begreifen, muss man erst einmal an die normalen Zeiten erinnern. Bis etwa Anfang der Neunzigerjahre deckten die Einnahmen der Unternehmen zwar die laufenden Kosten inklusive Steuern und Dividenden, sie reichten aber nicht, um die Investitionen voll zu finanzieren. Ein Eigenfinanzierungsgrad von 70 Prozent galt als gut. Das hiess, dass man 30 Prozent der Investitionen fremdfinanzieren musste. Das nötige Geld kam von den Banken, respektive den Privathaushalten – die ihre Ersparnisse produktiv auf Banken anlegten.
Heute ist das anders: Dank globalem Standortwettbewerb konnten die Unternehmen ihre Lohn- und Steuerkosten senken. Zudem schalteten sie mit Fusionen und Übernahmen die Konkurrenz aus und hielten ihre Preise hoch. Folge: Die Unternehmen erzielen heute normalerweise einen Netto-Cashflow. Will heissen: Die Einnahmen übersteigen sämtliche laufenden Ausgaben und die Investitionen bei Weitem. Im EU-Raum beläuft sich dieser «Nettofinanzierungsüberschuss» auf etwa 2, in den USA auf 4 und in Japan gar auf 6 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
Ein Wirtschaftssystem, das auf diese Weise tickt, bewirkt nicht nur stagnierende Löhne, steigende Arbeitslosigkeit und in der Konsequenz leere Staatskassen. Es ist auch für das Finanzsystem tödlich. Ein Netto-Cashflow beziehungsweise ein Nettofinanzierungsüberschuss bedeutet nämlich im Klartext, dass der Unternehmenssektor einen Teil seiner Produkte auf Pump verkauft hat. In einer solchen Wirtschaft hat das Finanzsystem eine völlig neue und auf Dauer unlösbare Aufgabe: Es muss – per Saldo – nicht mehr die Investitionen des Unternehmenssektors finanzieren, sondern den laufenden Konsum der Haushalte und des Staates.
In einer ersten Phase bis 2007 wurden die Konsumkredite noch mit Hypotheken «abgesichert». Der Immobilienboom machte es möglich. Vor allem die US-Haushalte finanzierten laufende Ausgaben im grossen Stil, indem sie ihre Häuser immer höher belehnten. Dann schlug die Subprime-Krise zu. Bis 2010 konnten nationalstaatliche Garantien die Konsumkredite am Laufen halten. Inzwischen braucht es schon überstaatliche Garantien, etwa des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank oder des sogenannten Rettungsschirms. Jetzt, da auch dieser letzte Kreditkanal allmählich verstopft ist, fehlt den Arbeitnehmern und Kunden die (geliehene) Kaufkraft, um die Produkte ihrer Arbeit zu kaufen. Die Rezession steht vor der Tür.
Globale Ungleichgewichte
Wenn diese Analyse zutrifft, können auch die besten Regulierungen die Banken nicht mehr retten. Warum spricht das niemand offen an? Einer hat es zumindest versucht: Stephen Cecchetti, Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ in Basel. In seinem Paper «Global Imbalances: Current Accounts and Financial Flows» beleuchtet er das Problem der globalen Ungleichgewichte aus der Optik der grenzüberschreitenden Kreditflüsse. Sie sind das Spiegelbild der oben diskutierten Kredite zwischen Unternehmen einerseits und Privathaushalten sowie Staat andererseits.
Stetig wachsender Berg
Cecchetti stellt zunächst fest, dass seit etwa Mitte der Neunzigerjahre immer dieselben Staaten Aussenhandelsdefizite erleiden (USA, England, Spanien, Italien, Portugal, Frankreich etc.) beziehunsgweise Überschüsse erzielen (Deutschland, Japan, China, ölexportierende Staaten, Schweiz). Als Folge davon hat sich ein stetig wachsender Berg von Schulden und Forderungen aufgebaut. Nach Cecchetti ist dieser seit 1995 von 15 000 auf 100 000 Milliarden Dollar angewachsen – rund 150 Prozent des weltweiten Sozialprodukts. Dieser Schuldenberg wächst solange, als Deutschland, China und Konsorten weiterhin Exportüberschüsse erzielen.
100 000 Milliarden Dollar Forderungen, die auf absehbare Zeit nicht bedient werden können – das entspricht etwa dem 1000-fachen des Eigenkapitals von UBS und der Deutschen Bank zusammen, übersteigt also die Kapazitäten des globalen Finanzsystems bei Weitem. Das heisst: Dieses System ist faktisch schon weitgehend verstaatlicht. Ohne die Garantien von EZB und IWF läuft gar nichts mehr.
Und jeder Versuch, die Banken zu noch mehr Eigenkapital zu zwingen, macht die Sache nur noch schlimmer. So schreibt etwa das «Wall Street Journal», dass das von 6 auf 9 Prozent erhöhte minimale Eigenkapital die europäischen Banken zwinge, Kredite im Wert von 2 500 Milliarden Dollar abzubauen. Das würde weit über 5 Millionen Jobs vernichten.
Was ist die Alternative? Cecchetti sagt es zwar nicht offen, aber sein Hinweis auf die Abkommen von Plaza und Louvre von 1985 und 1987 ist klar: Es braucht ein neues Weltwährungsregime, in dem die Wechselkurse so gesteuert werden, dass sich Importe und Exporte in etwa ausgleichen. Überschussländer müssen auf- und Defizitländer abwerten. Innerhalb der Euro-Währungsunion hiesse das, dass die Preise in Deutschland ein paar Jahre deutlich schneller steigen müssten als in Griechenland, Spanien, Italien und Frankreich.
Kritik an Sparpolitik
Cecchetti sagt auch klar, dass eine Deflationspolitik der Lohn- und Preissenkungen nicht funktioniert. Er kritisiert damit die Sparpolitik, die zurzeit Griechenland, Irland, Portugal und Italien auferlegt wird, nennt jedoch keine Namen. Was Cecchetti auch nicht offen sagt, ist, dass die Preise (in Deutschland) nur steigen, wenn auch die Löhne steigen. Wechselkurspolitik ist per Definition Lohnpolitik.
Das bringt uns zurück zu den Finanzierungsüberschüssen der Unternehmen. Auch dieser zentrale Fehler im heutigen Wirtschaftssystem muss primär durch Lohnpolitik korrigiert werden. Die Löhne müssen wieder auf ein Niveau gebracht werden, das den Unternehmen zwar noch Gewinne, aber keinen Netto-Cashflow mehr übrig lässt. Dann hätte auch das Bankensystem wieder eine volkswirtschaftlich sinnvolle Aufgabe. Es könnte die Ersparnisse der Haushalte in produktive Investitionen verwandeln.
Wie damals, als die Marktwirtschaft noch Wohlstand für alle schuf.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02/12/11