7 Aufreger des Jahres

Provokationen, die zu reden gaben: Grass’ Gedichte, Knüsels Kulturinfarkt und Pussy Riots Putinkritik. Das Jahr 2012 hielt einige Aufreger parat, von Kulturschaffenden aber auch von Kulturbeamten. Provokationen, die zu reden gaben: Grass’ Gedichte, Knüsels Kulturinfarkt und Pussy Riots Putinkritik. Das Jahr 2012 hielt einige Aufreger parat, von Kulturschaffenden aber auch von Kulturbeamten. 1. Pussy Riot […]

Pussy Riot: Ihr Auftritt in einer Moskauer Kirche führte zur Verhaftung und Verurteilung..

Provokationen, die zu reden gaben: Grass’ Gedichte, Knüsels Kulturinfarkt und Pussy Riots Putinkritik. Das Jahr 2012 hielt einige Aufreger parat, von Kulturschaffenden aber auch von Kulturbeamten.

Provokationen, die zu reden gaben: Grass’ Gedichte, Knüsels Kulturinfarkt und Pussy Riots Putinkritik. Das Jahr 2012 hielt einige Aufreger parat, von Kulturschaffenden aber auch von Kulturbeamten.

1. Pussy Riot

Weil sie im Februar in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale ein Punkgebet gegen Wladimir Putin aufgeführt hatten, landeten sie im Gefängnis: Die 22-jährige Nadeschda Tolokonnikowa, die 24-jährige Maria Alechina und die 30-jährige Jekaterina Samuzewitsch alias Pussy Riot. Zwei von ihnen wurden des «Rowdytums» aus religiösem Hass schuldig gesprochen und zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt, was weltweit Proteste und eine Debatte über die Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Russland auslöste. Auf das Urteil gegen die drei Punk-Aktivistinnen folgte das Urteil der Kreativen gegen Putin: Der russische Präsident wurde in Karikaturen und Collagen verhöhnt und verspottet. Doch so gross die weltweite Solidarität mit Pussy Riot war (sie erhielten den Lennon-Ono-Preis und wurden gar für den EU-Menschenrechstpreis nominiert) – auch kritische Stimmen wurden laut, so bezeichnete der russische Regisseur Dmitry Krymov die Aktivistinnen im Gespräch mit der TagesWoche als «einfältige Mädchen».

2. Kulturinfarkt

Ende September trat Pro Helvetia-Direktor Pius Knüsel zurück und machte Platz für seinen Nachfolger Andrew Holland. Der Rücktritt Knüsels nach zehn Jahren kam einigermassen überraschend – wurde aber von vielen mit dem kleinen Skandal verknüpft, den er als Co-Autor des Buches «Kulturinfarkt» mitverantworten musste. In dem Buch hatte der oberste Schweizer Kulturchef gemeinsam mit anderen Kulturforschern für einen radikalen Umbau bei der Kulturförderung plädiert: Die Hälfte aller staatlich geförderten Theater, Museen oder Bibliotheken könne geschlossen werden, schreiben die Autoren – allerdings in Bezug auf Deutschland. Ihr Befund: Die Forderung «Kultur für alle» sei gescheitert. Grundlage des Paukenschlags war die Beobachtung, dass das kulturelle Angebot ständig wachse, die Zahl der Konsumenten hingegen nicht. Der Stiftungsrat der Pro Helvetia distanzierte sich prompt von der «polemischen Form» des Buches. Gleichzeitig aber stellte er sich hinter Pro Helvetia-Direktor Knüsel – und betonte auch bei dessen Rücktrittsankündigung noch, mit dem «Kulturinfarkt» habe dieser nichts zu tun.

3. Grass’ Gedichte

Der alte Mann kanns nicht lassen: Günter Grass, Träger eines Schnurrbarts und eines Literaturnobelpreises, hat auch in diesem Jahr erfolgreich provoziert: Sein Israel kritisches Gedicht «Was gesagt werden muss» sorgte im April für heftige Debatten. Grass warnte darin vor einem atomaren Erstschlag im Nahen Osten und griff Israel scharf an. Als hätte er damit nicht genügend Zündstoff geliefert, schob er im Herbst nach und feierte in seinem neuen Gedichtband «Eintagsfliegen» u.a. einen wegen Spionage zu 18 Jahren Haftstrafe verurteilten israelischen Nukleartechniker als «Held» und «Vorbild». Die Verbissenheit, mit der der 85-jährige – pikanterweise in jungen Jahren Mitglied der Waffen-SS – sich mit seinen dritten Zähnen an Israel festbeisst, ist das eine. Die enttäuschend schlechte Qualität seines Gedichts «Was gesagt werden muss» das andere. Für 2013 wünschen wir uns, dass er sein restliches Alterswerk für sich behält und still sein Pfeifchen raucht.

4. Ärger in der Basler Literaturszene

Als Philippe Bischof im April 2012 das neue Kulturleitbild des Kantons Basel-Stadt präsentierte, gewährte er uns ein Interview. Und machte dabei eine Aussage, mit der er den Ärger der regionalen Literaturszene auf sich zog: «Die Literatur ist zurzeit in Basel nicht herausragend», stellte Bischof fest. Prompt protestierten Literaturschaffende mit einem offenen Brief in der TagesWoche, in der Hoffnung, dass der Basler Kulturchef die Wogen wieder glätten würde.

Dicke Luft gabs auch innerhalb der BuchBasel. Der defizitäre Verein LiteraturBasel entschied im Frühjahr, fortan alle Kräfte auf das Literaturfestival zu konzentrieren und sich von der Buchmesse zu verabschieden. Felix Werner schied aus dem Vorstand aus – er hatte vergeblich dagegen argumentiert, dass die Messe stetig steigende Besucherzahlen ausweisen konnte. Trotzig und im Alleingang kündigte er im Herbst einen Neuanlauf der Basler Buchmesse an. 2014 soll diese im Rahmen der Muba durchgeführt werden, als Trägerschaft schwebt ihm eine Publikums-AG vor.

5. Verwaltete Lebenskultur

Reglemente, Verordnungen, Rekurse: Die Kultur der Einsprachen und Vorgaben hat in Basel zugenommen – zumindest in unserer Wahrnehmung. Es wird schwieriger, seiner Freude einfach mal frisch freien Lauf zu lassen. Die Basler Verwaltung ermöglicht zwar kreative Gestaltungen, will aber auch stärker mitreden – etwa bei der Hafen-Zwischennutzung, die noch nicht so recht vom Fleck gekommen ist. Wir denken auch an die Strassenmusiker, die seit 2012 gut daran tun, zuerst eine Verordnung zu studieren, ehe sie loslegen (zu viert und nicht etwa zu fünft! Die Qualität ist egal!). Oder an die Gastrokultur, deren Mediterranisierung zum einen begrüsst wird, andererseits begrenzt (Ruhe in den Innenhöfen, Einsprachen bei Buvetten). Jugendliche, die Freiräume suchen, bekamen die Repression durch die Polizei zu spüren, welche improvisierten Partys in Kampfmontur begegnete. Auf der anderen Seite musste auch das militärische Tattoo um die Durchführung bangen. Ein schwacher Trost, dass es in anderen Städten wie Bern nicht besser ist.

6. Kein Shift-Festival

Die Entscheidung, wenn auch nicht erst im 2012 getroffen, bleibt schwer nachvollziehbar: Anstelle des bereits etablierten, zwar teuren, aber durchaus erfolgreichen Shift-Festivals mit nationaler, wenn nicht gar internationaler Ausstrahlung gibt man dem Dauerbetrieb des Hauses für elektronische Künste (HEK) den Vorrang. Dieses kämpft nun an einer schwierigen Lage mit mauen Besucherzahlen (oft nicht mehr als fünf Personen an einem Tag) und kann den Wegfall des Festivals im 2012 und 2013 trotz ansprechender Ausstellungen nicht kompensieren. Dass man gerade in einer Zeit des Clubsterbens und einer gleichzeitigen, steten Zunahme der Relevanz von Festivals der Stadt Basel ausgerechnet dieses Festival für elektronische Kunst und Musik entzieht, bleibt nach wie vor äusserst schwer zu verstehen.

7. Missen Massaker

Einen Eklat löste Michael Steiner zwar nicht aus, auch gab es keine Skandälchen wie bei der langwierigen Entstehung seines vorherigen Films «Sennentuntschi». Wohl bescherte uns der erfolgsverwöhnte Schweizer Filmregisseur aber einen Flop. Sein «Missen Massaker» feierte auf der Piazza Grande in Locarno Premiere – und enttäuschte. Tatsächlich liess Steiners Versuch, zugleich eine Horrorkömodie und Genre-Hommage zu kreieren, jegliche Spannung vermissen. Was Hollywood in den 90er-Jahren überzeugend gelang («Scream», «I Know What You Did Last Summer»), fand in der Schweiz keine Fortsetzung. «Kommt wie eine Ferienreise von Kuoni daher», lautete das Verdikt unseres Kritikers Hansjörg Betschart. Für diesen Horrorfilm heisst das mit anderen Worten: «Miss Raten».

Nächster Artikel