Adieu! 5 Dinge, die ich bei der TagesWoche gelernt habe

Andreas Schwald verlässt per Ende Februar die TagesWoche. Er bereitete die Redaktion seit Juli 2015 auf die Übernahme durch die neue Chefredaktion vor. Oh, wie dieser Kühlschrank miefte, schon wieder. Ich drehte den Thermostat aus, entfernte grob den Dreck, liess die Türe offen. Die wenigen kalten Flaschen hatte ich kurz zuvor noch verteilt, die letzte […]

Auf bald! Es war sehr intensiv. Andreas Schwald verlässt die TagesWoche.

Andreas Schwald verlässt per Ende Februar die TagesWoche. Er bereitete die Redaktion seit Juli 2015 auf die Übernahme durch die neue Chefredaktion vor.

Oh, wie dieser Kühlschrank miefte, schon wieder. Ich drehte den Thermostat aus, entfernte grob den Dreck, liess die Türe offen. Die wenigen kalten Flaschen hatte ich kurz zuvor noch verteilt, die letzte alte Senftube entsorgt.

Das wars. Am Dienstag, 29. Dezember, kurz vor 18 Uhr, löste ich den einst ikonischen Newsroom der TagesWoche auf. Seither befindet sich die Redaktion vollständig im ersten Stock in der Mitte und mit Christian Degen hat sie auch einen neuen Chef. Hallo, Christian!

Es war ziemlich nass draussen, als ich den alten Schlotterbeck-Kronleuchter ausknipste und die viel zu schwere Glastür ins Schloss zog, das letzte Mal. Vier Tage nach Weihnachten, drei Tage vor Neujahr und 15 Monate nach meinem ersten Arbeitstag im Oktober 2014.

Zuvor leitete ich während gut drei Jahren die Nachrichtensendung «7vor7» von Telebasel. Ich wollte jetzt zurück, zurück zum Schreiben. Erzählen statt restrukturieren. Inhalt recherchieren statt Personal disponieren. Und ich wollte vorwärts: Online. Und wenn online, dann bei der TagesWoche.

Das Ende des Newsrooms hinten in der Mitte, das Ende auch der Leuchtschrift.

Mein Bedarf an Establishment-Cüpli war also fürs erste gedeckt. Mehr Handwerk, bitte. Mehr Werkzeug. Hauptsache Journalismus.

Und das kam dabei heraus:

Seit Oktober 2014 habe ich insgesamt 233 Beiträge auf www.tageswoche.ch publiziert, darunter 14 Blogbeiträge und 12 Community-Kommentare (ja, Letzteres hätte noch Luft nach oben).

Bei 331 Arbeitstagen seit Stellenantritt ergibt das abzüglich der bis dato 31 Ferientage eine persönliche Quote von 0,7039 Beiträgen pro Arbeitstag.

Übersicht verloren? Zum Glück gibts dafür eine App!

Angesichts der Tatsache, dass ich ab Juli 2015 erst die Funktion als stellvertretender Chefredaktor ad interim und dann die Geschäftsleitung als Chefredaktor ad interim einnehmen durfte, verrechne ich die Quote per Handgelenk also noch mit ziemlich viel Administrationsarbeit. Was mich alles in allem mit den 0,7 Beiträgen pro Tag quantitativ persönlich ganz zufrieden stimmt.

Zu meinen persönlichen Favoriten gehören:

Gute Menschen, engagiertes Team

Jetzt ist Zeit, weiterzugehen. Das hat persönliche Gründe: Ein Vorsatz, ein Versprechen auch an mich selbst. Dazu kommt das Faktische: Einmal kurz durch den Betrieb gepflügt, das hinterlässt Spuren. Vielleicht auch im Betrieb.

Die vorzeitige Rückkehr in eine Managementfunktion war spannend. Wir haben gemeinsam in kurzer Zeit sehr viel erlebt. Vor allem haben wir viel bewegt. Die TagesWoche entwickelt sich weiter und mir verbleibt hier noch etwa ein Monat mit tollen Journalisten, mit gewitzten Digitalexperten, vor allem aber mit guten Menschen.

Dass ich nach gut einem Jahr derjenige sein würde, der oben auf der Leiter steht und eigenhändig die Leuchtschrift vor dem Newsroom abmontiert, das war so nicht vorgesehen. Manchmal ändern sich die Dinge. Sehr schnell.

Ein bisschen wehmütig war mir also schon zumute, als der Kronleuchter da im hohen, kalten, leeren Nachrichtenraum erlosch. Doch die Wehmut verfliegt, wenn ich mich an diese

 

5 Dinge

erinnere,

die ich bei der TagesWoche über Online gelernt habe:

 

1. Bleib knusprig.

Fassen Sie sich kurz. Oder auch nicht. Hauptsache, Sie halten Ihre Leser bei der Stange. Verachten Sie aber dabei nicht den Inhalt: Schreiben Sie über etwas Sorgenvolles? Probieren Sie, eine positive Haltung einzunehmen. Oder etwas Munteres? Dann sollten Sie sich damit nicht extra noch anbiedern.

Inhalt kommt also vor Stil. Denn taugt der Inhalt nichts, rettet ihn auch die schönste Sprache nicht. Klar, sagen Sie jetzt, das sind die Grundregeln für gutes Schreiben. Aber jetzt lesen Sie mal das:

2. Das Internet ist gross. Aufmerksamkeit ist die Währung (und alle wollen auf Ihr Smartphone).

Im Internet herrscht Krieg. Krieg um Ihre Aufmerksamkeit. Na, was unterbricht Sie gerade alles bei der Lektüre dieses Stücks? Haben Sie eine WhatsApp-Nachricht gekriegt? Eine Push-Meldung über ein Promi-Baby? Eine E-Mail vom Chef? Schauen Sie bitte nicht nach.

Ihre Aufmerksamkeit ist das Mass der Dinge. Und die müssen wir mit Inhalt fesseln. Oder mit Content, wie man hier im Internet so sagt. Und das am besten auf Ihrem Smartphone. Denn das haben Sie den ganzen Tag dabei, darüber kommunizieren und konsumieren Sie stundenlang und seien wir ehrlich: Darauf passen Sie fast besser auf als auf Ihr Portemonnaie.

Also: Alle wollen da rein. Und alle wollen, dass Sie bleiben. Das Ziel ist nicht mehr, Sie zu einem Klick zu verführen. Wir wollen Ihre Zeit. Wir wollen, dass Sie noch mehr davon mit uns verbringen. Und nicht mit den andern, die Ihnen gerade eine WhatsApp oder auf Facebook geschrieben haben.

3. Daten sind Gold.

Sie hinterlassen Spuren. Wie Sie im echten Leben Mikroben, Haare, Hautreste und überhaupt überall Ihre DNS liegenlassen, tun Sie das im Internet auch. Mit Ihren Daten, Ihrem Verhalten, jedem Klick. Nur wird hier alles gesammelt. ALLES! Verstehen Sie? Alles. Nur so kommen wir zu Schlüssen wie oben.

Nun kann man die Daten verwenden, um Ihre Rolle als Staatsbürger zu überprüfen oder um Ihr Gefahrenpotenzial zu qualifizieren. Oder einfach nur, um Geld zu machen: Denn hier im Internet sind alle scharf auf Daten. Ist Ihre Aufmerksamkeit unsere Währung, dann sind Ihre Daten das Gold.

Aber ohne Erzählung und Kontext ist das alles nichts. Deshalb gilt auch hier: Daten sind erst der Rohstoff. Auch sie müssen erst einmal zu einer Erzählung werden. Und dabei helfen uns diese zwei Fragen:

4. Was ist dir wichtig – und warum?

Wer erzählt, gewichtet. Wer schreibt, lässt aus. Das liegt daran, dass Erzählung Struktur ist. Und Sprache erst recht.

Nun können wir also unbewusst weiterplaudern. Oder wir nehmen eine Haltung ein. Nein, das muss keine politische oder doktrinale Haltung sein. Das kann eine ganz persönliche Haltung sein. Was für Sie persönlich stimmt und was nicht. Sie sind deswegen noch lange kein linker Fötzel oder rechter Polteri.

Wissen wir, was uns wichtig ist und was nicht, können wir es auch formulieren. Haltung einnehmen zwingt uns, nachzudenken. Der Inhalt wird klarer, der Text besser, die Form bestimmter.

Denken Sie also darüber nach, was Ihnen wichtig ist. Machen Sie das immer wieder. Und denken Sie dabei immer daran:

5. Starte als Amateur. Trainiere weiter. Lerne, immer wieder. Aber vergiss nie: Du bist du. Und nur zu einem kleinen Teil die Figur, die da auf dem Autorenfoto dein Gesicht trägt, deren Name über dem Artikel steht und die gerade mit glasigen Augen ihre Klickzahl beobachtet.

(Und 6.: Schliess regelmässig deine Browser-Tabs.) 

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Andreas Schwald verlässt die TagesWoche per Ende Februar 2015. In der Zwischenzeit unterstützt er Chefredaktor Christian Degen. 

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