Kampfkunst und Martial-Art werden seit Marignano im Schweizer Film kaum gepflegt. Claudio Fäh und Anatole Taubman tun es in «Northmen: A Viking Saga». Das haut rein.
Der Schweizer Claudio Fäh hat einen gewaltigen Action-Film gemacht. Einen Film mit lauter Recken: Was für herrliche Worte es doch gibt. Der Recke. Viel zu selten erkundige ich mich bei Kolleginnen, wie es ihrem Recken so geht. Zu gross ist das Risiko, eventuell mit meiner Recken-Frage missverstanden zu werden. Ehe Sie mit ihrer Freundin «Northmen» anschauen, sollten Sie sie also über Recken aufklären:
Die meisten Frauen wissen heutzutage nämlich gar nicht mehr, was ein Recke ist, und wie lange er bleibt. Selber Schuld, werden die meisten Recken jetzt rufen. Die Gleichberechtigung habe es ja ums Verrecken so gewollt. Reckinnen habe es ohnehin nie gegeben.
Stimmt nicht ganz. Die gotischen Frauen dachten bei «wrikan» noch gerne daran. Die Altengländerinnen riefen sich sogar gerne zu, sie gingen mal einen «rekan», und meinten damit: einen treiben.
Männerwelten
Sogar die Altfriesinnen konnten mit «wreka» noch was anfangen. Es galt dann zu stossen oder gar strafen. Erst die altdeutschen Frauen fürchteten im Klartext: Ein «Wrehho» sei ein Rächer.
Zu Verwechslungen kam es erst bei den Gotinnen: Sie nannten die «Wraks» Verfolger. Da kam es leicht zu Übergriffen gegen «Wræcca», der doch eigentlich ein Verbannter, Abenteurer ja, gar: Fremder war!
Dennoch ist in Neuhochdeutschland der Recke wieder in. Am Wacken (Open-Air) tritt er in Horden auf, wie zum Beispiel die Melodic-Death-Metal-Bands Kult: «Amon Amarth», eine Recken-Horde, die seit Jahren gerne von den Wikingern singt.
Deren Frontsänger, Hohan Hegg, leiht seine Stimme den Wikinger-Göttern. Seine Art, seine Stimme entlang von Bierrülpsern zu modulieren, nährt schon lange den Verdacht, im Norden seien die Götter Bierbrauer.
Hegg spielt übrigens in «Northmen» einen der Recken, und ist dabei fast so erbarmungslos schlagkräftig wie auf der Bühne. Wie sein prächtiger Weggefährte Bjorn (James Norton), ist Hegg nicht etwa einer von den Bösen. Er spielt den guten Valli. Was Hegg mit seinem musikalischen Schaffen bislang gelungen ist, schafft er auch als Valli. Er stemmt sich gegen die Massen in Wallung.
Recken – vom 9. Jahrhundert bis in unserer Tage?
Was hat nun ein Altdorfer Filmregisseur mit den Wikingern am Helm? Den Hut! Claudio Fäh ist mit dem Kampf gegen Tyrannen vertraut. Er ist seit Jahren ein ausgewiesener Action-Spezialist. Warum soll er also nicht ein Wikinger-Drama angehen? Er tut es ohne Kompromisse. Er lässt eine Horde von Vertriebenen im Irgendwo vor einer gächen Meeresklippe stranden. Ohne Waffen. Ein Spielball der Naturkräfte, wie er selbst im Interview sagt.
Doch die Gewalt der Natur verblasst rasch vor dem Wagemut der Recken. Und nicht nur die Natur ist feindlich. Auch der Feind ist natürlich nicht zu unterschätzen. Der schottische König ist nicht amused von der Schlagkraft der Verbannten. Und der König ist der astreine Böse.
Wenn der Zentralschweizer Regisseur («Hollow Man 2») seinen Schweizer Schauspieler Anatole Taubman einen der Bösewichte spielen lässt (als Killer des Königs), lassen beide auch keine Sekunde Zweifel daran, dass dieser Bovarr zu jeder Bosheit fähig sein wird.
Schauspieler, die das Risiko nicht scheuen
Dabei verlässt sich der Regisseur Fäh aber nicht nur auf seine Action-Erfahrung. Er überlässt seinem Schauspieler durchaus auch den Raum, sich in den Nuancen des Bösen zu entfalten – auch im gröbsten Schlachtgetümmel.
Dieser Kampffilm ist längst nicht nur Kampf. So findet Charlie Murphy, als verratene Königstochter Inghean, noch mitten im Morden Zeit, für einen Augenblick der Einsicht: Sie ist zum Spielball geworden, von allen Seiten, sogar von ihrem Vater, im Stich gelassen – und sorgt für eine emotionale Entscheidung im Überlebenskampf.
Kampfgetümmel aus vordemokratischer Zeit
«Northmen» verführt dennoch vor allem mit Action und Kampfkunst. So viel Martial-Art hat der Schweizer Film seit Marignano nicht mehr gesehen. Fäh beweist dabei erstaunlich viel Erfahrung im filmischen Kriegshandwerk. Er kennt sich – als Urner – auch im Sagen-Genre aus. Eigentlich erzählt er die Sage von der verstossenen Prinzessin neu.
Obwohl Fäh sich selber als Pazifist bezeichnet, zeigt er Nehmer- wie Geberqualitäten. Er setzt souverän auf Kampfkunst mit Schwert und Armbrust, und das durchaus auch mit Flair für cinéastische Feinheiten: Wenn der Bösewicht zuschlägt, und die Klinge auf das Opfer niederrast, müssen wir das Resultat nicht mehr sehen: Cut! Das Hackbeil fährt stattdessen in den Schinken, der zum Essen bereitet wird. Das haut rein!
Wenn die Klinge aufs Opfer niederrast, müssen wir das Resultat nicht mehr sehen: Cut! Das Hackbeil fährt stattdessen in den Schinken, der zum Essen bereitet wird. Das haut rein!
Fäh reiht sich dabei nicht in die Reihe jener ein, die in der Martial Art nur die Sensation der Brutalität als Verkaufsargument suchen. Er hat seine Genre-Vorbilder zwar sichtbar studiert. Aber er konzentriert sich mit den Schauspielern dennoch auf die Geschichten der Figuren, und sucht mit der Erzählweise so Spannung. Er zeigt, wie eine Gruppe von Ausgestossenen zusammenwachsen kann, kooperiert und – sogar Humor kennt.
Fäh empfiehlt sich als historisch präzises Rauhbein. Tatsächlich kommt in «Northmen» auch die Armbrust vor – das Swiss-Made-Logo (das die Chinesen im 5.Jh v. Chr. erfanden, und die Europäern später abkupferten). Fast bedauert man, dass Fäh den Film nicht einem frühen Exportschlager der Eidgenossenschaft gewidmet hat – der Reisläuferei.
Fäh wäre genau der richtige, um die isländische Sage um Hemingr Áslákson zu erzählen, der, wie der dänische Held Toko vom König gezwungen wurde, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schiessen…
Die erforderliche Action-Palette hat Fäh bereits zur Hand: Sprünge von Klippen. Widerstand gegen ungerechte Herrscher. Rudern in aufgewühlter See. Flucht durch die Wälder. Kämpfer, die sich helfen. List gegen die böse Übermacht. Sogar mit der Armbrust kennt er sich aus. Tell me more! Verrecktesiech!
Fäh spielt mit allen Elementen – des 9. Jahrhunderts
Während wir mit dem Wikinger-Haufen durchs schottische Hochland (gedreht wurde in Südafrika) irren, findet auch eine religiöse Läuterung statt. Ein christlicher Mönch findet in der Auseinandersetzung mit den Heiden eine neue Läuterung im Glauben. Und wir lernen, was eine Männerfreundschaft ganz ohne Kampftrinken und Wettrülpsen auch sein kann. Eine teambildende Massnahme.
Im Gegensatz zu anderen handelsüblichen Action-Streifen sind die Nordmänner sorgfältig gemacht, hin und wieder sogar freiwillig komisch. «Nordmänner» ist aber auch ein Film für Freundinnen des Bizeps. Warmduscher, Stehpinkler und Klobrillehochklapper seien gewarnt. Sie verlassen das Kino besser durch den Hinterausgang, wenn sie den überhaupt finden.
Dass Kampfkunst immer eher einfältig ist (aber sorgfältig zelebriert wird), mag man einem Wikingerfilm nicht ankreiden. Die Filmkritik soll – im 9. Jahrhundert, damals in althochdeutsch – dem Wikingerfilm immerhin laut entgegen gerufen haben:
Ih hoeren sint dìner kintheit vil singen und sagen
Du habest bî dinen ziten der recken vil erslagen
(Auf neudeutsch: Cool).
Heisst das, Sie müssen den Film ums Verrecken anschauen? Wenn Sie sehen wollen, wie ein Schweizer Filmemacher mit einem anständigen Budget Action stilrein präsentiert, ja. Wenn Sie das Genre auch lieb mögen, gewiss. Sie werden danach immerhin altzürichdeutsch ausrufen können: Ganz verreckt!
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Der Film läuft in den Pathé-Kinos. Das Interview mit Regiesseur dazu finden Sie in der TagesWoche.