Plädoyer für eine grosse Botschaft

Auch wenn die Kirchen immer leerer werden – an der Faszination der Weihnachtsbotschaft ändert sich nichts.

Weihnachtsfreude 1959 in Les Baux-de-Provence: Vor der Kirche versammeln sich die Teilnehmer an der traditionellen Hirtenzeremonie «lou pastrage». (Bild: Kurt Wyss)

Auch wenn die Kirchen immer leerer werden – an der Faszination der Weihnachtsbotschaft ändert sich nichts.

Hätte in den letzten fünfzig Jahren nicht der Tourismus selbst die abgelegensten Winkel der Provence erreicht, so wäre Les Baux, das als eines der schönsten Dörfer Frankreichs ausgezeichnet wurde, wahrscheinlich längst ausgestorben. Doch auch so leben im historischen Kern des im Mittelalter als Hochburg der Minnekunst berühmten Städtchens gerade noch etwa 20 Einwohner. Auf dem gesamten Gemeindegebiet sind es noch rund 400. In der Blütezeit, als mächtige Fürstengeschlechter in einer imposanten Befestigungsanlage über die Gegend herrschten, waren es stolze 4000.

Die wenigen Leute, die sich der wirtschaftlichen Not zum Trotz nicht aus Les Baux vertreiben liessen, sind tief im kargen Boden ihrer Heimat verwurzelt, der neben bizarren Felsformationen auf einem Plateau wenig mehr hergibt als das Gras als Grundlage für die hier seit uralten Zeiten betriebene Schafzucht. Hirtinnen und Hirten in ihren historischen Trachten sind neben einer Schar jugendlicher Engel heute noch die Hauptdarsteller im berühmten Krippenspiel, das alljährlich an Weihnachten Einwohner und Besucher der Gemeinde mit dem Stern von Bethlehem im Wappen verzaubert. Im Mittelpunkt der mit Flötenmusik umrahmten Zeremonie jedoch steht ein Lamm, das als Symbol der Unschuld vom Dorfpriester während der Mitternachtsmesse geweiht wird.

Den Stern von Bethlehem trägt Les Baux seit über 1000 Jahren im Wappen, als die damalige Herrscherfamilie behauptete, von Balthasar abzustammen, einem der drei Könige aus der biblischen Geschichte. Ein weiterer Beweis für die Faszination, welche die Legende von den Ereignissen um Christi Geburt zu allen Zeiten auslöste und welche auch heute noch die Hoffnung unzähliger Menschen beflügelt.
Diese Hoffnung auf eine Welt in Frieden und Gerechtigkeit keimt in jedem von uns. Ganz unabhängig davon, ob man der christlichen Weihnachtsbotschaft jenen Glauben schenken will, den menschlicher Wahn zum «alleinseligmachenden» deklariert hat. Hoffnung ist ein unveräusserliches Erbgut, ist Zuversicht trotz allem. Hoffnung ist weder lern- noch unterdrückbar. Sie hält auch jene aufrecht, deren Glaube an eine bessere Welt dem Zweifel oder gar der Resignation gewichen ist.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, lehrt uns das Sprichwort, das sich in dieser Formulierung allerdings als eines von der eher dümmlichen Sorte entlarvt. Die Hoffnung als Teil der Fortpflanzung ist ein Stück unserer eigenen Ewigkeit. Sie stirbt nie! Gut, dass uns die unverfälschte Weihnachtsbotschaft alle Jahre wieder an dieses einmalige Geschenk erinnert. Weihnachtsfreude 1959 in Les Baux-de-Provence: Vor der Kirche versammeln sich die Teilnehmer an der traditionellen Hirtenzeremonie «lou pastrage».

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.12.12

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