Vom Detektiv bis zur Femme fatale: Die 7 wichtigsten Merkmale eines Film noir

1. Der Detektiv Er ist ein Einzelgänger in einem viel zu dünnen Trenchcoat für diese kalte Welt, desillusioniert, aber aufrichtig. Zumindest im klassischen Film noir, wo der Antiheld männlich und die Damenwelt an Gerechtigkeitsromantikern wie Humphrey Bogarts Philip Marlowe interessiert ist. Nur flirtet der Detektiv höchstens, wenn er Zeit überbrücken muss wie in «The Big […]

Blondes Gift für den Detektiv: Die Femme fatale, hier von Kim Basinger verkörpert in «L.A Confidential» (1997).

1. Der Detektiv

Er ist ein Einzelgänger in einem viel zu dünnen Trenchcoat für diese kalte Welt, desillusioniert, aber aufrichtig. Zumindest im klassischen Film noir, wo der Antiheld männlich und die Damenwelt an Gerechtigkeitsromantikern wie Humphrey Bogarts Philip Marlowe interessiert ist. Nur flirtet der Detektiv höchstens, wenn er Zeit überbrücken muss wie in «The Big Sleep». Trotzdem ist er ein grundguter Kerl, auch wenn sein Auftreten und seine Methoden nicht immer über jeden Zweifel erhaben sind.

Ein helvetischer Ableger des harten Kerls mit weichem Kern ist übrigens Friedrich Glausers Wachtmeister Studer, der schon mal ein Auge zudrückt, wenn der lange Arm des Gesetzes einem Unglückseligen den Schnauf abzustellen droht.

2. Die Femme fatale

Lauren Bacall hat sie wunderbar verkörpert, mit ihrem Augenaufschlag, dem lasziven Blick und der kühlen Gestik, die dem Manne signalisiert: Gib mir Feuer. Aber verbrenn dir nicht die Finger. Die Femme fatale tauchte schon in den 1930er-Jahren auf, unvergesslich das Zitat von Mae West:

Marlene Dietrich, Marilyn Monroe, Veronica Lake, Faye Dunaway: Die meisten Femme fatales sind blondes Gift. Das bestätigt auch die jüngere Vergangenheit, denken wir nur an Sharon Stone in «Basic Instinct» (1992) oder an Kim Basinger in «L.A. Confidential» (1997). Darin findet sich auch die schönste Hommage an die Femmes fatales des Film noir überhaupt, verkörperte Basinger doch in diesem hervorragenden Krimi eine Edelprostituierte, die der Hollywood-Diva Veronica Lake bis aufs Haar gleicht. Und damit die Phantasien ihrer Kunden erfüllt.

3. Der verzwickte Fall

Der Film noir strotzt nur so vor «red herrings», gepökelten Fischen, die die Spürnase des Detektivs mit ihrer strengen Duftnote in die Irre führen sollen: Sie legen falsche Fährten, die vom grossen Bild, dem eigentlichen Übel ablenken. Und wenn wir schon beim Fisch sind, ist es eben so, dass dieser vom Kopf her stinkt, und der sitzt ganz oben.

Als Paradebeispiel sei hier «Chinatown» (1974) von Roman Polanski angeführt, eine komplexe Geschichte um Wasserrechte, die plötzlich im inzestuösen Sumpf einer angesehenen Familie landet. Nicht umsonst gilt das Oscar-prämierte Drehbuch zu «Chinatown» als eines der besten, die je in Hollywood verfilmt wurden.

Als Faustregel gilt deshalb: Je weniger man von der Handlung begreift, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen Film noir handelt.

4. Die Sünden-Stadt

Ein Film noir spielt immer in einer Stadt, die ihre Einwohner zu verschlingen scheint – und das durchaus im zivilisationskritischen Sinn. Kalifornien, ja, Los Angeles lag den Studios natürlich immer schon nahe, eignet sich aber auch wirklich hervorragend, mit seinen Hügeln und den schlängelnden Strassen – so etwa dem Mulholland Drive, der runter führt in den Moloch. Als Alternative empfiehlt sich die Wüstenstadt Las Vegas, ebenfalls schön polarisierend: viel Sonne, viel Licht, aber auch viele dunkle Machenschaften, viel Sünde.

Die Bipolarität, die Risse im Lack, werden in der Eröffnungsszene von «L.A. Confidential» sehr schön skizziert. Danny DeVito spricht in seiner Rolle als Journalist zunächst vom Paradies und der Sonnenseite Amerikas, ehe er die finstere Wahrheit, die Bigotterie, die Hölle hinter jeder Strassenecke, offenbart.

5. Die Drogen

Es wird oft und gerne getrunken in einem Film noir. Allein dem Dude in «The Big Lebowski» ist es zu verdanken, dass der Drink «White Russian» um die Welt gegangen ist und auch hierzulande am Tresen bestellt werden kann. Für die Nicht-Erleuchteten: Der Cocktail setzt sich aus Wodka, Kaffeelikör (Kahlua) und Milch zusammen. Süffig, vor allem zum Frühstück.

Vor lauter «White Russians» vergisst man beinahe, dass in diesem Film auch zahlreiche Haschzigaretten geraucht und bewusstseinserweiternde Substanzen in Drinks gemischt werden. So, wie das schon in John Hustons Schwarzweiss-Klassiker «The Maltese Falcon» (1941) der Fall war. Was zuerst da war, die Rauschzustände oder die Paranoia, lässt sich in einem Film noir oft nicht so genau sagen.

Und wenn man den Film noir mit den Gonzoerfahrungen eines Hippie-Journalisten kreuzt, dann gelangt man zur vielleicht zugedröhntesten Essenz der Filmgeschichte: «Fear and Loathing in Las Vegas». Herrlich, wie Terry Gilliam 1997 die Reportage von Hunter S. Thompson adaptiert, bei der sich die paranoide Hauptfigur vor allem vor sich selber fürchten muss: «Wo ist der Äther? Das Meskalin wirkt nicht!» Ein Horrortrip zum Totlachen.

6. Das Voice-over

Ermittler sind ja eher stille Typen, die einsam an einer verregneten Strassenecke herumlungern und beobachten. Falls sie dann doch einmal den Mund aufbekommen, dann nur um ihre Worte so zielsicher zu platzieren wie Kugeln. Aber das reicht manchmal nicht. Auch ein harter Hund muss seine Sorgen hin und wieder wälzen, und da Freunde und Familie rar sind, tut er das eben in seinem Kopf.

Dieser innere Monolog, auch als Voice-over bekannt, macht Unausgesprochenes für den Zuschauer verständlich, schafft Kontext. Dabei muss die Stimme im Kopf nicht einmal zwingend zur Hauptfigur gehören, wie «The Big Lebowski» schön zeigt. Darin führt ein dem Film noir artfremder Cowboy den Slacker-Detektiv Jeff «The Dude» Lebowski ein. 

Noch gewagter ist Billy Wilders grossartig grusliger Noir «Sunset Blvd.»: Die Stimme, die darin zum Schauplatz eines Verbrechens führt, klingt aus dem Jenseits, der dazugehörige Körper treibt leblos in einem Pool. 

7. Licht und Schatten

Wo Schatten sind, ist auch Licht. Im klassischen Film noir kommt die bewährte Drei-Punkte-Beleuchtung zum Einsatz (von vorn, hinten und der Seite), allerdings mit einem klaren Schwerpunkt: Die Figuren werden oft so hart angestrahlt, dass grosse Teile des Bildes im Schwarz versinken.

Nach Hollywood importiert wurde das expressionistische Helldunkel, das immer auch die moralische Ambivalenz der Figuren enthüllt, von deutschen Einwanderern. Zu den ikonischen Aufnahmen zählt das gebänderte Licht, das durch eine halb geöffnete Jalousie fällt, oder der flüchtende Schatten auf einer Hauswand wie in «The Third Man» (1949).

Jüngere Filmemacher verkehrten das Stilmittel auch einmal in sein Gegenteil. Der sogenannte «Film soleil» badet finstere Absichten in hellem Licht: «The Talented Mr. Ripley» (1999) beispielsweise treibt sein Unwesen unter der gleissenden Sonne des Mittelmeers.

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