Der Mann, der über Jahre die wichtigsten Notenbanker der Welt hofierte, will die Welt verändern. Elf Jahre war Peter Dittus Generalsekretär der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) beim Bahnhof SBB. Seit vergangenem Dezember ist er pensioniert.
Dittus, der sich 2011 der Kritik von Occupy Basel stellte, hat nun zu Papier gebracht, was ihn bereits seit Jahren beschäftigt: die verfehlte Politik der G7.
Dittus und sein ehemaliger Weggefährte, Hervé Hannoun, kritisieren in ihrem Manifest die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die seit Jahren Geld druckt, um eine Deflation zu verhindern. Die beiden Autoren gehen aber noch viel weiter: Sie beschreiben, was nötig wäre, um den CO2-Ausstoss wirklich zu reduzieren, und warum die grössten Industrienationen in einen nächsten Krieg schlafwandelten.
Diese Kritik habe er schon bei der BIZ zu vertreten versucht, sagt Dittus. «Das Schöne an der BIZ ist ja, dass sie eigentlich eine Institution ist, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist.»
Diese Aussage mag erstaunen, dient die BIZ doch für viele als Projektionsfläche für die kapitalistische Machtordnung. Die «Bank der Zentralbanken» wurde 1930 im Zusammenhang mit den Reparationszahlungen Deutschlands gegründet. Bis 1977 war die BIZ in einem ehemaligen Hotel neben dem Bahnhof SBB untergebracht. Ein unscheinbares Schild wies darauf hin, dass sich dort die mächtigsten Notenbankchefs trafen – auch Gouverneure genannt.
1977 bezog die Bank ihr heutiges Hauptquartier, das Hochhaus am Centralbahnplatz 2. Die BIZ erfüllt heute verschiedene Aufgaben: Sie beherbergt das Financial Stability Board und das Basel Committee, verwaltet internationale Währungsreserven und dient als Forschungszentrum.
Die zentrale Funktion der BIZ ist jedoch immer noch, die Notenbankchefs der grössten Industrieländer zusammenzubringen. Diese treffen sich alle zwei Monate, dinieren im BIZ-Hochhaus und tauschen sich über aktuelle Entwicklungen aus. Der Mythos, der diese Treffen begleitet, speist sich meist aus der hohen Geheimhaltung der Gespräche.
Herr Dittus, Baslerinnen und Basler fragen sich, wenn sie am Hochhaus am Bahnhof vorbeikommen, was da hinter verschlossenen Türen besprochen wird. Die Treffen sind geheim, das Gebäude steht auf exterritorialem Grund, also ausserhalb des Schweizer Rechts. Das weckt bei vielen ein grosses Misstrauen.
Was es nicht alles für Verschwörungstheorien über die BIZ gibt. Man hört zum Beispiel, sie stehe im Zentrum des jüdischen Grosskapitals und der Rothschilds. Das ist natürlich Quatsch. Wenn man da arbeitet, ist es nicht mehr als ein einfaches Dienstleistungsunternehmen, das Daten zur Verfügung stellt und Diskussionen ermöglicht.
Die Sitzungen werden nicht protokolliert, über die informellen Treffen wird nur spärlich informiert. Warum denn die Geheimniskrämerei?
Man könnte die Sitzungen protokollieren. Die Frage ist nur, was damit gewonnen wäre.
Vertrauen zum Beispiel.
Es werden keine Entscheidungen in der BIZ getroffen. Ich sehe deshalb nicht, was Protokolle bringen würden. Kommt dazu: Alle Entscheidungen, die nach einer Diskussion in der BIZ getroffen werden, sind protokolliert bei den Nationalbanken. Jedes Land hat hierzu seine eigenen Regeln.
Der frühere Gouverneur der ungarischen Nationalbank hat einmal über die BIZ-Treffen gesagt: «Die hauptsächlichen Gesprächsthemen waren die Weinqualität und die Dummheit der Finanzminister.» Wie viel wissen Sie über Wein?
Unser Wissen über Wein hält sich in Grenzen. Darüber wurde bei uns nicht viel gesprochen. Vielleicht hat der ungarische Zentralbank-Gouverneur viel über Wein geredet, wer weiss. Vielleicht hat er das auch so formuliert, weil er zu dieser Zeit nicht in dem Gremium sass, wo die interessanten Diskussionen stattfanden.
Es wird also in erster Linie über die Wechselkurse und Finanzpolitik diskutiert, nicht über Wein.
Ich habe erlebt, wie intensiv über die Sache diskutiert wurde. Früher war es gemütlicher. Als ich in den 1990er-Jahren zur BIZ kam, da wurde mehr zusammen gegessen. Aber die inhaltlich wichtigen Gespräche waren auch da. Damals war es eine sehr kleine Gruppe, die sich regelmässig traf. Jetzt sitzen im Prinzip die G20 plus weitere am Tisch, früher waren es weniger als zehn.
Alle zwei Monate finden jeweils am Sonntagabend im 18. Stock die Diners statt, bei denen die Notenbankchefs der wichtigsten Industrieländer in geselliger Atmosphäre zusammensitzen und diskutieren. Wie muss man sich das vorstellen?
Diners sind immer gesellig, das ist so. (Lacht) Das Thema der Gespräche ist aber klar: die Märkte, die finanzpolitische Situation. Da sitzt zum Beispiel der Gouverneur von Mexiko, China oder Indien – anders, als manchmal angenommen wird, haben diese Länder auch einen Platz am Tisch. Es sitzen natürlich nicht alle drin, weil dann ein überschaubares Gespräch nicht möglich wäre. Aber ich würde sagen, es sind alle wichtigen Länder dabei.
Ist es für Sie nicht problematisch, dass die BIZ ein exklusiver Club bleibt, bei dem ganz viele – zum Beispiel afrikanische Länder – keinen Platz haben?
Jeder Club ist exklusiv. Und jedes vernünftige Gespräch, bei dem man Vertrauen aufbauen und sich austauschen will, findet im kleinen Kreis statt.
Sie sehen darin keine Ungleichbehandlung von bestimmten Ländern?
Ich sehe das nicht so. Was am Sonntagabend im kleinen Kreis besprochen wird, wird am nächsten Tag im Global Economy Meeting besprochen. Es ist also nicht so, dass nur die Grossen unter sich bleiben. Die Treffen im kleinen Kreis sind wichtig, weil sie in einer Finanzkrise den Unterschied machen können. Man kennt sich, vertraut sich, kann kurzfristig miteinander telefonieren und hat eine freundschaftliche Basis, auf der man aufbaut.
Was bleibt Ihnen von der Zeit bei der BIZ am meisten in Erinnerung?
Was mich am meisten beeindruckt hat, war der Umgang mit den Vorwürfen zu nachrichtenlosen Vermögen in den Neunzigern. Die BIZ musste sich auch Vorwürfe anhören, sie habe einen Anteil daran gehabt, dass jüdisches Gold in Schweizer Banksafes landete. Der damalige Generaldirektor sagte: «Wir glauben nicht, dass das so war. Aber wenn die Leute das glauben, dann sollen sie es überprüfen.» Alle Daten und Bücher wurden damals, ohne sie vorher durchzuschauen, gescannt und öffentlich zur Verfügung gestellt. Das Interessante war: Danach hat es keinen mehr interessiert. Wir haben daraus dann eine Forschung gemacht, weil wir wissen wollten, was wirklich passierte.
Was war das Überraschendste, was Sie an den Sonntag-Diners erlebten?
Das kann ich so nicht sagen. Der freundschaftliche Umgang, der allgemeine Ton, der herrscht, auch wenn man sehr kritisch miteinander diskutiert – das war für mich eine tolle Erfahrung. Ich war kürzlich auf einem Panel in Genf, wo ich den ehemaligen Gouverneur von Indien traf und es war, als ob man alte Freunde trifft. Das ist doch sehr speziell und schön.
Der regelmässige Austausch schafft solche Freundschaften.
Es ist ein persönlicher Austausch, der stattfindet. Man redet nicht nur über Ökonomie, man redet auch über seine Kinder. Irgendwie entwickelt man so auch eine Verbundenheit. Auf der Ebene der Zentralbanken ist das möglich, bei Politikern vielleicht weniger, die sind nun mal nicht so lange im Amt.
«Die Notenbankchefs bewegen sich in der ganzen Stadt – schauen Sie sich an einem Sonntagabend nur mal in der Fussgängerzone um.»
Hat sich bei der Sichtbarkeit der BIZ etwas verändert?
Die Sichtbarkeit war nie besonders gross. Die meisten Leute in Basel merkten es kaum, wenn wir die Meetings hatten. Was sich geändert hat, ist die Sicherheitslage. Wir haben das Glück, hier in der Schweiz zu sein, die Sicherheitslage ist allgemein immer noch sehr gut. Es gibt viele Gouverneure, die zu Fuss von ihrem Hotel in die BIZ laufen – nicht mehr vom Hilton, das gibt es ja nicht mehr, aber von anderen Hotels am Bahnhof oder vom «Trois Rois». Wer mit dem Auto kommt, fährt direkt in die Tiefgarage. Es wäre sicher keine gute Idee, mit einer Limousine vor dem BIZ zu halten und damit quasi zu sagen: «Hallo, hier kommt jemand Wichtiges!»
Wenn der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, oder Janet Yellen von der Fed in Basel sind, fliegen die am gleichen Tag wieder ab?
Nein, die übernachten selbstverständlich in Basel.
Aber die gehen nicht durch den Vordereingang hinein?
Doch. Auch. Das ist das, was vielen Gouverneuren in der Schweiz eben gefällt: Dass sie aus ihrem Hotel einfach so hinaus und durch den Park spazieren können. Es gab einen Gouverneur, der gerne schwimmt. Also habe ich ihm gesagt, er soll den Rhein runterschwimmen.
Haben Sie ihm einen Rheinschwimmsack besorgt?
Es war Sonntagabend und wir sassen beim Diner. Da habe ich ihm das erklärt. Er meinte: Mensch, das wär toll, das kann ich morgen vor dem Meeting machen. An dem Abend habe ich ihm von einem Freund so einen Schwimmsack besorgt und der Gouverneur ist damit am nächsten Morgen den Rhein runter geschwommen.
Ein Frühschwimmer! Das war an einem heissen Sommertag?
Nein, nicht einmal. Der schwimmt auch im Winter.
Lernen die Notenbankchefs also auch Basel kennen?
Sie schätzen Basel sehr. Sie bewegen sich in der ganzen Stadt – schauen Sie sich an einem Sonntagabend nur mal in der Fussgängerzone um.
Ist die BIZ mit ihrem Sonderstatus nicht völlig aus der Zeit gefallen, ein Anachronismus in einer Zeit, in der alles transparent sein soll und Hinterzimmergespräche verpönt sind?
Die BIZ ist relevanter als je zuvor. Die Welt war früher relativ einfach. Banken waren total reguliert, in einer Zeit von Goldstandard oder Dollarstandard gab es praktisch keine Geldpolitik. Es war so einfach, dass jeder den Mechanismus verstehen konnte. Die Geldpolitik wurde verkompliziert, als 1973 das allgemeine Floating kam …
… mit dem Abkommen von Bretton Woods wurde das System der festen Wechselkurse abgeschafft. Die Wechselkurse waren fortan schwankend, respektive schwebend, im Englischen floating.
Genau. Jeder einzelne Staat musste herausfinden: Wie funktioniert das? Das führte später zum sogenannten inflation targeting, also der Steuerung der Inflation mit dem Ziel von Preisstabilität. Im Finanzsektor haben sich aufgrund dieser Entwicklung die Euro-Dollar-Märkte in London gebildet, wo plötzlich riesige Kreditvergaben stattfanden. Das war kompliziert genug, dass nicht mehr alle so genau verstanden, wie das Ganze funktioniert. Da hat die BIZ unter anderem Statistiken und Analysen gemacht, um genauer zu verstehen, wie diese Märkte funktionieren und ob diese zum Beispiel nationale Märkte komplett aus dem Ruder werfen können. Und jetzt sind die Finanzmärkte noch viel komplizierter. Es gibt eine unüberschaubare Zahl an Finanzinstrumenten. Die BIZ bietet hierzu einige Forschungsarbeiten, die etwas Klarheit schaffen können.
Hat die Verkomplizierung des Systems zum grossen Crash 2008 geführt, weil die Finanzjongleure im amerikanischen Immobilienmarkt ihre eigenen Instrumente nicht mehr richtig verstanden?
Ja, viele der Akteure, die an verantwortlichen Stellen im Finanzsystem handelten, haben wahrscheinlich nicht mehr verstanden, was sie da tun. Die BIZ hat deshalb eine stärkere Funktion heute als in den 40er-, 50er- und 60er- Jahren.
In den Nullerjahren hat der damalige Chefökonom der BIZ, Bill White, bereits gewarnt, dass wir uns im Finanzsektor auf einem «gefährlichen Weg» befinden und auf einen grösseren Crash zubewegen.
Stimmt. White hat das bereits in den Nullerjahren Cassandra ähnlich formuliert, vielleicht zu wenig überzeugend. Hausintern war das Thema Finanzkrise aber ständig auf dem Radar. Es wurde von manchen mit Besorgnis diskutiert, von anderen etwas belächelnd.
Welche Rolle hat die BIZ gespielt, als die Krise 2008 akut wurde?
Es gab die Diskussionen innerhalb der BIZ, bei denen die Notenbankchefs versuchten, sich abzustimmen, wie sie vorgehen sollen. Aber ich würde nicht sagen, dass die BIZ eine zentrale Rolle spielte. Die BIZ war insofern wesentlich, weil sich die Notenbanker durch die Treffen in Basel gut kannten.
Im Herbst 2008 als die Investmentbank Lehman Brothers Konkurs anmeldete, geriet auch die UBS ins Wanken. Haben Sie sich mit dem damaligen Nationalbankchef, Jean-Pierre Roth, darüber ausgetauscht, was zu tun wäre?
Roth war in dieser Zeit Chairman der BIZ. Das Thema wurde auch bei uns diskutiert. Die UBS war – und ist natürlich immer noch – eine extrem wichtige Bank. Es ist deshalb klar, dass das Thema unter den Gouverneuren besprochen wurde. Aber letztendlich war es ein politischer Entscheid, wie man mit der Grossbank umzugehen hatte. Die BIZ hat bei dem Entscheid sicher keine tragende Rolle gespielt.
Wie bewerten Sie den Entscheid rückblickend, die UBS mit 68 Milliarden Franken Finanzhilfe zu unterstützen?
Nachträglich gesehen muss man sagen: Es war eine sehr gute Idee. Aber das weiss man natürlich noch nicht, wenn man die Entscheidung treffen muss. Wenn man die UBS hätte untergehen lassen, wäre das wahrscheinlich für die Schweiz und sogar den Bund teurer geworden als die Bank zu retten.
«Das Problem ist nicht, dass man Geld druckt, um eine Deflation zu verhindern. Sondern dass diese Politik nicht aufhört.»
Die Finanzkrise hat dazu geführt, dass die Banken mehr reguliert wurden. Das Basel Committee, das im BIZ-Hochhaus tagt, aber nicht unter der Direktive der BIZ läuft, hat zum Beispiel erwirkt, dass Grossbanken mehr Eigenkapital haben müssen. Kommt nun alles gut?
Nein. Dieser Prozess ist ja noch nicht mal abgeschlossen. Ein grosser Teil der Fragen, die angegangen wurden, sind geklärt, einige sind noch offen. Die Eigenkapitalbasis hat sich in dem Zusammenhang sicher verbessert.
In Ihrem Buch «Revolution required» kritisieren Sie sehr stark die Politik der G7. Sie sprechen von einem «Finanzextremismus» und fordern gar eine Revolution.
Mein Co-Autor, Hervé Hannoun, und ich sind ein bisschen provokativ.
Ihre Kritik zielt auf die lockere Geldpolitik der G7-Staaten, die immer mehr Geld drucken, um eine Deflation zu verhindern.
Das Problem ist nicht, dass man das probiert. Das Problem ist, dass diese Politik nicht aufhört. Schauen Sie sich zum Beispiel die Geldpolitik der USA seit 2000 an: Bei jeder Krise wurden die Zinsen runtergefahren, die Geldpolitik wurde expansiver. In Zeiten, als es wieder besser ging, beispielsweise zwischen 2003 und 2008, wurden aber keine Gegenmassnahmen ergriffen. Dass das falsch ist, sieht man in der Verschuldung, nicht der Banken, sondern der Unternehmen und Staaten. Man sieht es auch in der Entwicklung der Assetpreise. Wenn Sie sich den Shiller-Price-Earnings-Quotidient anschauen, sehen Sie, dass dieser Index auf dem höchsten Niveau seit 1929 ist – nur 2000 war der Wert höher.
Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass die Aktienwerte momentan sehr hoch sind, dass die Häuser sehr teuer sind, und dass es deswegen sehr wahrscheinlich ist, dass diese Preise sich irgendwann in der Inflation niederschlagen werden. Wir sehen das jetzt in England. Dort ist die Inflationsrate bereits auf 3 Prozent gestiegen. Darauf hat man reagiert und die Zinsen etwas erhöht. Das wurde bereits stark kritisiert: Das kann man doch nicht machen, wir haben den Brexit und so weiter. Es gibt immer den grossen Chorus der Leute, die sagen, man muss ganz hart durchgreifen, aber nie jetzt.
Sie sagen in Ihrem Buch, die jetzige Geldpolitik führte uns unmittelbar in ein Systemkrise. Die Frage sei nicht, ob, sondern wann diese komme. Das klingt apokalyptisch.
Wir haben schon viele Krisen überlebt und wir überleben auch die nächste. Die Frage ist, geht man das Risiko einer solchen Krise ein, statt stetig dagegen zu steuern und zu versuchen, ohne einen grossen Crash aus der gegenwärtigen Situation rauszukommen.
Es gibt Ökonomen und Historiker, die sagen, Wirtschaftskrisen gehören zum Kapitalismus dazu und wiederholen sich in bestimmten Zyklen. Auch für Karl Marx waren solche Krisen systemimmanent.
Ich würde es nicht als naturgegebenes Phänomen betrachten, wie ein Vulkanausbruch, bei dem man nicht viel machen kann. Wir wissen ja, wie die Politik ist, was die Effekte davon sind und was das schlussendlich auslöst, wenn es dann zusammenkracht. Wir wissen auch, dass die Staaten in der nächsten Krise viel weniger Möglichkeiten haben werden, einzugreifen. Die Zentralbanken können quasi nicht mehr reagieren, weil die Zinsen schon bei Null sind.
Also trifft uns die nächste Krise noch viel stärker als jene 2008?
Fest steht: Bei der nächsten Krise werden wir nicht die Instrumente haben, die wir 2008 hatten. In der Fiskal- und Geldpolitik zumindest. Die Banken werden dann wahrscheinlich im Allgemeinen besser dastehen. Man weiss im Endeffekt natürlich nie, was die nächste Krise auslösen wird und wie sie verläuft. 2008 war es der Subprime-Markt, der die Krise auslöste, aber es war sicher nicht der einzige Grund für die Krise. Wenn man diese Entwicklungen kennt, stellt sich die Frage, warum man nicht dagegen steuert. Ich fordere ja nicht, dass wir innerhalb von wenigen Tagen auf 10 Prozent Zinsen kommen, aber vielleicht sollte man mal mit Negativzinsen aufhören. Die Schweiz ist wohl ein Opfer der Politik der Europäischen Zentralbank und in der schwierigen Lage, die Wirtschaft über den Berg zu kriegen. Wenn wir uns an jemanden richten sollten, dann nicht an den Nationalbank-Chef Thomas Jordan, sondern an die Europäische Zentralbank, die aus den Negativzinsen rausgehen und aufhören soll, auf dem Markt aggressiv langfristige Anleihen aufzukaufen.
«Die ganze Welt schweigt. Auch die grosse Finanzpresse äussert sich nicht zu den Gefahren der jetzigen Geldpolitik.»
Konnten Sie Mario Draghi und die übrigen Notenbankchefs bei den Treffen in Basel nicht von diesem Standpunkt überzeugen?
Wir waren nicht überzeugend genug. Am Anfang waren alle davon überzeugt, dass die lockere Geldpolitik die richtige war – die BIZ eingeschlossen. Die Frage ist: Wann hört man damit auf? Alle paar Monate sagt man: Der Zeitpunkt ist noch nicht optimal. Und in der Zwischenzeit sind Jahre vergangen und die Druckerpressen der Notenbanken laufen munter weiter. Es gibt auch Leute, die meinen, der jetzige Ansatz ist der richtige. Wer recht hat, wird man erst später sehen. Die Indizien, die sich jetzt häufen, sind jedoch, dass eine grosse Krise sehr wahrscheinlich wird.
Solche Warnungen hört man doch eher selten. Warum?
Zugespitzt formuliert: Die ganze Welt schweigt. Auch die grosse Finanzpresse äussert sich nicht zu den Gefahren der jetzigen Geldpolitik. Hervé Hannoun und ich sagten, wir müssen etwas dagegenhalten. Deshalb haben wir das Buch geschrieben.
Ihre Kritik geht noch viel weiter als die aktuelle Geldpolitik. Sie prangern auch an, dass wenig unternommen wird, um den Klimawandel zu stoppen und dass beispielsweise die Mittel für militärische Aufrüstung zurückgefahren, respektive für andere Bereiche ausgegeben werden müssten. Sie fordern eine Veränderung im Denken, eine «Gemeinwohlökonomie». Was verstehen Sie darunter konkret?
Wir sollten nicht schauen, dass es nur den 1000 reichsten Familien gut geht, sondern dass wir eine Politik haben, die für alle Menschen – egal welches Los sie gezogen haben – gut ist.
Wer sollte das umsetzen?
Die Frage nach dem Gemeinwohl sollten sich nicht nur Politiker stellen, sondern jeder der eine Möglichkeit hat, politisch oder gesellschaftlich zu agieren. Also zum Beispiel auch Bürger, die vor eine Wahl gestellt werden, ob sie ein bestimmtes Gesetz an- oder ablehnen sollten. Wenn alle ein bisschen mehr darüber nachdenken, ob etwas für die grosse Mehrzahl der Leute Sinn macht oder nicht, dann wäre schon viel gewonnen. Deshalb sprechen wir von einer Revolution, die es im Denken braucht.
Zur Person:
Peter Dittus (59) schloss in Saarbrücken sein Studium in Wirtschaftswissenschaften ab und doktorierte auch dort. Bevor er 1992 zur BIZ kam, arbeitete Dittus bei der Weltbank und der OECD. Bei der BIZ war er von 2005 bis 2016 Generalsekretär. Heute lebt der schweizerisch-deutsche Doppelbürger in Lausanne und arbeitet als selbstständiger Berater.