«Die Kunden dürfen sich nicht mehr über den Tisch gezogen fühlen», sagt der neue Baselworld-Chef

Als der ehemalige Präsident der Street Parade im Juli die Leitung der Baselworld übernahm, herrschte da längst Katerstimmung. Wir haben mit Michel Loris-Melikoff darüber gesprochen, wie er die für die Region so wichtige Messe wieder auf die Erfolgsstrasse führen will.

«Das kommt schon gut»: Michel Loris-Melikoff, der neue Chef der Baselworld, will seine schwierige Aufgabe mit Besonnenheit angehen. Und mit Freude.

Arrogant, selbstverliebt, grössenwahnsinnig. Mit diesen Adjektiven wurde die Leitung der Baselworld und MCH Group in der Vergangenheit immer wieder in Verbindung gebracht. Michel Loris-Melikoff, seit 1. Juli Chef der kriselnden Baselworld, verkörpert keine dieser Eigenschaften.

Nach Allüren sucht man vergebens beim 53-Jährigen. Den Termin mit der Journalistin vereinbart Loris-Melikoff persönlich, zum Interview erscheint er ohne Pressesprecher, der Empfang ist herzlich. Im Gespräch zeigt er sich demütig, bodenständig und unkompliziert.

Herr Loris-Melikoff, Sie haben im Juli die Baselworld in einer äusserst turbulenten Phase übernommen. Vor zwei Wochen gab Nick Hayek bekannt, dass die Swatch Group nicht mehr an der Baselworld teilnehmen wird. Sind Sie schon wieder auf Jobsuche?

Nein, nein. Ich habe gewusst, dass diese Aufgabe kein Spaziergang wird. Die vergangenen zwei Wochen waren zwar sehr intensiv, aber ich brauche diese Herausforderung. Ein Nullachtfünfzehn-Job wäre mir zuwider.

Wie wollen Sie die Baselworld jetzt aus der Krise holen? 

Ganz wichtig ist jetzt, dass wir bei den Kunden sind. Dass wir ihnen erklären, was wir im Sinn haben, und ihre Änderungswünsche für die Baselworld entsprechend umsetzen. Es braucht nun sehr viel Kommunikation, und diese ist nicht per E-Mail möglich. Ich habe jeden Tag drei bis vier Kundenbesuche.

Wie haben die Aussteller der Baselworld auf den Ausstieg der Swatch Group reagiert?

Sehr unterschiedlich. Manche waren entsetzt, andere überrascht. Vor allem aber wurden viele Fragen gestellt: Wieso? Und wie geht es jetzt weiter?

«Ich bin momentan eher positiv überrascht über den Rücklauf der Anmeldungen der Aussteller.»

Und wie geht es weiter?

Die Neuerungen und Innovationen werden an der Baselworld 2019 planmässig gezeigt. Somit wird sie gut.

Das müssen Sie jetzt sagen. Wie viele Aussteller wird die Messe aber noch anlocken?

Für Zahlen ist es zu früh. Der Rücklauf der Anmeldungen ist aber gut. Im Schmuckbereich sind wir gut unterwegs. So auch in der Halle 3, wo die Edelsteine gezeigt werden.

Und wie sieht es in der Halle 1 aus, wo die grossen Uhrenmarken präsent sind?

Die grossen Firmen sagen, dass sie alle teilnehmen werden. Ich rechne nicht mit weiteren Aussteigern. Ich muss sagen: Ich bin momentan eher positiv überrascht über den Rücklauf der Anmeldungen und die Reaktionen der Aussteller.

Michel Loris-Melikoff (53) ist seit dem 1. Juli Chef der Baselworld. Zuvor amtete er als Geschäftsführer der MCH Beaulieu Lausanne SA. Von 2010 bis 2013 war er zudem Geschäftsführer der St. Jakobshalle, von 2000 bis 2006 Präsident der Street Parade. Loris-Melikoff ist in Bottmingen aufgewachsen, hat an der Universität Basel Jus und Wirtschaft studiert und lebt heute in Lenzburg.

Was wird alles neu an der Baselworld 2019?

Einiges! Die wesentliche Änderung ist, dass wir den Schmuckbereich von der Halle 2 in die Halle 1 zügeln. Wir rücken den ganzen Bereich näher ins Zentrum und werten ihn auf. Wir werden insgesamt sehr viel in Sonderausstellungen und Begleitanlässe investieren. Weiter streben wir Veränderungen im Bereich der Hospitality an, also das, was Hotels, Catering und dergleichen betrifft.

Sie sind im Gespräch mit den Hoteliers, damit diese ihre Preise senken. Sollten Sie nicht zuerst im eigenen Haus aufräumen?

Wir alle müssen unsere Preisstrukturen kritisch hinterfragen. Denn der Kunde beziehungsweise Besucher schaut am Ende seine Gesamtrechnung in Basel an, also die Kosten der Messe, die Hotel- und Verpflegungskosten seiner Mitarbeiter und Gäste sowie weitere Kosten. Es ist überhaupt nicht so, dass wir gegen die Hotels arbeiten würden. Wir in Basel müssen uns jedoch bewusst sein, dass der Markt sich verändert hat. Die Gäste sind zwar bereit, einen Preisaufschlag für Hotels zu zahlen, aber irgendwann ist die Schmerzgrenze erreicht. Deshalb müssen wir uns alle an einen Tisch setzen und eine Lösung finden, die für die Kunden zufriedenstellend ist. Die ersten Gespräche zeigen mir, dass dieses Bewusstsein bei allen vorhanden ist.

Wie sieht eine zufriedenstellende Lösung denn aus?

Die Hotels haben natürlich auch ihre finanziellen Zielvorgaben. Es muss einfach eine Lösung her, die für alle Anbieter stimmt, aber auch für die Kunden. Sie dürfen nicht mehr das Gefühl haben, sie würden über den Tisch gezogen.

Aber nochmals: Die Hotelpreise sind nicht der Hauptgrund für das Unbehagen der Aussteller gegenüber der Baselworld. Diese halten auch die Standmieten für viel zu hoch.

Da haben Sie Recht. Aber es ist die Summe von vielen Frustrationen, die zu einer solchen Krise führen. Und zu den Standmieten: Wir haben in den letzten Jahren Preisanpassungen gemacht und wir werden auch auf die nächste Ausgabe der Baselworld punktuell Mietpreise reduzieren.

Um wie viel Prozent?

Zum Teil substanziell. In gewissen Hallen werden wir die Standmieten um über zehn Prozent reduzieren.

Werden Sie auch die Eintrittspreise senken? Die bisherigen 60 Franken werden ja ebenfalls als zu hoch empfunden.

Das ist ein Thema. Wir müssen prüfen, was drin liegt. Sobald das Detailkonzept im September finalisiert ist, werden wir das kommunizieren.

«Mir ist es ein grosses Anliegen, Herrn Hayek auch weiterhin über die Baselworld zu informieren.»

Neuerungen streben Sie auch bei der Messegastronomie an. Können Sie schon mehr darüber sagen? 

Veränderungen in diesem Bereich sind ein Muss. Auch hier haben sich die Bedürfnisse entwickelt. Wir planen, die Verpflegungsmöglichkeiten zu diversifizieren und die Standorte zu verändern.

Vor Kurzem gab Ihr Chef, René Kamm, seine Demission bekannt. Wie kommt dies bei Ihren Kunden an?

Das kann ich nicht sagen. Die Kunden wissen seit zwei Monaten, dass ich nun Chef der Baselworld bin. Dass jetzt mein Vorgesetzter geht, interessiert sie wohl kaum, das ist doch zu weit weg.

Aussteller beklagen schon lange, die Baselworld nehme ihre Anliegen nicht ernst. Wie wollen Sie deren Vertrauen zurückgewinnen?

Wir haben verschiedene Gremien, in denen Aussteller der Uhren-, Schmuck- und Edelsteinindustrie repräsentiert sind. In diesen diskutieren wir die grossen Fragen der Baselworld. Mein Ziel ist, dass mehr Sitzungen mit diesen Gremien stattfinden. Ich möchte generell den Kontakt intensivieren, damit mich die Leute kennen und ich sie. Dadurch kann ich auch besser auf ihre Bedürfnisse eingehen. Eben: Wichtig sind nun die Kundenbesuche. So führen wir verschiedene Veranstaltungen in Deutschland, Frankreich und Italien durch, wo wir unser neues Konzept vorstellen, und im Anschluss führen wir Einzelgespräche mit den Kunden. Im September werde ich zudem verschiedene Messen in Hongkong und Italien besuchen. Es ist mir wichtig, nahe bei den Ausstellern zu sein, sie bei anderen Messen zu treffen, ihre Bedürfnisse aufzunehmen und in die Planung der Baselworld 2019 einfliessen zu lassen.

https://tageswoche.ch/gesellschaft/kamm-geht-baselworld-wirbt-um-vertrauen/

Haben nochmals Gespräche mit Nick Hayek stattgefunden, seit er angekündigt hat, nicht mehr Teilnehmer der Baselworld zu sein?

Ja, Herr Hayek und ich hatten seither Kontakt. Es ist mir wichtig, dass wir diesen Kontakt, der ein paar Wochen nicht stattgefunden hat, wieder pflegen und miteinander reden. Herr Hayek ist eine ganz wichtige Person in der Schweizer Uhrenindustrie. Mir ist es ein grosses Anliegen, ihn auch weiterhin über die Baselworld zu informieren. Ich respektiere seinen Entscheid, nicht mehr Teilnehmer der Baselworld zu sein.

Dieser scheint endgültig zu sein.

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber Herr Hayek ist ein Unternehmer. Er wird sicher nicht einen Entscheid kommunizieren und diesen 14 Tage später wieder zurücknehmen. Trotzdem möchte ich ihm zeigen, dass die Baselworld sich in die richtige Richtung entwickelt und dies in seinem Sinn. Und wer weiss, vielleicht sieht es ja zu einem späteren Zeitpunkt anders aus bei ihm. Aber derzeit gilt es, diesen Entscheid zu respektieren. Punkt.

«Die Baselworld lässt sich nicht mit der Uhrenmesse in Genf vergleichen.»

Was lief aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren schief? Wie konnte es zu einer solchen Krise kommen?

Das müssen Sie meine Vorgängerin Sylvie Ritter fragen. Ich habe am 1. Juli angefangen und möchte mich nicht dazu äussern, was in der Vergangenheit eventuell schief gelaufen ist. Ich muss die Situation so übernehmen, wie sie ist, und sie nun meistern. Ich möchte in die Zukunft schauen, ich will daran gemessen werden, was ich mit der Zukunft der Baselworld mache. Was vorher war, interessiert mich nicht.

Die Baselworld kämpft ums Überleben. Derweil läuft es für die Uhrenmesse in Genf, dem Salon International de la Haute Horlogerie, sehr gut. Wie erklären Sie sich das?

Man muss auf den Boden der Realität zurückkommen. Wir müssen Apfel mit Apfel vergleichen und Birnen mit Birnen. Die Baselworld lässt sich nicht mit der Uhrenmesse in Genf vergleichen. Genf ist die Messe der Luxusuhren-Industrie. Wir dagegen sind eine viel breiter aufgestellte Messe, die die ganze Industrie abbildet – und den Schmuckbereich. Zudem gibt es auch in Genf einige unzufriedene Aussteller, die sich überlegen, wieder an die Baselworld zu kommen. Das wird gerne ausgeblendet. Vielmehr schreibt man: Genf ist ein Erfolgsmodell, Basel ein Auslaufmodell. Meiner Meinung nach haben beide Veranstalter ihren Platz. Und beide stehen im Dienste der Uhren- und Schmuckindustrie und müssen sich so aufstellen, dass sie den Bedürfnissen der Kunden gerecht werden.

Wie viele Besucher und Aussteller wird die Baselworld künftig noch anlocken? 

Das ist nicht die zentrale Frage.

Sondern?

Die zentrale Frage ist, ob die Aussteller genügend Geschäfte machen. Dass sich ihre Teilnahme an der Baselworld lohnt. Gewisse Aussteller sagen, sie hätten einen Rückgang bei den Besucherzahlen festgestellt, aber dennoch viel mehr Umsatz gemacht. Gestern habe ich einen Kunden im Jura besucht. Er fand die letzten beiden Ausgaben der Baselworld mit weniger Ausstellern sensationell. Wir müssen alles Mögliche tun, damit unsere Aussteller genügend Geschäfte an der Baselworld machen können.

Sie zeigen sich ja richtig demütig. 

Wir stehen im Dienst dieser Industrie. Man muss die Auffassung aufgeben, dass wir zum Selbstzweck einfach Geld verdienen und deshalb möglichst grosse Stände hinstellen möchten. Das ist Blödsinn. Früher war man in einer Welt, in der man möglichst grosse, möglichst imposante  Stände haben wollte. Der Markt hat sich seither weiterentwickelt, ebenso zum Teil die Bedürfnisse.

Inwiefern?

Inzwischen gibt es Messen auf der Welt, die nur noch eine bestimmte standardisierte Standgrösse zulassen. Das muss man genau prüfen. Wir machen eine Messe für die Uhren- , Schmuck- und Edelsteinindustrie. Der Markt spielt sich physisch ab, aber nun eben auch digital. Wir müssen die Plattform nun so ausgestalten und uns den Bedürfnissen entsprechend anpassen. Vor zehn Jahren hat der Markt ganz anders funktioniert. Das damalige Konzept der Baselworld-Leitung war absolut richtig. Heute aber braucht der Markt eine ganz andere Baselworld. Und das ist nun unsere Aufgabe. Es gibt Firmen, die ticken nun vielmehr digital. Und das müssen wir den Firmen an der Baselworld auch anbieten können.

«Die Gemeinsamkeit der Street Parade und der Baselworld? Sie haben beide einen enormen Impact auf die Stadt und Region.»

Sie wurden quasi vom Chef der Street Parade zum Chef der Baselworld. Gehen Sie eigentlich noch an die Street Parade?

Ja, selbstverständlich! Ich war am Samstag dort und versuche möglichst jedes Jahr dorthin zu gehen. Die Passion für eine Veranstaltung hat man ja immer noch, auch wenn man operativ nicht mehr tätig ist. Ich werde aber auch  an die Eröffnung der neuen St. Jakobshalle gehen. Ich durfte sie führen, als die Planung der Renovation anfing.

Street Parade und Baselword – das passt irgendwie nicht zusammen. Was haben die beiden Veranstaltungen gemeinsam?

Dass sie einen enormen Impact auf die Stadt und Region haben. Und die Leute, die daran teilnehmen, üben ihren Job mit Herz und Seele aus. Die Lovemobilisten, die DJs, die Uhrenmanufakturen, Schmuckaussteller oder Lieferanten: Sie alle arbeiten mit voller Leidenschaft. Das ist schön!

Wieso hören Sie sich eigentlich trotz Krise so entspannt an?

Ich staune auch (lacht). Die Challenge ist ja schliesslich gross. Vielleicht brauche ich diesen Stress einfach. Ich hatte noch keine schlaflose Nacht, esse immer noch viel und gerne. Das kommt schon gut. Man muss die Probleme einfach alle besonnen, unaufgeregt und zielorientiert mit Freude und Motivation angehen. Dies mache ich mit meinem Team Tag für Tag.

https://tageswoche.ch/gesellschaft/der-abtritt-von-rene-kamm-ist-das-sinnbild-einer-zu-ende-gehenden-aera/

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