René Kamm hat viele Bühnen von oben gesehen, den Power Pointer in der Hand, das Plenum zu Füssen. Seinen letzten Auftritt als CEO der Messe Schweiz Group absolviert er auf Augenhöhe mit den Journalisten, die ihn während der vergangenen Jahre oft mit schmeichelnden, seltener mit aggressiven Attributen bedacht hatten. Kamm, der Beau. Kamm, der Herrscher.
Kamm las die Berichte über sich selbst stets mit Interesse, er saugte die Attribute auf wie bitteren Honig. Denn Kamm ist ein Sprachenmensch. Andere sagen, er sei ein Kommunikationsgenie.
Für seinen Abschied hat er sich wieder so ein Attribut aus dem Medienbuffet der aufgekratzten Berichterstattung vergangener Tage gepickt. Es lautet: Schönwetterkapitän. Mit verkniffenem Amüsement paraphrasiert er den entsprechenden Artikel, oben im zweiten Stock des Messeturms, im Sitzungszimmer Paris. Sagt, ein Schönwetterkapitän sei er ja nun nicht gerade, dafür sprächen die 19 Jahre in leitender Position, in denen es reichlich Sturm und Donnerwetter gegeben habe.
Der Kampf gegen externe Schocks
Und Kamm nimmt Anlauf zu einer Art Best-of-Krisenschau aus 19 Jahren Messeleitung. Zitiert Ereignisse von weltumspannender Dramatik. Das Attentat auf das World Trade Center 2001, der Kollaps der Börse 2008, eine Epidemie war auch irgendwann. Stets waren es externe Faktoren, die Kamm zu schaffen machten; stets gelang es ihm, die Messe auf Kurs zu halten. Zuletzt kam durch die Digitalisierung eine tiefgreifende Veränderung der Märkte hinzu, die auch Big Player wie die Swatch Group zu spüren bekommen. Alle mussten zuletzt reagieren, da sitzt die Branche in einem Boot.
Kamm, so wird den Anwesenden in gut sieben Minuten Redezeit nochmal vor Augen geführt, hat die scharfen Klippen im Wildwasserkanal der Weltwirtschaft samt und sonders erfolgreich umschifft. Soll noch einer sagen, der Kamm sei ein Schönwetterkapitän.
Am Ende seiner Erzählung kommt Kamm auf den jüngsten externen Schock zu sprechen. Der kostet ihn seinen Job. Kamm sagt: «Der Rückzug der Swatch Group von der Baselworld hat nichts mit meinem Rücktritt zu tun. Gut, vielleicht war es das Tüpfelchen auf dem I.»
Das Ringen um das letzte Bild
Jetzt ein Kamm, der um das letzte Bild ringt. Sprache ist Deutung, das weiss einer wie Kamm und er forciert die Rhetorik. Er hat seinen letzten Kampf verloren, hatte die Deckung zu lange schleifen lassen und war getroffen worden. Das schmerzt. Aber Kamm will wenigstens die Deutungshoheit zurück, also arbeitet er an den Konturen seines Abschiedsporträts.
Er sagt: «Man muss sich in so einer langen Zeit immer wieder fragen, ob man nicht zum Sesselkleber geworden ist.»
Die lange Amtszeit war Kamm zuletzt zum Verhängnis worden. Die Messe sei unflexibel, altbacken, überholt, hiess es. Jetzt steht diese Vokabel im Raum, Sesselkleber, und so einer will Kamm nicht sein. That’s what he said, werden die Journalisten möglicherweise anerkennen und es in den Zeitungen schreiben: René Kamm ging, als die Zeit reif dafür war.
Das ist natürlich ausgemachter Unsinn, jeder weiss das. Aber der Abschied dauert an.
Angriff des Kommunikationsgenies
Sieben Minuten hat Kamm gebraucht, um den Schönwetterkapitän und den Sesselkleber abzuschütteln, jetzt muss noch der Eindruck korrigiert werden, er und mithin die gesamte Messegruppe hätten Nick Hayek und Konsorten mit ihrer überheblichen Art brüskiert.
Namentlich geht es um Hayeks Vorwurf, das neue Messekonzept sei ohne Rücksprache erschienen, man habe ihn, den grossen Hayek, konfrontiert mit einem «Fait accompli».
Plötzlich ein ganz anderer Kamm. War er bislang zurückhaltend, die Augen auf das Blatt Papier mit der Rede gerichtet, geht der Blick jetzt ins Plenum. Angriff Kamm, das Kommunikationsgenie. Er erzählt von Sitzungen mit dem Comité Consultatif und anderen Gremien, noch am 3. Juli habe man in einem Hotel zu Neuchâtel mit einem Swatch-Vertreter diniert und über die bevorstehende Publikation des Messekonzepts gesprochen. Der Vertreter habe das wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Dann ein Seitenhieb gegen Hayek: «Es war noch nie der Fall, dass wir Ausstellerunterlagen im Detail von irgendwelchen Comités haben absegnen lassen, das gibts bei uns bei keiner Messe.»
An derlei präzisen Klarstellungen war Kamm in seiner Amtszeit nicht immer gelegen.
Kamm findet ein Ende und Verwaltungsratspräsident Ulrich Vischer ergreift kurz das Wort. Im Grunde seien diese Details für die Öffentlichkeit ja nicht so wichtig.
Kamm aber schaut, als wolle er die genauen Abläufe am liebsten jedem einzelnen Journalisten ins Bewusstsein gravieren. Er, René Kamm, hat nicht nicht kommuniziert. «Ich möchte das einfach mal sehr faktisch klarstellen denn ich habe das Gefühl, hier gibt es gewisse Verwechslungen und Fehlinterpretationen.»
An derlei präzisen Klarstellungen war Kamm in seiner Amtszeit nicht immer gelegen. Als die TagesWoche 2013 über arbeitsrechtliche Missstände auf der Messebaustelle berichtete, war er für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Informationsboykott. Die Berichterstattung der «Basler Zeitung» über mögliche Mauscheleien bei der internen Vergabe von Aufträgen zerpflückte er dagegen en detail. Eine schillernde Informationspolitik, um das Mindeste zu sagen.
Und so wird der letzte Auftritt des langjährigen CEO René Kamm zum Sinnbild einer schwindenden Ära. Die Deutungshoheit über den Uhren- und Schmuckmarkt ist der Messe Schweiz entglitten, die Branche hat Alternativen entwickelt.
Die See geht also rau und während das Boot leckt, hält der Kapitän eine Rede über die Temperatur des Wassers. Dann geht er erhobenen Hauptes von Bord.