Ein Jahr nach Trumps Wahl – das sagen seine Versteher

Am 8. November 2016 wurde Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt. Das sagen vier führende Schweizer Trump-Versteher.

Die TagesWoche hat zum Trump-Wahl-Jubiläum gleich vier ausgewiesene Experten am Start. (Bild: Nils Fisch)

Das hat vor ihm noch keiner hingekriegt. Donald Trump ist ein Jahr nach seiner Wahl unbeliebter als jeder andere US-Präsident vor ihm. Im eigenen Land, versteht sich.

Die historische Leistung erstaunt nicht: Trump, der ohne Volksmehr zum Präsidenten gekürt wurde, war schon immer ein Mann der Superlative – er verwendet sie beinahe so oft, wie er Unwahrheiten verbreitet. Mittlerweile verdienen noch 4 Prozent seiner Aussagen das Prädikat «wahr», 12 Prozent «mehrheitlich wahr», schreibt die Analyse-Seite Politifact.

https://tageswoche.ch/form/kommentar/europas-trump-fans-und-verharmloser-treten-aus-dem-schatten/

Man weiss nicht, welche Peinlichkeit, Beinahe-Katastrophe oder Fehlleistung des neuen Präsidenten und seiner Regierung man ein Jahr nach der TagesWoche-Analyse zur Trump-Wahl als Erstes erwähnen soll. Es sind zu viele – totally great, halt. Amy Siskind, Geschäftsfrau, Journalistin und Campaignerin, führt seit einem Jahr wöchentlich Buch über «all die Sachen, die sich verändern» unter Trump. Ihre Liste enthält mittlerweile Tausende Einträge.

Gut zuhören!

Die TagesWoche hat vor einem Jahr geschrieben, es gelte denjenigen, welche die hässlichen Seiten des Trumpismus verschweigen oder verharmlosen, entgegenzutreten. «Man wird nun gut zuhören müssen, wie viele weitere angeblich liberale Politiker und Journalisten sich den Donald schönreden und -schreiben», so das Fazit des Artikels.

Viel gab es über den dauergolfenden Milliardär in der reaktionären Schweizer Mainstream-Presse zu lesen. Es freut uns deshalb umso mehr, dass im folgenden Trump-Versteher-Interview namhafte Vertreter zu Wort kommen: Markus Somm (MS, Chefredaktor «Basler Zeitung»), Roger Köppel (RK, SVP-Nationalrat und Chefredaktor «Weltwoche»), Eric Gujer (EG, Chefredaktor NZZ) und Andreas Kunz (AK, Redaktionsleiter «Sonntags-Zeitung»)*.

Meine Herren, was ist Ihr Eindruck von Donald Trump, ein Jahr nach seiner Wahl zum Präsidenten der USA?

MS: Trump ist vermutlich der grösste Querulant, der je im Weissen Haus residiert hat, und aus diesem Grund schätze ich ihn – nach wie vor.

Warum schätzen Sie ihn?

MS: Wenn ich ihn als Querulanten lobe, dann lobe ich diese Eigenschaft, die darin besteht, sich zu trauen, Tabus zu brechen, unanständig zu sein, wenn der Anstand in Wahrheit nur Schweinereien zudeckt, die Rolle des Aussenseiters zu ertragen und gerne Elefant zu sein, wenn alle nach der Maus rufen: Das ist eine grosse Gabe und eine beachtliche Leistung. Dafür braucht es Mut und Selbstbewusstsein zugleich.

Eine beachtliche Leistung? Wenn er es etwa nicht einmal zustande bringt, die rechtsextremen Killer von Charlottesville zu verurteilen? 

MS: Trump hätte die Täter beim Namen nennen – und ihre Motive und politischen Ansichten als das bezeichnen müssen, was sie sind: Hass und Schrott zugleich.

RK: Ich fand Trumps Reaktion auf die Ausschreitungen am Wochenende angemessen. Der Präsident liess sich von seinen übel gesinnten Gegnern nicht erpressen.

Erpressen? Das müssen Sie erklären.

RK: Die Aufforderung an einen Politiker, sich von bestimmten Gruppen zu distanzieren, wie jetzt bei Trump, ist nichts anderes als der besonders fiese Trick, ihn erst recht in dieses Lager zu befördern. Denn wer sich von Nazis distanzieren muss, ist ja sicher selber einer. Deshalb war es richtig von Trump, nicht gleich auf dieses moralerpresserische Manöver einzusteigen.

Das ergibt doch keinen Sinn. Sie fordern doch dauernd, man soll die Gefährder beim Namen nennen. Zum Beispiel, wenn es um islamistische Terroristen geht. Oder um Linksextreme.

MS: Gewiss, Donald Trump hatte recht, wenn er andeutete, dass auch die Linken, die sich bombastisch als Antifaschisten ausgaben, für die Eskalation der Gewalt verantwortlich waren. Ich bin der Letzte, der diese Leute verteidigt, die den gleichen Geist der Intoleranz und der Gewalt gegen Andersdenkende propagieren wie die rechten Faschisten – Linksfaschisten sind sie, die sich bloss als Antifaschisten tarnen.

Sie weichen aus. Es geht konkret um die Verurteilung rechter Gewalt.

MS: Trump, davon gehe ich ebenfalls aus, ist kein Rassist und kein Antisemit. 

AK: Dass er nicht besonders viel Stil hat, zeigte er schon in seinem Wahlkampf. Trotzdem schaffen es seine Gegner, ihn in Sachen Anstand und Respekt vor der Demokratie sogar noch zu unterbieten.

Seine Gegner sollen schlimmer sein? Wo denn genau?

MS: Nichts weniger als eine Revolution in Washington D.C. ist im Gange. Wir spüren es längst. Dass ein Mann mit einem einzigen Tweet Proteste oder Jubel unter Millionen auslöst, wäre nicht der Fall, wenn wir nur über den Charakter dieses undurchsichtigen und doch bereits so vertrauten Mannes verhandeln würden. Wer glaubt, die Linke in Amerika, die Mainstream-Medien, die Demokraten, Hollywood oder die Professoren an den Universitäten, kurz fast alle, die bisher über ein gewisses Gewicht verfügt hatten, würden nur deshalb kochen vor Wut, weil sich Donald Trump eventuell als selbstverliebter, grober, unfähiger Politiker herausstellt, der irrt.

Sie haben noch nicht gesagt, warum Trumps Gegner schlimmer sein sollen als er.

MS: Wenn es einen Grund gibt, warum diese gut ausgebildeten, hoch bezahlten, sorgfältig frisierten, mit Chauffeuren und Assistentinnen ausgestatteten Herrscher diese Rede des Ungeliebten hören müssen, dann diesen: dass sie versagt haben. Man hört es nicht gern in diesen Kreisen. Doch wenn die Politiker des Westens nicht mehr in der Lage sind, zu verhindern, dass kleine Mädchen aus politischen Gründen von islamistischen Tätern jederzeit und überall abgeschlachtet werden, dann sind sie überflüssig geworden.

Moment. Trump soll besser sein als der Rest der westlichen Elite, weil er Terrorismus verhindert? In den USA reiht sich Blutbad an Blutbad…

MS: Trump hat recht.

Aha. Erklären Sie uns auch, warum?

MS: Jedes Mal, wenn er gerade bei Verstand ist und dann etwas sagt, leuchtet mir ein, warum diese Elite des Status quo – nicht nur hier in Brüssel, sondern auch in Washington – ihn so hasst und bekämpft. Denn er hat recht, und die, die ihn bekämpfen, wissen es.

Seine Gegner wissen, dass ihr Gegner recht hat? Das ergibt doch keinen Sinn.

RK: Die Wahrheit ist: Trump hat recht.

Sie können das doch nicht einfach so belegfrei behaupten. Oder wollen Sie hier eine dieser «Fake News»-Debatten anfangen?

AK: Auch Trumps Fake-News-Vorwürfe sind nicht immer unbegründet.

Ich wollte eigentlich auf den Wahrheitsgehalt all Ihrer «Trump hat recht»-Behauptungen anspielen…

EG: …Im Zeitalter der alternativen Fakten ist Wahrheit nicht mehr als eine Behauptung, aber eine mit absoluter Gültigkeit. Wahr ist, was ich behaupte. Man kann es damit bis zum US-Präsidenten bringen.

Eben. Und deswegen…

EG: …Für eine Demokratie ist Wahrheit nichts Feststehendes, sondern ein permanenter Prozess, ein stetes Ringen um Positionen im Wissen darum, dass niemand ausschliesslich im Besitz der Wahrheit ist. Wahrheit ist in der Demokratie also etwas sehr Relatives.

Also was jetzt? Wahrheit ist in einer Demokratie relativ? Fakten spielen keine Rolle mehr, oder wie?

EG: Entscheidend ist vielmehr, dass jede Überdosis von Sinnstiftung
der Wahrheit oder auch nur der Wahrhaftigkeit den Garaus macht. 

Ich kann nicht mehr ganz folgen…

EG: …Wer Ereignisse vorschnell mit Sinn auflädt, produziert Unsinn.

Schön, schön. Aber es gibt es doch noch so etwas wie Fakten, und die sollten doch in einer Demokratie eine Rolle spielen?

EG: Uns ist fremd, was Moralpolizisten und Wutbürger eint: der Glaube, die einzig selig machende Wahrheit zu kennen.

Dafür scheinen Sie sich aber ziemlich einig zu sein, was Trump anbelangt.

MS und RK: Trump hat recht!

Jaja. Sehen das hier denn alle so?

EG: Was Trump auch macht oder sagt, ist ein einziger Affront für sensible Reporterseelen. … Es ist einfacher, sich über Trumps bizarren Charakter aufzuregen als über die eigenen Unzulänglichkeiten.

Aber wir sprechen hier nun mal nicht über uns, sondern über Trump. Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Die problematischen Verbindungen seines engsten Kreises zu russischen…

MS: …Erneut liegen die Kritiker falsch – weil sie vor lauter Hass nur noch den unangenehmen Mann mit der unangenehmen Frisur sehen – trotzdem hat Donald Trump recht. 

AK: Seit über einem halben Jahr dominieren Berichte über angeblich skandalöse Russland-Verbindungen von Trump – ausser Mutmassungen, meist basierend auf anonymen Quellen, ist bis heute jedoch nichts darüber bekannt geworden, was die Hysterie annähernd rechtfertigen würde.

Also ich bitte Sie. Die Russland-Verbindungen sind belegt. Ein Geständnis gibt es schon, langsam wird es eng für Trump.

RK: Trumps Gegner spüren, ahnen, wissen, dass ihnen die Felle davonschwimmen. Umso giftiger hassen sie den Präsidenten.

Immer reden Sie von «Gegnern». Doch auch ganz neutrale Beobachter können lange Listen von problematischen Entscheiden und Handlungen des US-Präsidenten erstellen. Wo hat er denn Ihres Erachtens konkret geglänzt?

EG: Trump hat in der Aussenpolitik anders als auf dem innenpolitischen Schlachtfeld noch keine eklatante Fahrlässigkeit begangen. Seine Fehler hier gehören eher in die Rubrik Taktlosigkeiten und Fettnäpfchen.

Nur «Fettnäpfchen», dann ist ja gut. Aber hat der Mann irgendetwas erreicht – ausser das Leben armer Amerikaner und Immigranten noch unerträglicher zu machen und die Rechte von Schwulen und Lesben zu beschneiden?  

MS: Das ist nichts anderes als Demokratie, wie sie rattert und dampft, was wir beobachten. Eine wirklich neue Politik haben die Wähler verlangt – und zu diesem Zweck einem ganz und gar neuen Mann die Regierung anvertraut, der neuen Ansätzen und anderen Inhalten das Wort redete. … In Europa beobachten wir den gleichen Starrsinn, wenn Vertreter der Eliten sich zu Trump äussern. Man merkt, wie beleidigt sie sind, wie gekränkt, dass das Volk eine Politik verschmäht, die unter den westlichen Eliten so populär ist, nein, als einzig richtig angesehen wird.

Ganz so dramatisch steht es hier ja nicht um das «Volk» und «die Eliten», wie Sie das darstellen. Die EU gibt es immer noch, egal, was Sie seit Jahren schreiben. Und Merkel wurde wieder Kanzlerin.

MS: Angela Merkel versagt und steht immer noch hier, was gerade in ihrem Fall kaum zu verstehen ist, es sei denn, man ist ein deutscher Wähler.

Also der amerikanische Wähler ist gut, der Schweizer Wähler auch, aber der deutsche Wähler nicht? Ist das jetzt die Demokratie, wie sie rattert und dampft?

RK: Hitler hatte die demokratische Mehrheit gegen sich, obschon Teile des Staatsapparats schon sklavisch seinem Willen gehorchten. … «Wir schaffen das», lautete schon damals die Trugformel sinngemäss.

Haben Sie jetzt gerade Kanzlerin Merkel in die Nähe von Adolf Hitler gerückt?

RK: Normalerweise geht es Leuten, die lebende Politiker mit Hitler in Verbindung bringen, nicht um nüchterne Analyse, sondern um Polemik. Sie wollen anschwärzen und beleidigen, auch einschüchtern und predigen, um sich selber zu erhöhen…

…eben! Und Sie haben gerade Angela Merkel…

RK: …das beliebte Mittel auch bei uns besteht darin, den andern in die rechtsextreme Ecke zu schieben, in die Nähe von Nazis und Kriegsverbrechern, so dass sich jede weitere Auseinandersetzung mit diesem konstruierten Schmierfinken erübrigt.

Dann sollten Sie es doch lassen, nicht? Es dünkt mich weder angebracht noch besonder intelligent…

RK: …Hitler war ein Intellektueller. Hitler zum Beispiel war besonders erfolgreich, wenn er Reden unter Lehrern und Universitätsprofessoren hielt. Viele Intellektuelle liebten ihn.

Jetzt ist aber langsam genug gehitlert.

RK: Seit Trump krachen die politischen Welten aufeinander. Gewaltige Interessen und mächtige Blöcke stehen sich unversöhnlich gegenüber. … Viele finden Trump angeblich so schlimm, dass sie alles, was er sagt, kompromisslos, kategorisch, krankhaft ablehnen. Es krümmt und schüttelt sie.

Und daran sollen die Schuld sein, die es schüttelt? Wäre es nicht auch an Trump, das Volk zu einen, statt die Welten aufeinanderkrachen zu lassen?

AK: In amerikanischen Grossstädten gehen Anhänger der unterlegenen Demokraten nun auf die Strassen, sie verbrennen US-Flaggen, beschimpfen und beleidigen in den sozialen Medien ihre Gegner, rufen teils offen zur Ermordung des neu gewählten Präsidenten auf.

Einzelfälle. Die Anti-Trump-Proteste gehören zu den grössten politischen Massen-Demonstrationen der US-amerikanischen Geschichte – und zu den friedlichsten, die es je gab.

AK: Auch in der Schweiz verhalten sich meist jene politischen Kreise am aggressivsten, die ansonsten gern Anstand, Moral und Toleranz predigen!

Wie meinen Sie das jetzt? Trumpismus in der Schweiz?

AK: «The forgotten men and women», an die sich Trump im Wahlkampf erfolgreich gewandt hatte, gibt es bei uns nicht. Das heisst allerdings nicht, dass der Kulturkampf, wie er in den USA nun offen ausgebrochen ist, nicht auch bei uns stattfindet.

Moment: Jetzt gibt es plötzlich keine von der Politik, von den «Eliten» angeblich «Vergessenen» in der Schweiz?

AK: Viel früher schon hätten unsere politischen Seismografen angezeigt, dass etwas nicht stimmt im Land. Dank direktdemokratischer Feinjustierung hätten wir verhindert, dass sich die Regierung derart weit vom Volk entfernt, wie es die Obama-Administration ganz offensichtlich getan hat.

Mit Verlaub: Obama war während der ganzen acht Jahre nicht so unbeliebt, wie es Trump in kürzester Zeit geworden ist. Wie geht es für Trump weiter?

EG: An den strategischen Interessen Amerikas vermag selbst ein am Zappelphilipp-Syndrom leidender Oberbefehlshaber wenig zu ändern. Die Europäer sollten daher etwas von der schrillen Persönlichkeit des Präsidenten abstrahieren und sich mehr an diesen Grundkonstanten orientieren.

MS: Vielleicht lernt es Donald Trump nie mehr – und vielleicht haben all jene recht, die seine Präsidentschaft für gescheitert gehalten haben, bevor sie überhaupt begonnen hatte. … Trump bleibt ein Spektakel, ein Versprechen auf Wandel, der dringend nötig wäre, auch hat er immer noch das Zeug, ein guter Präsident zu werden, doch, ich gebe es zu, sicher ist das nicht. 

RK: Mal sehen. Geben wir ihm eine Chance.

*Bei den «Antworten» handelt es sich ausschliesslich um direkte Zitate aus folgenden Artikeln:

«Die Tyrannei des Status quo», Markus Somm, BaZ, 21. Januar 2017
«Donald Trump hat recht», Markus Somm, BaZ, 27. Mai 2017
«Donald Trump hat recht II», Markus Somm, BaZ, 4. Juni 2017
«Donald Trump hat nicht recht», Markus Somm, BaZ, 19. August 2017

«Selbstbewusstsein in Zeiten des Populismus», Eric Gujer, NZZ, 19. November 2016
«Hysterie ist keine Politik», Eric Gujer, NZZ, 28. Januar 2017
«Trumps Team gibt sich versöhnlich», Eric Gujer, NZZ, 20. Februar 2017
«Scheibchenweise Vernunft», Eric Gujer, NZZ, 25. Februar 2017
«Rede des NZZ-Chefredaktors an der Generalversammlung der AG für die Neue Zürcher Zeitung am 22. April 2017», Eric Gujer

«Trump verstehen», Roger Köppel, «Weltwoche», 9. Februar 2017
«Trump, Hitler», Roger Köppel, «Weltwoche», 20. April 2017
«Antithese Trump», Roger Köppel, «Weltwoche», 1. Juni 2017
«Die Säuberung», Roger Köppel, «Weltwoche», 17. August 2017
«Die Dummheit der Gescheiten», Roger Köppel, «Weltwoche», 5. Oktober 2017

«Die ‹Beklagenswerten› holen sich ihr Land zurück», Andreas Kunz, «Sonntagszeitung», 13. November 2016
«Trump, Trump, Trump, Trump», Andreas Kunz, «Sonntagszeitung», 5. Februar 2017
«Wie Trump CNN zerstörte», Andreas Kunz, «Sonntagszeitung», 9. Juli 2017

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