Seit August leitet Andrea Schenker-Wicki die Universität Basel. Die erste grosse Herausforderung steht für die Ökonomin bereits an: Baselland möchte jährlich 25 Millionen Franken bei der Uni einsparen. Den jetzigen Uni-Betrieb könnte man dann nicht mehr aufrechterhalten, sagt Basels erste Uni-Rektorin im Interview.
Der Universität Basel stehen turbulente Zeiten bevor. Baselland möchte jährlich 25 Millionen Franken bei der Uni sparen und es mehren sich die Stimmen, die eine Änderung oder Auflösung des Uni-Vertrags fordern. Die finanzielle Basis steht auf wackligem Fundament.
Kein angenehmer Zeitpunkt für Andrea Schenker-Wicki, um die Leitung der Universität Basel zu übernehmen. Seit dem 1. August führt die 55-jährige Ökonomin als erste Frau die Bildungsinstitution. Im Moment verfolgt sie vor allem das Ziel, die Universität finanziell nachhaltig abzusichern. Dafür bringt sie als Wirtschaftsprofessorin das nötige Know-how mit: «Mein Hintergrund hilft mir, die Verwaltung und die Struktur einer Universität besser zu verstehen», sagt die Zürcherin im Interview.
Die Zukunft der Uni Basel sieht sie in den Life Sciences, dort ist der Standortvorteil aufgrund der ansässigen Industrie enorm. Aber auch die humanistische Tradition der Basler Universität unterstreicht die Zürcherin: Sie misst den Sozial- und Geisteswissenschaften bei der Weiterentwicklung der Gesellschaft eine grosse Bedeutung bei.
Vor rund zwei Wochen haben Sie zum ersten Mal die Studentinnen und Studenten im ersten Semester begrüsst. Waren Sie nervös?
Ich war wirklich ein bisschen nervös. Von anderen Universitäten kenne ich diese Tradition nicht. Ich finde die Begrüssung durch den Rektor oder die Rektorin eine sehr schöne Basler Eigenart. So sehen alle einmal den Rektor respektive die Rektorin und wissen, wer für die Universität verantwortlich ist.
Als Uni-Rektorin stehen Sie quasi im Schaufenster. Ist das eine neue Erfahrung für Sie?
Ich bin überrascht, wie stark der Rektor oder die Rektorin in Basel eine öffentliche Person ist. In Zürich ist das aufgrund der Grösse der Universität nicht so. In Basel jedoch wird die Rektorin in der Öffentlichkeit wahrgenommen und zum Teil auch erkannt. Das ist für mich neu.
«Ich bin nicht die Person, die denkt, sie müsse jetzt alles auf den Kopf stellen.»
Und dann sind Sie auch noch die erste Frau in der Geschichte der Uni Basel …
Das ist jetzt etwas ganz Spezielles (lacht). Für mich kommt es eigentlich nicht darauf an, ob Mann oder Frau. Die Kompetenzen müssen stimmen, um eine Organisation gut in die Zukunft zu führen und weiterzuentwickeln.
Kommen Sie denn neben allen Vorträgen und Veranstaltungen überhaupt dazu?
Am Anfang war und ist es für mich vor allem wichtig zu verstehen, wie diese Universität und ihr Umfeld funktionieren. Ich bin nicht die Person, die denkt, sie müsse jetzt alles auf den Kopf stellen. Es gibt Dinge an der Uni, die hervorragend laufen. Es gibt aber auch Sachen, die ich anders machen werde als meine Vorgänger. Ich werde aber sicher nichts übers Knie brechen.
Was wollen Sie anders machen als Ihr Vorgänger Antonio Loprieno?
Etwas, was bis anhin weniger wichtig war, ist die Stärkung der finanziellen Basis und der vermehrte Einbezug beider Trägerkantone in den universitären Alltag und in die Standortentwicklung. Obwohl die Finanzierung in der heutigen Form infrage gestellt ist, müssen wir dafür sorgen, dass wir die Universität trotz härteren Rahmenbedingungen auf ihrem hohen Niveau halten und weiterentwickeln können. Das ist eine Herausforderung.
Eine Herausforderung, die sich durch die finanziellen Schwierigkeiten in Baselland noch akzentuiert hat. Der Uni-Vertrag steht auf der Kippe. Wie stark belastet Sie das?
Das belastet mich und ich nehme die Situation sehr ernst. Ich würde natürlich lieber Geld verteilen, wie dies in den letzten Jahren möglich war, und meinen Professorinnen und Professoren weitere Stellen und Infrastruktur bewilligen. Das wird in Zukunft leider nicht mehr so einfach der Fall sein.
Wie wirken sich die Querelen mit Baselland auf die Uni aus?
Die ganze Debatte hat eine gewisse Unsicherheit ausgelöst.
Das Baselbiet will 25 Millionen jährlich sparen. Beim jetzigen Uni-Vertrag müssten beide Partner den Betrag anpassen. Was bedeutet das für die Uni?
Da gibt es eine klare Antwort: Damit könnte der Universitätsbetrieb in seiner heutigen Form nicht aufrechterhalten bleiben …
Setzen Stadt und Land einfach andere Prioritäten, wenn es um das Thema Bildung geht?
Das würde ich so nicht sagen. Der Kanton Baselland hat ein strukturelles Defizit, das ist in der Tat ein grosses Problem. Dass die Regierung alle Ausgaben überprüfen muss, ist legitim, und dass die Universität dazu gehört, ist verständlich. Aber eine Universität bedeutet nicht nur Kosten, sondern ist eine Investition in die Region und in die Zukunft.
Was meinen Sie mit Investition?
Geld in eine Universität zu investieren, ist eine Ausgabe, die langfristig der ganzen Region etwas nützt. Alle nationalen und internationalen Standortstudien zeigen, dass Investitionen in Universitäten ein Mehrfaches an Werten schaffen und damit einen hohen Return on Investment generieren. Das klingt jetzt sehr ökonomisch, aber dies ist ein wichtiger Aspekt, unter dem man die Finanzierung einer öffentlichen Universität im Zuge knapper werdender Staatsfinanzen betrachten muss.
Im Moment sieht es aber nicht so aus, als ob die Bürgerlichen in Baselland das verstehen würden.
Als Universität haben wir bisher ganz bewusst auf eine Kommentierung der Ereignisse verzichtet. Wir warten ab, bis die Trägerkantone sich auf ein Vorgehen geeinigt haben. Erst dann werden wir uns dazu äussern.
Für die Uni steht viel auf dem Spiel. Wie wollen Sie die Debatte um den Uni-Vertrag beeinflussen?
Derzeit wird eine Studie erstellt, die den Einfluss der Universität auf den Wirtschaftsraum Nordwestschweiz aufzeigen soll. Ich hoffe, dass wir damit herausarbeiten können, wie stark jeder Franken, den man in die Uni investiert, die Wertschöpfung in der Region steigert.
«Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, müssten wir natürlich auch alternative Wege zur Finanzierung finden.»
Wenn das Baselbiet tatsächlich an der Uni spart, wäre dann eine stärkere Zusammenarbeit mit privaten Geldgebern eine Option?
Wenn wir uns weiter entwickeln wollen, müssten wir natürlich auch alternative Wege zur Finanzierung finden. Gerade im Bereich Life Sciences ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit privaten Geldgebern denkbar.
Verliert die Universität dadurch nicht an wissenschaftlicher Redlichkeit?
Eine Zusammenarbeit mit privaten Geldgebern muss immer transparent sein. Von mir aus kann man alle Verträge im Internet offenlegen.
Sehen Sie im Bereich Life Sciences das grösste Potenzial für die Uni Basel?
Ja, aufgrund des Standorts haben für mich ganz klar die Life Sciences das grösste Potenzial. In diesem Bereich ist die Industrie in Basel so dicht wie an keinem anderen Ort in Europa. Für Fakultäten wie die Medizin oder die Naturwissenschaften ist das eine Art Biotop, das perfekte Lebensbedingungen bietet. Diese Fakultäten fühlen sich in Basel quasi wie ein Fisch im Wasser. Das ist ein klarer Standortvorteil.
Das klingt nach einem Bruch mit der humanistischen Tradition der Universität Basel. Wo sehen Sie die Geistes- und Sozialwissenschaften in der Zukunft?
Das ist kein Bruch, im Gegenteil, die Sozial- und Geisteswissenschaften sind für mich sehr wichtig. Es erstaunt vielleicht, dass diese Aussage von einer Ökonomin kommt, aber für mich liegt die Aufgabe der Sozial- und Geisteswissenschaften darin, die Entwicklungen in unserer Gesellschaft zu reflektieren und voranzutreiben.
«Damit die Gesellschaft auf Innovationen vorbereitet ist, braucht es die Sozial- und Geisteswissenschaften.»
Wie sollen die Sozial- und Geisteswissenschaften diese Weiterentwicklung leisten?
Life Sciences und Medizin stellen Produkte und Dienstleistungen für die Gesellschaft her. Damit die Gesellschaft aber auf Innovationen vorbereitet ist, braucht es die Sozial- und Geisteswissenschaften. Warum benutzen wir zum Beispiel immer noch ein tonnenschweres Auto, um einen Menschen von 70 Kilogramm von A nach B zu befördern? Warum sind wir in unseren Köpfen nicht anders gepolt? Hier setzen für mich die Sozial- und Geisteswissenschaften an: Diese müssen die Reflexion und Kritikfähigkeit der Gesellschaft weiterentwickeln, damit neue Errungenschaften in die Gesellschaft einfliessen können. Jede Weiterentwicklung hängt davon ab, dass Technik, Medizin und die Life Sciences mit den Sozial- und Geisteswissenschaften zusammenarbeiten. Ohne diese Zusammenarbeit gibt es keine nachhaltige Entwicklung.
Ihr Vorgänger hat den Mangel an interdisziplinärem Schaffen in den Geistes- und Sozialwissenschaften bemängelt. Wie sehen Sie das?
Ich denke, die interdisziplinäre Zusammenarbeit funktioniert bereits in weiten Teilen, ich bin da nicht so pessimistisch. Aber es gibt sicherlich immer noch Verbesserungspotenzial.
Das Finanzielle liegt Ihnen am Herzen. Das geht auch aus Ihrer Biografie hervor. Was bringt Ihnen der wirtschaftswissenschaftliche Hintergrund bei Ihrer Arbeit als Rektorin?
Mein Hintergrund hilft mir, die Verwaltung und die Struktur einer Universität besser zu verstehen. Gerade in einer Zeit der unsicheren Finanzierung sind diese Kenntnisse von grossem Vorteil.
Unirat-Präsident Ulrich Vischer hat Sie mit den Worten «das ist quasi der neue CEO der Uni Basel» vorgestellt. Hat sich die Rolle des Rektors respektive der Rektorin gewandelt?
Es ist ein Unterschied, ob man der Rektor oder die Rektorin einer Universität ist, die mehrheitlich nicht autonom und in die Staatsverwaltung eingegliedert ist. Oder ob man Rektorin einer Institution ist, die autonom arbeitet und die im Prinzip alle Geschäfte, die anfallen, auch selbst verantworten muss. Die autonome Institution hat mehr mit Management zu tun. Viele Prozesse, die früher in der Bildungsverwaltung abgelaufen sind, laufen jetzt direkt an der Uni. In diesem Sinne hat sich die Rolle des Rektors verändert.
In Ihrem neuen Job sind Sie also Leiterin einer Akademie und Managerin zugleich. Wie gehen Sie mit dieser Doppelbelastung um?
Ich empfinde meine Funktion als Rektorin eigentlich nicht als Doppelbelastung. Dass diese Funktion aber viel Arbeit mit sich bringt, wusste ich schon im Vorfeld. Das Arbeiten am Samstag und Sonntag gehört jetzt einfach dazu. Aber wer A sagt, muss eben auch B sagen.
Haben Sie in Basel eigentlich eine Wohnung gefunden?
Ja, ich habe mir eine schöne Wohnung in der Nähe des Marktplatzes ausgesucht, eine ganz kleine Wohnung. Ich muss mir jetzt erst noch Vorhänge zulegen – und möbliert ist die Wohnung auch noch nicht. Auch meiner Familie gefällt es in Basel – sie haben alle schon angekündigt, dass Sie mich hier besuchen wollen.