Franz Saladin: «Die Region Basel kam in den Krisen glimpflich davon»

Der Direktor der Handelskammer beider Basel sagt, was ihm 2016 Sorgen bereitet und dass sein Verband mehr tut, als Cüpli-Anlässe organisieren.

Franz Saladin übt Kritik an der SVP: «Da wurden Ängste geschürt.»

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Der Direktor der Handelskammer beider Basel sagt, was ihm 2016 Sorgen bereitet und dass sein Verband mehr tut, als Cüpli-Anlässe organisieren.

Wer im Hochhaus an der St. Jakobs-Strasse 25 ein und aus geht, trägt Nadelstreifenanzug und Krawatte. Hier, in der ersten Etage, herrscht die Handelskammer beider Basel.

Der Direktor Franz Saladin empfängt uns in seinem Glaskasten-Büro. Mit schwarzen Hosenträgern und breitem Lächeln.

Saladin verkörpert nicht den Typus Wirtschaftsboss, den andere Verbände kennen. Die Handelskammer, die über 2000 Firmen repräsentiert, soll «Wirtschaftspolitik, keine Parteipolitik» machen, so sagt es Saladin.

Mit der SVP geht er scharf ins Gericht. Sein Lob für einen Linken, den SP-Ständerat Claude Janiak, brachte ihm vor rund einem Jahr heftige Kritik ein.

Er möchte wohl als unabhängiger Interessenvertreter wahrgenommen werden. Das gelingt ihm, bis auf wenige Ausnahmen.

Herr Saladin, wann waren Sie das letzte Mal einkaufen in Weil am Rhein?

Ich selber gehe nicht in Deutschland einkaufen. Meine Frau ist ab und zu dort. Aber das aus Interesse und bereits seit längerer Zeit und nicht erst, seitdem der Eurokurs so tief ist.

Also ist Einkaufstourismus für Sie persönlich kein Tabu?

Das muss jeder für sich entscheiden. Wenn jemand bewusst in der Region einkauft, ist das sicher richtig. Und wenn jemand die Möglichkeiten, Geld zu sparen, ausnutzen will und im Ausland einkauft, dann soll ihm das auch freistehen.

«Die Wirtschaft unserer Region war weniger stark von der Frankenkrise betroffen als andere.»

Nun ist es fast genau ein Jahr her, seit die Nationalbank den Euro-Mindestkurs aufhob, was zum Frankenschock führte. Hat sich die Basler Wirtschaft vom Schock erholt?

Noch nicht ganz. Es werden in diesem Jahr noch negative Folgen zu spüren sein. Schwierig bleibt die Lage in Branchen, in denen die Margen sowieso schon eng sind. Also zum Beispiel in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Diese Unternehmen haben unterdessen Effizienzsteigerungs-Massnahmen durchgeführt, die sie zum Teil vor sich hergeschoben hatten.

Einige Unternehmen haben massiv Stellen abgebaut. Meinten Sie das mit Effizienzsteigerungs-Massnahmen?

Effizienzsteigerung heisst, Prozesse so zu optimieren, dass das Verhältnis von Output zu Input steigt. Dieselbe Leistung mit weniger Personal zu erbringen ist hierbei nur eine von vielen Möglichkeiten.

Kam Basel besser weg als andere Regionen?

Die Wirtschaft unserer Region war über das Ganze gesehen weniger stark betroffen als andere. Die Ostschweiz zum Beispiel leidet mehr unter der Frankenkrise, weil dort mehr industrielle Betriebe stehen, die geringere Margen aufweisen. Von der Finanzkrise 2008 und 2009 war hingegen die Region Zürich stärker betroffen. Die Region Basel kam in den vergangenen Wirtschaftskrisen relativ glimpflich davon.

Basel als Sonderfall?

Ja. Das liegt an der lokalen Stärke der Life-Sciences-Branche. Und diese Branche war von den vergangenen Krisen eher wenig betroffen. Auch in den Pharma-Unternehmen gerieten die Preise unter Druck, aber die Verwerfungen waren bislang noch nicht so gross, dass man von einer Krise sprechen kann.




«Zwei Entwicklungen sind für die regionale Wirtschaft enorm wichtig: die Unternehmenssteuerreform III und die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative.» (Bild: Hans-Jörg Walter)

Dann ist wirtschaftlich alles im Lot?

Die Dynamik ist gross, jedoch etwas am Zurückgehen, das zeigt der regionale Anteil am nationalen Wirtschaftswachstum. Im Moment stehen zwei Entwicklungen an, die für die regionale Wirtschaft enorm wichtig sind: die Unternehmenssteuerreform III und die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative. Bei beidem geht es insbesondere auch um Planungssicherheit.

Was ist bei der Unternehmenssteuerreform wichtig?

Dass die Besteuerung für innovative Unternehmen dank der sogenannten Lizenzbox attraktiv bleibt. Da geht es nicht darum, dass man Pharma-Unternehmen privilegiert, sondern dass diese nach der Reform nicht mehr Steuern zahlen müssen als heute.

Über die Lizenzbox sollen Erträge aus der Verwertung geistigen Eigentums separat ausgewiesen werden können, die dann geringer besteuert werden. Mit dieser Möglichkeit profitiert die Pharma-Industrie doch von der Reform.

Nein. Denn die Lizenzbox ist nur eine Ersatzmassnahme. Fünf umstrittene Steuerregimes, wie beispielsweise das Steuermodell für Holdinggesellschaften, gerieten international unter Druck und müssen abgeschafft werden. Ein Ziel der Unternehmenssteuerreform ist klar die Sicherung der Ergiebigkeit der Steuereinnahmen. Damit aber die Unternehmenssteuern nicht erhöht werden, will man mit den Lizenzboxen einen Ausgleich für innovative Unternehmen schaffen. Lizenzboxen sind deshalb keine Steuersenkung für Unternehmen, sondern eine Ersatzmassnahme für bisherige Steuerregimes.

Wo liegen Ihre Sorgen punkto Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative?

Wie geht man mit den rund 60’000 Grenzgängerinnen und Grenzgängern in der Region um? Können diese auch nach der Umsetzung noch hier arbeiten? Entscheidend ist auch, ob EU-Ausländerinnen und -Ausländer weiterhin bei uns arbeiten dürfen. Solange unklar ist, wie die Initiative umgesetzt wird, sind Unternehmen zurückhaltend mit Investitionen.

«Wenn die Zahl der Grenzgängerinnen und Grenzgänger beschränkt würde, wäre das ein Super-GAU für unsere Region.»

Der Bundesrat will die SVP-Initiative nun per Schutzklausel umsetzen. Das heisst: eine Obergrenze für Einwanderung definieren und sobald diese Grenze erreicht ist, Kontingente einführen. Die Schutzklausel will der Bundesrat mit oder ohne die EU einführen. Ist das der richtige Weg?

Etwas ohne Zustimmung der EU einzuführen – das ist schwierig. Man kann es natürlich unilateral umsetzen, aber die Konsequenzen, die daraus resultieren, könnten sehr gravierend für uns sein. Nämlich dann, wenn die Bilateralen I aufgekündigt würden. Was diese Verträge gefährdet, sollte man ausser Acht lassen.

Sie unterstützen eine Schutzklausel, aber nur, wenn Sie einvernehmlich mit der EU erfolgt?

Ja. Ein Alleingang ist schwierig. Wir wissen, wie klein die Schweiz ist. Auf internationaler Ebene wird mit immer härteren Bandagen gekämpft. Ein kleines Land wie die Schweiz kann da nicht mit Maximalforderungen ankommen. Und Isolationismus ist sicher das Letzte, was eine Handelskammer unterstützen würde. Wir müssen offen sein gegenüber anderen Ländern – beim Waren- wie auch beim Personenverkehr. Allein können wir unseren Wohlstand nicht halten.

Es gäbe noch eine Alternative zur Schutzklausel. Nämlich die Rasa-Initiative, die den Verfassungsartikel der Masseneinwanderungs-Initiative wieder streichen will.

Die Handelskammer beider Basel hat zwar noch keine Parole gefasst, ich bin aber der Meinung, man sollte jeweils warten, bis ein Gesetz vorliegt, bevor man schon wieder die Verfassung ändert. Wenn das Gesetz da ist, kann das Parlament und allenfalls die Stimmbevölkerung entscheiden, ob die Initiative – respektive der Verfassungsauftrag – so umgesetzt werden soll.

Was wäre für Sie eine gute Umsetzung?

Es ist schwierig, eine Initiative, die so widersprüchlich ist, in ein Gesetz zu giessen. Die Masseneinwanderungs-Initiative will einen Schweizervorrang sowie Ausländerkontingente – und das im «gesamtwirtschaftlichen Interesse». Das ist so, wie wenn ich sage: Es muss regnen, aber es darf niemand nass werden. Man muss also entscheiden, welcher Teil des neuen Verfassungstextes höher und welcher tiefer gewichtet werden soll. Die Schutzklausel ist ein Versuch, diesen Kompromiss zu finden. Am Ende wird man eine kritische Grösse definieren müssen, denn die Initianten werden eh sagen, der Volkswille sei missachtet worden. So nämlich funktioniert dieses politische Spiel: unmögliche, populistische Vorgaben in der Verfassung verankern und dann, egal, welche Lösung vorgeschlagen wird, sagen, dass man dagegen sei.

Das klingt hoffnungslos. Sie geben damit quasi Forfait, indem Sie sagen: Egal, was passiert, am Ende gewinnen die Migrationskritiker. Müssten Sie gegenüber der SVP nicht kämpferischer auftreten?

Ich gebe damit nicht klein bei. Man muss mutige Vorschläge im Interesse der Wirtschaft machen, auch wenn diese auf Widerstand stossen. Das Ziel, die Zuwanderung zu begrenzen, sollten wir nach innen formulieren: Wir begrenzen die Zuwanderung auf die oder jene Zahl. Erst wenn diese Zahl überschritten wird, müssen wir über eine einseitige Lösung diskutieren.

Gesetzt den Fall, die Schutzklausel tritt 2017 in Kraft, die Obergrenze wird im selben Jahr erreicht und 2018 müssten folglich Kontingente eingeführt werden. Welche Folgen hätte das für die Region?

Das kommt auf die Art der Kontingente an. Wer zählt zu den Kontingenten? Gelten sie auch für Grenzgängerinnen und Grenzgänger? Aber unter dem Strich wären Kontingente für die Wirtschaft sicher negativ – das schleckt keine Geiss weg.

Was wäre, wenn Grenzgängerinnen und Grenzgänger unter die Kontingente fallen würden?

Dann sehe ich schwarz. Wenn die Zahl beschränkt würde, wäre das der Super-GAU für unsere Region. Schon nur die Aussicht darauf, dass das eintreffen könnte, führt zu weniger Investitionen in der Region.

Verstehen Sie denn das Bedürfnis, die Zuwanderung zu beschränken?

Bis zu einem bestimmten Grade, ja. Aber die Ängste, die die Politik ernst zu nehmen vorgibt, werden oft auch geschürt. Dort, wo der Dichtestress am geringsten ist, sind die Ängste am grössten. Ergo hat die SVP als Initiantin der Masseneinwanderungs-Initiative da bei den Menschen etwas geschürt.

«Wir lancieren eigene Projekte, fahren Kampagnen. Vielleicht weniger marktschreierisch als andere, dafür umso konstruktiver.»

Zuwanderung drosseln und Wirtschaftsinteressen wahren – geht das überhaupt zusammen?

Da müssten wir darüber reden, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken, das Rentenalter zu erhöhen, Ausbildungsplätze zu fördern. Es gäbe viele Massnahmen, um das Arbeitskräftepotenzial in der Schweiz besser zu nutzen.

Was tut denn die Handelskammer konkret für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Wir unterstützen Vorstösse auf politischer Ebene, haben diesbezüglich aber derzeit keine eigenen Projekte.

Ist das nicht ein Teil des Problems, dass Wirtschaftsverbände vom Inländerpotenzial reden, aber keine konkreten Projekte vorantreiben?

Im Bereich der beruflichen Ausbildung, insbesondere im naturwissenschaftlichen Bereich, machen wir als Handelskammer beider Basel sehr viel. Wir setzen uns stark dafür ein, dass nicht einfach gelernt wird, damit gelernt ist, sondern dass jene Ausbildungen angeboten und genutzt werden, die einem Bedürfnis der Wirtschaft entsprechen.

Es macht von aussen den Anschein, als ob andere Wirtschaftsverbände auf politischer Ebene lauter sind als die Handelskammer. Organisieren Sie bloss noch Cüpli-Anlässe für die Wirtschaftselite?

Nein, bestimmt nicht. Wir sind sehr aktiv bei Parlamentariern, Behörden und Regierung, lancieren eigene Projekte, fahren Kampagnen. Vielleicht weniger marktschreierisch als andere, dafür umso konstruktiver. Für uns geht es um die Wirkung, nicht um die Lautstärke.

Gerade als Sie sich vor einem Jahr politisch äusserten und den SP-Ständerat Claude Janiak lobten, ernteten Sie dafür Kritik von den Bürgerlichen.

Es waren nicht die Bürgerlichen, die mich kritisierten, sondern die «Basler Zeitung». Grundsätzlich steht unsere Wirtschaftspolitik den Bürgerlichen viel näher. Aber wir arbeiten auch mit linken Regierungsräten, National- und Ständeräten zusammen. Uns geht es um die Sache – um Wirtschaftspolitik, nicht Parteipolitik.

Ihr Verband setzt sich insbesondere für die Partnerschaft beider Basel ein. In Baselland ist Ihre Wirkung jedoch geringer.

Ich gebe Ihnen recht, dass wir zurzeit eher als städtischer Verband wahrgenommen werden. Das ist etwas, das wir ändern möchten und werden. Erfolge, was die Partnerschaft beider Basel anbelangt, können wir auf jeden Fall schon verbuchen.

Welche Projekte sind denn in der Region wichtig, um die Wirtschaft in Schwung zu halten?

Was sicher ein lokaler Schwerpunkt für Baselland und Basel-Stadt sein muss, ist die Verkehrsinfrastruktur. Auf allen Ebenen: Hochleistungsstrassen, öffentlicher Verkehr – es ist wichtig, dass die Durchmesserlinie «Herzstück» realisiert wird – oder Schiffsverkehr. Das Hafenterminal Basel Nord muss realisiert werden. Bei diesen Projekten stehen hohe Beträge an Bundessubventionen auf dem Spiel. Deshalb sollten wir als Region zusammenstehen und uns nicht auseinanderdividieren lassen. Und auch bei der Luftfahrt, wo die Rechtssicherheit des EuroAirport, was das Steuerrecht angeht, noch immer nicht garantiert werden kann. Wenn wir bei diesen vier Verkehrsträgern in diesem Jahr weiterkommen, dann haben wir, auch als Handelskammer beider Basel, sehr vieles sehr gut gemacht in der und für die Region.

Franz A. Saladin (49) ist seit vier Jahren Direktor der Handelskammer beider Basel (HKBB). 2011 kandidierte er in Baselland für den Nationalrat (FDP) und wurde knapp nicht gewählt. 2015 kandidierte er nicht. Saladin studierte Chemie und promovierte zum Thema Sonnenenergie. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Nächster Artikel