«Hier geht es um viel Geld»

Wissenschaftler und Studien, die auf Risiken der Gentechnik hinweisen, werden von der Gentech-Industrie und ihr nahe stehenden Kreisen als unseriös diffamiert. Solche Kampagnen seien nichts Ungewöhnliches, sagt die Pflanzenökologin Angelika Hilbeck von der ETH Zürich.

Expertin für Biosicherheit: ETH-Forscherin Angelika Hilbeck. (Bild: Michael Würtenberg)

Die Pflanzenökologin Angelika Hilbeck von der ETH Zürich über Diffamierungskampagnen gegen gentech-kritische Wissenschaftler.

Eine Studie des französischen Molekularbiologen Gilles-Eric Séralini sorgte für Schlagzeilen. Séralini hatte herausgefunden, dass Ratten, die über zwei Jahre mit einem herbizid­resistenten Gentech-Mais von Monsanto gefüttert worden waren, häufiger Tumore entwickelten und früher starben als die Ratten in der Kontrollgruppe. Die Studie wurde als unseriös diffamiert. Kampagnen gegen Wissenschaftler, die auf Risiken von Gentechpflanzen hinweisen, seien normal, sagt die Pflanzenökologin Angelika Hilbeck. Sie habe das auch schon erlebt.

Frau Hilbeck, laut dem Abschlussbericht des Nationalen Forschungsprogramms NFP 59 birgt der Anbau von Gentechpflanzen keine Risiken.

Das kann man so sicher nicht sagen. Genauso wenig kann man sagen, dass Gentechpflanzen auf jeden Fall riskant sind für Mensch und Umwelt. Beide Aussagen sind derzeit nicht ausreichend wissenschaftlich belegt. Die pauschale Aussage des NFP-Berichts ist unwissenschaftlich. Es gab bei diesem Forschungsprogramm durchaus Ergebnisse, die zu einer anderen Interpretation hätten führen können. Es kommt halt darauf an, wer die Resultate interpretiert. Den zu diesem Urteil ­führenden Bericht schrieben zwei Forscher, die bekennende Gentech-Enthusiasten sind.

Nun sorgte Gilles-Eric Séralini für Aufsehen. Er fand heraus, dass mit Gentech-Mais gefütterte Ratten früher sterben.

Ja, ich bin sehr erschrocken über diese Resultate.

Sie nehmen die Studie ernst?

Natürlich nehme ich sie ernst.

Noch am Tag der Publikation warfen andere Wissenschaftler Séralinis Studie methodische Mängel vor.

Solche Attacken gegen Wissenschaftler, die Risiken von Gentechpflanzen zu Tage fördern, sind normal. Es sind immer die gleichen industrienahen Gentechbefürworter, die kritische Studien und deren Autoren in einer konzertierten Aktion sofort zu diffamieren versuchen. Hier geht es um viel Geld. Auf Séralini wurden nun die grosskalibrigen Waffen gerichtet, denn bei seiner Fütterungsstudie ging es um die Gesundheit der Tiere, die wiederum als Modell für uns Menschen dienen.

Es hiess, Séralini habe einen für Krebs anfälligen Rattenstamm gewählt.

Das ist ein absurdes Argument. Séralini hat den gleichen Rattenstamm gewählt wie Monsanto. Wollen wir wirklich, dass eine Substanz an einem Organismus getestet wird, der nicht sensitiv darauf reagiert? Mit den Diffamierungen wollte man davon ablenken, dass Séralini die gleiche Methode wählte wie Monsanto. Denn wenn man Séralini als Forscher ernst nimmt, muss man auch seine Studie und damit den Vergleich mit Monsanto ernst nehmen. Das aber würde bedeuten, die Studie von Monsanto und damit die Zulassung des Gentechmaises in Frage zu stellen.

Wie seriös ist Séralinis Studie?

Die Studie reicht für ein abschliessendes Urteil über die Gefährlichkeit des Herbizids, mit der die Gentechpflanze bespritzt wird, oder über die Gentechpflanze selbst nicht aus. Man kann aufgrund der Studie alleine nicht sagen, ob der Mais oder das Spritzmittel krebserregend sind. Aber die Resultate sind besorgniserregend. Es braucht unbedingt weitere, unabhängige Untersuchungen. ­Séralini hat gezeigt, wie wichtig Langzeitstudien sind. Die Studien der Industrie, auf die sich die Zulassungsbehörden stützen, dauern höchstens 90 Tage. Für eine seriöse Risikobewertung reicht das einfach nicht aus. Im Übrigen hat auch Hersteller Monsanto in seiner 90-tägigen Studie bereits Organschäden bei den Nagern ausgemacht. Bloss wurden diese Schäden als «biologisch irrelevant» weggeredet.

Warum wurden bisher keine Langzeitstudien gemacht?

Wenn man über Risiken diskutiert, muss man den Referenzrahmen definieren, also bestimmen, was als Risiko in diesen Rahmen eingeschlossen wird. Der Risikobegriff ist heute sehr eng gefasst. Viele mögliche negative Effekte werden aus der Risikobetrachtung ausgeschlossen.

Zum Beispiel?

Nehmen wir den Gentechmais, den Séralini für seine Studie verwendete: Dieser Mais wurde gentechnisch so verändert, dass er resistent ist gegen Totalherbizide wie «Roundup». Nun wird aber nur das neue Protein ­untersucht, das durch das eingebaute Gen kodiert wird. Zeigt das Protein – isoliert getestet – keine toxischen Effekte, gilt die Gentechpflanze als risikolos. Nicht untersucht wird die Biosicherheit der gesamten Pflanze, in die das Gen eingebaut wurde, einschliesslich der Wechselwirkungen mit dem Herbizid. Nicht untersucht wird auch, welche Effekte das Herbizid auf Mensch, Tier und Umwelt hat. Es wird nicht untersucht, welche Effekte der Gentechmais, der von den Tieren gefressen wird, auf deren Organismus hat etc. Diese Risiken werden externalisiert.

Das heisst, auf die Gesellschaft übertragen?

Genau. Wenn man all diese Effekte aus der Risikoanalyse ausschliesst, braucht es auch keine Langzeitstudien für die Zulassung von Gentechpflanzen. Die Beweislast ist verkehrt: Es ist nicht der Gentechkonzern, der eine umfassende Risikoanalyse seines Produkts machen muss. Es sind ein paar wenige, unabhängige Forscher an Universitäten, die beweisen müssen, dass es doch Risiken gibt und die Risikoabklärungen der Industrie zu kurz griffen. Das ist doch nicht die Aufgabe einer öffentlichen Forschungseinrichtung!

Gibt es noch unabhängige ­Forschung?

Nein, das ist fast nicht möglich. Die Industrie hat die Kontrolle über das Forschungsmaterial. Sie wählt sich die Forscher aus, die damit forschen dürfen. Unabhängige Forschung ist nur möglich mit Saatgut, das schon auf dem Markt ist. In der Phase, in der es kritische Risikodaten bräuchte, um seriös entscheiden zu können, ob die Pflanze zugelassen werden soll oder nicht, bestimmt die Industrie, wer mit dem Saatgut Forschung betreiben darf. Die Forscher dürfen die Daten nur publizieren, wenn die Industrie einverstanden ist.

Das war auch bei Ihrer Forschung über die Auswirkungen eines Gentechmaises der Ciba, heute Syngenta, auf Florfliegen und Marienkäfer so.

Ja, wir brauchten die Genehmigung der Ciba, um unsere Resultate pub­lizieren zu können. Als unsere Stu­dien ergaben, dass der Bt-Mais nicht nur die Zielschädlinge, sondern auch Nützlinge schädigt, verweigerte die Ciba die Einwilligung zur Publika­tion. Als klar war, dass der Schaden für Ciba grösser wäre, wenn ich die Öffentlichkeit über das Pub­likationsverbot informieren würde, willigte sie ein. Dafür wurden wir am Pub­likationstag in einer Presseerklärung von Ciba mit Lügen verunglimpft.

Wie reagieren Sie auf solche ­Angriffe?

Ich versuche ihnen mit wissenschaftlichen Argumenten zu begegnen. Zu unseren Studien sind später Gegenstudien erschienen, die zum Schluss kamen, dass die Nützlinge nicht geschädigt werden. Wir konnten wiederum nachweisen, dass diese Forscher eine andere Methode wählten als wir. Zudem konnten wir unsere Resultate reproduzieren.

Die Landwirtschaft steht vor grossen Herausforderungen: Klimawandel, endliche Ressourcen, steigende Bevölkerungszahl. Vermag die Gentechnologie diese Probleme zu lösen?

Wir sind so sehr darauf konditioniert, dass Lösungen zu allen Problemen von irgendwelchen lukrativen Technologien kommen müssen, dass wir das Ziel aus den Augen verloren haben. Die Frage lautet: Welche Landwirtschaft wollen wir? Es ist heute klar, dass wir mit der agrarindustriellen Produktion nicht weiterkommen, weil sie unsere endlichen Ressourcen verbraucht. Wir haben Peak Öl, Peak Stickstoff, Peak Wasser, Peak Phosphor erreicht. Man kann das Ende der industriellen Landwirtschaft schon fast mit einem Datum belegt. Auch die Gentechpflanzen sind für die industrielle Landwirtschaft gemacht. Es hat mal jemand gesagt, die Frage sei: Wie kriegen wir die Ökologie in die Ökonomie rein? Doch die Frage lautet: Wie bringen wir die Ökonomie in die Ökologie rein? Denn wir können mit dem Planeten Erde nicht darüber verhandeln, wie er zu funktionieren hat. Entweder wir begreifen endlich, dass es da nichts zu verhandeln gibt und wir innerhalb der ökologischen Grenzen und Gesetzmässigkeiten des Planeten operieren müssen – oder wir werden scheitern.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.11.12

Nächster Artikel