«Ich kenne kein Unternehmen, das durch Sparen gesund geworden wäre»

Weleda stand 2012 vor dem Abgrund. Heute schreibt das auf Naturkosmetik und anthroposophische Arzneimittel spezialisierte Unternehmen wieder Gewinn. Der neue CEO Ralph Heinisch erklärt, wie er die Arlesheimer Firma aus der Misere gebracht hat.

«Einer Unternehmenskrise geht ein relativ langer Prozess der Eskalation voraus.» Ralph Heinisch, CEO bei Weleda. (Bild: Nils Fisch)

Weleda stand 2012 vor dem Abgrund. Heute schreibt das auf Naturkosmetik und anthroposophische Arzneimittel spezialisierte Unternehmen wieder Gewinn. Der neue CEO Ralph Heinisch erklärt, wie er die Arlesheimer Firma aus der Misere gebracht hat.

10 Millionen Franken Verlust schrieb Weleda im Jahr 2011. Das einst so stolze anthroposophische Medizinal- und Kosmetikunternehmen war unter der damaligen Führung in eine arge Schieflage geraten. Die Eigentümerschaft, darunter die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft, zogen die Notbremse und setzten den kompletten Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung ab.

Jetzt scheint der neue CEO Ralph Heinisch die Wende geschafft zu haben: 2013 verzeichnete das Unternehmen aus Arlesheim einen Gewinn von 4,7 Millionen Euro (5,7 Millionen Franken).

Herr Heinisch, die Weleda Gruppe konnte dieses Jahr seit langem wieder gute Zahlen präsentieren. Was ist passiert?

Passiert ist eigentlich gar nichts, das Unternehmen hat sich in den letzten zwei Jahren sehr positiv entwickelt. Vieles hat dazu beigetragen. Am wichtigsten war, dass die Eigentümer endlich die Verantwortung übernommen haben. Im gleichen Zuge wurden zuerst der Verwaltungsrat und anschliessend die Geschäftsleitung erneuert und ich wurde als CEO eingesetzt. Letztlich ist es uns gelungen, die Menschen bei Weleda wieder in Bewegung zu bringen.

Die Führung wurde komplett ausgetauscht, so etwas kann nicht reibungslos vonstatten gehen.

Die Situation ist nicht weiter eskaliert. Natürlich ist ein solcher Wechsel für die einzelnen Personen mit Reibung verbunden, wir haben aber einen sozialverträglichen Weg gefunden, dieses Unternehmen zu sanieren.

Eine solch drastische Massnahme muss doch einen dramatischen Wandel auslösen?

Ja das stimmt, aber genau dieser Wandel war nötig. Die Weleda war 2011 und 2012 in einer schwierigen Lage, und ein Turnaround ist nicht möglich ohne schwerwiegende und weitreichende Massnahmen.

Vor zwei Jahren fand Ralph Heinisch bei Weleda einen Scherbenhaufen vor. Heute schreibt das Unternehmen wieder Gewinn.

Sie haben Teile Ihrer Vorräte verkauft?

Nein, wir haben einfach weniger produziert. Und so die Vorräte dem betriebsnotwendigen Umfang angepasst. Der Finanzbedarf hat sich dadurch entsprechend reduziert.

Sie sagten vorhin, dass Sie sich von allen Beratern getrennt haben. Haben vor dem Wechsel zu viele Leute ins Geschäft reingeredet?

Berater zu engagieren, ist in einer Krise ja nichts Atypisches, im Gegenteil. Unternehmen, die Probleme haben, fragen gerne nach Rat. Es ist die vermeintlich einfachste Methode. Was wir jetzt gemacht haben, ist aussergewöhnlich. Ich kenne kaum ein Unternehmen in einer ähnlichen Situation und Grössenordnung, welches komplett aus eigener Kraft eine derartige Krise überwunden hat.

Ist es auch eine Frage des Selbstbewusstseins?

Ich glaube es hat viel mit Erfahrung zu tun. Und wenn es etwas gibt, das ich persönlich in dieses Unternehmen eingebracht habe, dann ist es die Erfahrung, die ich in 15 Jahren permanenter Change-Prozesse sammeln konnte.

Was gefällt Ihnen daran, Unternehmen umzubauen? Reizt Sie die Herausforderung?

Es hat beinahe etwas mit Schicksal zu tun. Ich wurde einfach immer wieder angefragt, solche Aufgaben zu übernehmen. Es ist nicht so, dass ich es aktiv gesucht hätte.

Sie sind also der Mann, den man ruft, wenn es etwas aufzuräumen gibt?

Aufräumen ist nicht das richtige Wort. Es gibt Leute, die das besser können als ich. Der grosse Unterschied meiner Methode liegt darin, dass es mir um nachhaltige Entwicklung geht. Ich habe nicht das Ziel, in kürzester Zeit gute Zahlen zu schreiben. Meine Motivation ist es, die Grundlage zu schaffen, auf der sich die langfristige Existenz eines Unternehmens aufbauen lässt. Wenn ich zurückschaue, dann stehen die meisten Unternehmen, bei denen ich gearbeitet habe, heute auf besseren Füssen als vor meiner Zeit.

Sie haben gesagt, dass die Unsicherheit im Unternehmen vor dem Wechsel am grössten war. Wie hat sich die Stimmung der Angestellten verändert?

Die meisten konnten ihren Arbeitsplatz behalten. Im Moment beobachten wir sogar eine Wachstumsdynamik. Sehr langsam, aber gesund, das ist auch gewollt. Mitarbeiter, die das Unternehmen irgendwann einmal verlassen haben, kehren heute zu Weleda zurück. Es gibt zahlreiche Symptome, die darauf hin deuten, dass sich die Menschen hier wohl fühlen. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um gute Arbeit leisten zu können. Wirtschaftlich gesehen sind die Arbeitsplätze bei Weleda sehr sicher, das gibt den Menschen eine Zukunftsperspektive. Kontinuierliches Wachstum verbunden mit einem verbesserten Ergebnis ist auch etwas, was die Menschen motiviert. Weil sie so sehen können, wie ihre Arbeit Früchte trägt.

Wenn Sie die Situation heute mit der vor zwei Jahren vergleichen: Was ist die grösste Veränderung?

Es fand ein Kulturwandel statt. Dahingehend, dass unsere Entscheide und unser Handeln heute sehr wertschöpfungsorientiert getrieben sind. Wir schauen ganz genau, was sich aus unserem Handeln für das Unternehmen ergibt. Dieses Ergebnis muss nicht ein monetäres sein. Weleda ist ja nicht gegründet worden, um möglichst viel Geld zu verdienen, sondern hat eine Aufgabe übernommen. Sie soll auf dem Gebiet der Gesundheit neue Impulse geben und im sozialen Bereich zeigen, dass Wirtschaft auch anders funktionieren kann als gewohnt. Wir versuchen Vorbild zu sein. Klar müssen wir Geld verdienen, das ist jedoch nur die Nebenbedingung, damit wir unsere Ziele erreichen können.



«Bevor wir heute einen Franken ausgeben, wird dieser Franken zweimal umgedreht und wir wollen sicher sein, dass wir ihn auch wieder zurückbekommen oder sogar noch mehr.»

«Bevor wir heute einen Franken ausgeben, wird dieser Franken zweimal umgedreht und wir wollen sicher sein, dass wir ihn auch wieder zurückbekommen oder sogar noch mehr.» (Bild: Nils Fisch)

Stichwort Kulturwandel: Weleda hat einen klaren Auftrag und einen ideologischen Hintergrund. Erschwert eine diese Ausgangssituation den Kulturwandel?

Ich würde es nicht einen «ideologischen» Hintergrund nennen. Eine Ideologie ist ein starres Weltbild, das keinen Widerspruch duldet. Hinter Weleda steht eine Vision, das stimmt. Diese Vision manifestiert sich in einem Engagement für die Gesundheit des Menschen und des sozialen Organismus. Weleda unterscheidet sich von anderen Unternehmen, weil die Menschen, die hier arbeiten, eine grosse Schnittmenge in ihren Werten haben. Ich nenne das die Identität von Weleda. Diese Identität zeigt sich im Unternehmen, im Umgang mit dem Personal, im Umgang mit den Kunden und Lieferanten aber auch in den Produkten. Unsere Produkte sind grundehrlich, sie geniessen bei den Konsumenten uneingeschränktes Vertrauen.

Eine derart starke Identität und grosse Einigkeit müssen einen Wandel doch erschweren?

Wenn alles konsistent ist, wenn also die Kultur, die Produkte, die Menschen und die Identität zusammenpassen, dann ist das eine hervorragende Grundlage. Wir benötigen keine künstliche Unternehmensvision, auf die die Mitarbeiter eingeschworen werden müssen. Daraus ergibt sich eine enorme innere Kraft.

Was musste ganz konkret in den Köpfen der Mitarbeiter passieren?

Ich habe vorhin den Begriff der Wertschöpfung benutzt, das wirkt sich ganz konkret auf jeden Einzelnen aus. Die Dinge, die man vorher getan hat, waren alle gedeckt durch die Vision oder die Strategie des Unternehmens. Aber Ziele können auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden. Bevor wir heute einen Franken ausgeben, wird dieser Franken zweimal umgedreht und wir wollen sicher sein, dass wir ihn auch wieder zurückbekommen oder sogar noch mehr. Diese Haltung gab es in dieser Stringenz vorher nicht.

«Natürlich ist ein solcher Wechsel für die einzelnen Personen mit Reibung verbunden, wir haben aber einen sozialverträglichen Weg gefunden, dieses Unternehmen zu sanieren.»

Aber das Sortiment ist heute kleiner als vor zwei Jahren.

Das Sortiment ist heute bedarfsgerechter gestaltet als in der Vergangenheit. Es hatte sich historisch am Bedarf vorbei entwickelt, weil sich niemand darum gekümmert hat.

Was bedeutet das in Zahlen?

Das kommt auf das jeweilige Land an. Die Sortimente unterscheiden sich sehr stark. In unseren Kernländern, also Schweiz, Deutschland, Frankreich, werden die Sortimente genauer angeschaut als in Italien, wo das Sortiment deutlich kleiner ist.

Sie wollen sich also nicht auf eine Zahl festlegen.

Nein, denn das ist ein Prozess, der noch nicht zu Ende ist. Es ist nicht so, dass wir eine neue Sortimentspolitik verfolgen würden. Wir haben zu grossen Teilen ein Sortiment, das in seiner ganzen Breite nur von ganz wenigen Experten angewendet wird. Die Arzneimittel, die sich der Patient selber kaufen kann, die frei verfügbar sind, sind davon in keiner Weise betroffen. Im Gegenteil, wir haben dieses Jahr sogar ein neues Mittel eingeführt, Visiodoron-Augentropfen. Das Expertensortiment wird in Absprache mit der anthroposophischen Ärzteschaft neu gestaltet, es sind letztlich die Ärzte, die dafür verantwortlich sind.

Die permanente Sicherstellung einer Versorgung dieser Ärzte mit Arzneimitteln für die anthroposophische Therapie war einer der Gedanken hinter der Weleda-Gründung.

Genau. Und inzwischen ist ein Prozess im Gang, wonach sich die komplementäre Medizin, wozu unter anderem die anthroposophische und die homöopathische Medizin gehören, stärker als früher in das bestehende Gesundheitssystem integrieren will. So ist auch diese Massnahme zu verstehen.

Ralph Heinisch
Der 58-Jährige Deutsche wurde im März 2012 als neuer Direktor der Weleda Gruppe eingesetzt. Der Kaufmann und Unternehmensberater hat lange Erfahrung in der Restrukturierung von Unternehmen. Er war zuvor für den deutschen Kunststoffhersteller Frank plastic AG tätig und leitete eine anthroposophische Klinik in Bad Liebenzell (D).

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