Machtspiele, Fehlentscheide und blockierte Sanierungsmassnahmen führten dazu, dass Weleda vor zwei Jahren beinahe Konkurs ging. Heute scheinen die Probleme gelöst zu sein. Was ist passiert?
Zuerst passierte gar nichts, dann ging alles sehr schnell. Die Eigentümer von Weleda schauten jahre-, wenn nicht jahrzehntelang zu, wie beim Traditionsunternehmen in Arlesheim alles aus dem Ruder lief. Anfang 2012 befand sich Weleda in einer existenziellen Krise, weil der Umsatz mit anthroposophischen Arzneimitteln und Naturkosmetik seit Jahren zum ersten Mal nicht zunahm, sondern sogar leicht zurückging, um 0,3 Prozent. Ein gesundes Unternehmen hält so etwas einigermassen unbeschadet aus. Bei Weleda aber war sofort Feuer im Dach.
Der Umsatzrückgang war die letzte Eskalation eines langen Prozesses, den heute viele schon früh als Problem erkannt haben wollen. Gehandelt wurde trotzdem nicht, beziehungsweise viel zu spät.
Der heutige Weleda-Chef Ralph Heinisch wählt seine Worte vorsichtig. Journalistenfragen, die ihm nicht passen, korrigiert er. Den Begriff «Einsparungen» etwa hört er nicht gerne, lieber spricht er von «bewusstem Geldausgeben». Deutlicher fallen seine Worte aus, wenn er über den Zustand von Weleda im Jahr 2012 spricht: «Das Unternehmen befand sich in einer tiefen Krise.»
Die «Krise», das waren Millionenverluste, eine gespaltene Führung, fatale Investitionsentscheide und eine Eigentümerschaft in Aufruhr. Dann kam der grosse Schnitt: Unternehmensführung und Verwaltungsrat wurden komplett ausgetauscht, und Heinisch wurde als Sanierer eingesetzt. Das war im März 2012. Rund zwei Jahre später kann der neue Chef wieder gute Zahlen präsentieren. Was ist passiert?
Die Person berichtet von einer wankelmütigen Eigentümerschaft, die unbequeme Entscheide kleinmütig rückgängig machte, sobald aus der Ärzteschaft Kritik laut wurde. Kürzungen im Sortiment oder gar Entlassungen seien, gerade in Deutschland, nicht infrage gekommen, unabhängig davon, wie prekär die finanzielle Lage war.
Diesen Wankelmut bekam auch Fankhauser zu spüren. «Ich habe mich von den Eigentümern sehr schlecht unterstützt gefühlt», sagt er. Ohne Rückendeckung war es Fankhauser und dem Verwaltungsrat nicht möglich, unbequeme Massnahmen durchzusetzen.
Obwohl Fankhauser das ungesunde Ungleichgewicht bei Weleda nicht als Einziger erkannte, stiess er auch innerhalb des Verwaltungsrats mit seinen Vorschlägen teilweise auf taube Ohren. «Wir zogen als Gremium nicht alle am selben Strick.» Die von den Hauptaktionären in den Verwaltungsrat entsandten Vertreter hätten sich teilweise gegenseitig blockiert und so wichtige Entscheide verzögert. Bis im März 2012 die komplette Führung abgesetzt wurde. «Weil die Weleda einen handlungsfähigen Verwaltungsrat braucht», wie das Unternehmen in einer Medienmitteilung schrieb.
Mit dem drastischen Schnitt begann bei Weleda eine neue Ära, die Eigentümer übernahmen die direkte Verantwortung. Verwaltungsratspräsident ist heute AAG-Vorstand Paul Mackay. Auch die Ärzteschaft hat nun ihren Vertreter im Verwaltungsrat. Die Kritiker aus dem Goetheanum verstummten, schliesslich sass nun einer der ihren am Steuer von Weleda.
Ralph Heinisch ist seit knapp zwei Jahren CEO bei Weleda. Seine Aufgabe: Das anthroposophische Unternehmen zu sanieren. (Bild: Nils Fisch)
Die neue Zusammensetzung des Verwaltungsrats zeigt Wirkung, CEO Heinisch verfügt offenbar über die nötige Rückendeckung. Denn seine Massnahmen waren einschneidend. Er baute das Unternehmen um, so dass eine ganze Führungsebene überflüssig wurde. Von den 2039 Vollzeitstellen strich Heinisch bis Ende 2012 über 100, ein Grossteil davon im Management. Gleichzeitig verhängte er einen Investitionsstopp von zwei Jahren. Ausserdem wurde das defizitäre Medikamentensortiment schrittweise reduziert, ein Vorgang der immer noch andauert.
Inbesondere letztere Massnahme ist bei den anthroposophischen Ärzten wenig populär. Schliesslich wurde Weleda gegründet, um diese Therapierichtung zuverlässig mit Arzneimitteln zu versorgen. Ein Vertreter der kritischen Ärzteschaft und damit der Traditionalisten ist Andreas Worel. Der Arzt war einst medizinischer Leiter bei Weleda und rief die AAG 2012 auf, endlich die Verantwortung im serbelnden Unternehmen zu übernehmen. Er bleibt skeptisch, auch wenn die Zahlen heute besser aussehen – aus seiner Sicht eine Beschönigung der Zahlen dank Personalreduktionen.
«Es ist ein Riesenfehler, bewährte Arzneimittel aus Absatzgründen aus dem Sortiment zu nehmen», ist Worel überzeugt. Denn zwei Jahre danach verfalle die Zulassung, und eine spätere Neuregistrierung sei kaum zu finanzieren. Daher seien ausgelistete Medikamente definitiv verloren – ungeachtet ihrer medizinischen Bedeutung insbesondere bei seltenen Erkrankungen. Worel attestiert auch der aktuellen Strategie «selbstzerstörerische Züge», weil sie der zentralen Aufgabe von Weleda als Unternehmen der anthroposophischen Medizin faktisch widerspreche. «Der neuen Führung mangelt es sowohl an medizinischem wie mit den Besonderheiten der anthroposophischen Heilmittelherstellung und -entwicklung vertrautem Sachverstand», bemängelt er. Die Bedürfnisse der Patienten würden zu wenig berücksichtigt.
Das Ende einer jahrzehntelangen Kooperation
Am Beispiel der Arzneimittelsortimente zeigt sich der Einfluss der deutschen Ärzte. Die Sortimente unterscheiden sich je nach Land stark. Dem «Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht 2013» ist jedoch zu entnehmen, dass beispielsweise das Sortiment in Frankreich von 2000 Präparaten auf 1400 zusammengestrichen wurde. Vergleichbare Zahlen zum Sortiment in Deutschland sind jedoch nicht enthalten. Der Geschäftsbericht spricht lediglich von einer «Neustrukturierung», welche die Arbeitsabläufe vereinfache und die Kosten senke.
Heinisch hat noch einen weiteren, drastischen Schnitt vorgenommen: Auf Ende 2015 beendet Weleda die jahrzehntelange Kooperation mit dem Institut Hiscia, Verein für Krebsforschung. Zusammen mit Hiscia hat Weleda das Medikament «Iscador» arbeitsteilig entwickelt und vertrieben. Hiscia war für Forschung und Produktion zuständig, Weleda für Vertrieb und Marketing.
Iscador ist ein Mistelpräparat, das in der Behandlung von Krebspatienten eingesetzt wird. Die Umsätze sind seit Jahren rückläufig, unter anderem weil das Medikament in Deutschland die Kassenzulassung verloren hat. «Wir konnten uns mit Hiscia nicht auf ein gemeinsames Geschäftsmodell für die Zukunft einigen», sagt Heinisch. Sämtliche Markenrechte von Iscador gingen an Hiscia über. Weleda will eigene Mistelpräparate entwickeln und damit die Hoheit in diesem Markt erlangen. Die Reformer sehen in der neuen Weleda keinen Platz mehr für diese Kooperation.
Bis 2011 wurden riesige Summen in neue Infrastruktur gesteckt. Die Anlagen sind weit davon entfernt, ausgelastet zu sein. (Bild: Nils Fisch)
Damit steht Hiscia vor der gewaltigen Aufgabe, innert etwas mehr als zwei Jahren eine eigene funktionierende Vertriebsabteilung aufzubauen. Dass der Verein damit an seine Grenzen stösst, ist offensichtlich. Michael Werner ist Leiter von Hiscia. Auf Fragen nach der Zukunft reagiert er beinahe trotzig. «Das Medikament wird Weleda langfristig fehlen. Es ist nicht einfach, ein Mistelpräparat von Grund auf neu zu entwickeln und im Markt bekannt zu machen.» Hiscia werde mit Iscador Marktführer bleiben, ist Werner überzeugt. Zwar rechne er zu Beginn mit Umsatzeinbussen. Da das Medikament bei Ärzten und Patienten jedoch gut etabliert sei, würden sich die Verkaufszahlen bald erholen. «Letzlich ist es auch für uns am besten, wenn wir uns von dieser komplizierten Symbiose befreien können», sagt Werner.
Kritiker Worel ist gleichfalls skeptisch, was die Fähigkeiten von Weleda betrifft, ein eigenes Mistelpräparat zu entwickeln und die Zulassung dafür zu erhalten. «Durch den Verkauf von Iscador verspielt das Unternehmen seine Marktführerschaft und Kompetenz in diesem Bereich.» Dass sich Weleda von Hiscia verabschiedet, ist für Worel ein weiteres Zeichen dafür, wie wenig Verständnis der komplexe Bereich Arzneimittel bei den Reformern von Weleda geniesst.
Artikelgeschichte
25. Juli 2014: Im Abschnitt zu den Arzneimittelsortimenten wurde nach einem Hinweis durch Weleda folgender Satz gelöscht: «Das deutsche Sortiment ist das grösste. Entsprechend müsste dort die Sortimentsbereinigung am stärksten ins Gewicht fallen.» Diese Information sei so nicht zutreffend, da das Sortiment in der Schweiz am umfangreichsten sei.