Beat Leuthardt vom Mieterverband warnt vor «einer dramatischen Lage». Auf dem Basler Wohnungsmarkt herrsche eine Goldgräberstimmung. Von den zahlreichen Massenkündigungen betroffen seien vor allem ältere, langjährige Mieter.
Für den Basler Mieterverband ist der Fall Mülhauserstrasse 26 kein Einzelfall. Dort will der kantonale Liegenschaftsverwalter Immobilien Basel-Stadt eine teure Sanierung durchführen und hat deshalb sämtlichen Mietparteien, darunter mehrere betagte Personen, gekündigt. BastA!-Grossrat Beat Leuthardt leitet den Rechtsdienst des Mieterverbands und begleitet die Mieter in ihren Verfahren vor der Schlichtungsstelle und dem Zivilgericht.
Herr Leuthardt, wie stehen die Chancen, dass sich die Massenkündigung noch abwenden lässt?
Das ist sehr schwer zu sagen. Grundsätzlich kennt die Schweiz keinen Kündigungsschutz, der seinen Namen verdient. Der Eigentümer kann laut Bundesgericht mit seinem Eigentum machen, was er will, er darf auch eine 91-jährige Frau auf die Strasse stellen. Einen Hoffnungsschimmer gibt es aber. Sollte die Kündigung auf Vorrat ausgesprochen worden sein, also noch gar kein konkretes Bauprojekt vorliegen, haben wir eine Chance. Das heisst, das Projekt müsste am Tag nach der Kündigung «greifbare Realität» sein, damit der Vermieter mit der Sanierung loslegen kann. Hier bestehen doch erhebliche Zweifel im Fall der Mülhauserstrasse.
Was hätten die Mieter davon, wenn die Kündigung als missbräuchlich bewertet wird?
Dann sind die Kündigungen ungültig. Sollte das Zivilgericht so entscheiden, besteht automatisch eine mindestens dreijährige Kündigungssperre.
Zunächst sind die Mieter an die Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten gelangt. Wie steht das Verfahren dort?
Das Verfahren ist durch, das Vorgehen der Schlichtungsstelle war enttäuschend. Sie hat sich davor gedrückt festzustellen, dass es sich um eine Vorratskündigung handelt. Stattdessen hat sie entschieden, die Kündigungen seien rechtmässig gewesen. Im Mai will sie nun nachverhandeln, ob zumindest eine Fristerstreckung von bis zu vier Jahren verfügt wird. Wir pochen auf das Maximum angesichts des hohen Alters einzelner Bewohnerinnen und Bewohner.
«Denn niemand wehrt sich gegen eine sanfte Sanierung, bei der die Mieter in ihren Wohnungen bleiben können.»
Trotzdem müssen die Bewohner letztlich aus ihren Wohnungen raus.
Nicht unbedingt. Wir hoffen, mit der Besitzerin, der Pensionskasse Basel-Stadt ins Gespräch zu kommen. Denn niemand wehrt sich gegen eine sanfte Sanierung, bei der die Mieter in ihren Wohnungen bleiben können. Wir wehren uns auch nicht gegen begründete Mietzinserhöhungen nach der Sanierung. Aber dagegen, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, kein Gespräch stattfindet. So darf eine staatliche Pensionskasse nicht vorgehen.
Angesichts der eher tiefen Mieten ist doch nachvollziehbar, dass die PK mit einer Sanierung mehr Rendite erwirtschaften will. Rundherum sind die Mieten oft teurer.
Daraus muss man aber den richtigen Schluss ziehen. Es werden derzeit grosse Profite abgeschöpft auf dem Basler Wohnungsmarkt. In jedem anderen Bereich, etwa bei Lebensmitteln, würde man von Wucherpreisen sprechen, aber im Wohnwesen spricht man bloss vom Markt, der spielt. Die Pensionskasse erwirtschaftete mit der Mülhauserstrasse 26 bereits in der Vergangenheit eine ordentliche Rendite, jetzt will sie diese ins Exorbitante steigern. Das führt auch zu einer Anhebung des Mietzinsniveaus im Quartier – was wiederum Mieterhöhungen nach sich zieht.
«Seit zwei Jahren registrieren wir fast ausschliesslich, dass Vermieter die Bewohner gleich auf die Strasse stellen.»
Klar ist doch auch, dass die Pensionskasse mehr Rendite erwirtschaften muss, will sie nicht wieder in eine Unterdeckung reinlaufen.
Wir wissen um die Problematik. Aber die Strategie kann niemals aufgehen. Die Pensionskasse bestraft ihre eigenen Kunden, indem sie sie aus ihren Wohnungen wirft. Das würde kein Unternehmen machen. Die PK soll ihre Profite optimieren – nicht maximieren. Sie kann nicht einfach blind jeglicher sozialer Verantwortung wirtschaften. Sie soll ihre Projekte gemeinsam mit ihren Kunden entwickeln, statt gegen diese.
Handelt es sich bei der Massenkündigung an der Mülhauserstrasse um einen Einzelfall?
Mitnichten. Die Massenkündigung an der Mülhauserstrasse ist in etwa der Fall Nummer 130 innert elf Jahren – und jede Woche kommt ein neuer hinzu. Nicht immer geht es dabei um Massenkündigungen, manchmal auch nur um massive Aufschläge nach Sanierungen. Aber seit zwei Jahren registrieren wir fast ausschliesslich, dass Vermieter die Bewohner gleich auf die Strasse stellen, wenn sie sanieren wollen. Das ist dramatisch.
Wer ist von Massenkündigungen vor allem betroffen?
Oftmals handelt es sich um langjährige, ältere Mieter. Wir haben viel mit 70-, 80- und 90-Jährigen zu tun, die rausgeworfen werden. Es sind oft rüstige Rentner, die fit sind und keine Pflege brauchen. Die in sozialen Gemeinschaften leben, wo man sich gegenseitig hilft im Alltag, etwa beim Einkaufen. Es ist brutal, wie solche wunderbaren Phänomene, die der Staat eigentlich fördern müsste, aus reiner Profitgier zerstört werden. Einer der massengekündigten Mieter ist ein 95-Jähriger, der privat gewohnt hat, ohne auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Jetzt ist er in einem Pflegeheim untergebracht, weil er keine Wohnung mehr fand, obwohl er noch fit ist und blitzgescheit im Kopf. Das ist nichts Schönes.
«Es ist ein Flächenbrand im Gang, der vom Bruderholz bis nach Riehen reicht.»
Sind bestimmte Quartiere besonders betroffen vom Aufwertungsdruck und den Massenkündigungen?
Es betrifft die ganze Stadt. Viele Fälle hatten wir im Wettstein und Hirzbrunnen, im unteren Kleinbasel und neu auch im St. Johann. Aber es ist ein eigentlicher Flächenbrand, der da im Gang ist und der vom Bruderholz bis nach Riehen reicht.
Was lässt sich über die Eigentümer sagen?
Bis vor ein paar Jahren hatten wir vor allem Probleme mit den grossen institutionellen Anlegern, wie Pensionskassen oder den Anlagefonds der Grossbanken und Versicherungen. Das hat sich aber stark gebessert, mittlerweile erzielen wir häufig Verhandlungserfolge mit grossen Eigentümern, so dass die Mieter während der Sanierung in ihren Wohnungen bleiben können. Brachial gehen zur Zeit vor allem Privatpersonen oder kleine Erbengemeinschaften vor. Unter diesen herrscht eine regelrechte Goldgräberstimmung. Geschürt wird diese von einer Politik, die Aufwertungen und teure Sanierungen geradezu einfordert.
«Die Mieter verstehen nicht, weshalb der Kanton sie nicht schützt.»
Was muss sich politisch ändern aus Ihrer Sicht?
Wir brauchen eine Bewilligungspflicht bei Abbrüchen und eine Mietzinskontrolle. Dazu ist die «Orange Initiative» des Mieterverbands hängig. Ausserdem sollen mit unserer ebenfalls hängigen «Grünen Initiative» die teilweise gewaltigen Gerichtskosten gestrichen werden, die Mieter davon abhalten, gegen ihre Kündigung vorzugehen. Die Regierung hat in der Vergangenheit ähnliche Elemente wie Mietzinskontrolle oder schon nur Objekthilfe stets rundweg abgelehnt. Das schafft eine tiefe Kluft zwischen Oben und Unten. Denn die Mieterinnen und Mieter, egal welcher Partei sie nahestehen, verstehen nicht, weshalb der Kanton sie nicht schützt. Diese Leute haben genug davon, dass Eigentümer Menschen auf die Strasse stellen können, nur um gewaltige Profite einzufahren.