Recherchen der TagesWoche zeigen: In der Gellertkirche herrscht mitunter ein Gebaren, wie man es aus Freikirchen kennt. Ehemalige Besucher berichten, sie seien ausgegrenzt worden, weil sie Sex vor der Ehe hatten oder eine Person gleichen Geschlechts oder einen Menschen mit einer anderen Religion lieben. Pikant daran: Die Gellertkirche ist keine Freikirche, sondern Mitglied der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt.
Der oberste Reformierte, Kirchenratspräsident Lukas Kundert, sagte vor ein paar Wochen sogar, die Gellertkirche habe Vorbildcharakter, weil sie wöchentlich Hunderte Besucher anzieht und jährlich etwa 700’000 Franken Spendengelder generiert. Wir haben ihn gefragt, was er angesichts der Mobbingvorwürfe zu tun gedenkt.
Herr Kundert, für Sie hat die Gellertkirche Vorbildcharakter. Unsere Recherchen zeigen aber, dass die Gellertkirche Menschen rausdrängte –wegen ihrer Partnerwahl, ihrer sexuellen Orientierung oder weil sie unverheiratet mit ihrem Partner zusammenziehen wollten. Ist das ein vorbildliches Verhalten?
Die Gellertkirche versteht sich als Bewegung. Innerhalb dieses Verständnisses hat sie sich einen eindeutigen Charakter gegeben. Es ist so, dass es Leute gibt, die sich damit nicht wohlfühlen und an einen anderen Ort gehen müssen. Genauso wie gewisse Leute mit dem intellektuellen Charakter der Münsterkirche Mühe haben.
Sie sagen: nicht wohl fühlen. Wir sprechen von Mobbing. Die Betroffenen wurden geschnitten und heftig angegangen. Es hiess etwa, man sei als Homosexueller von bösen Kräften besessen. Wie beurteilen Sie diese Fälle aus Sicht der Landeskirche?
Ich kenne die Fälle nicht und weiss nicht, mit welchem Recht Leute bei uns anderen Leuten vorschreiben, wie sie leben sollen. Aber im Unterschied zu anderen Landeskirchen hat die Evangelische Kirche kein Lehramt, das sagt, Homosexualität sei böse. Wir sagen, dass es unterschiedliche Lesarten eines Textes gibt, unterschiedliche Lebensformen die daraus entstehen. In der Gellertkirche gibt es Leute, die Fragen zur Homosexualität anders verstehen als an anderen Orten in unserer Kirche.
Werden Sie nun intervenieren?
Ich habe gar keine Möglichkeit dazu. Der Papst hat die Möglichkeit zu intervenieren, wenn jemand sagt, Homosexualität sei etwas Gutes. Wir haben keine Instanz, die jemand anderem den Glauben vorschreiben kann.
Das heisst, die Gellertkirche kann machen, was sie will, selbst wenn sie damit den Ruf der Landeskirche beschädigt?
Wie meinen Sie das?
Wenn dort unter dem Label der Landeskirche zum Beispiel Homosexuelle ausgegrenzt werden, dann kann das rufschädigend sein.
Mich irritiert, dass Sie mit zwei Ellen messen. Wir haben in der Schweiz eine Kirche, die genau das als offizielle Haltung vertritt, was Sie der Gellertkirche vorwerfen.
Sie sprechen den Katholizismus an?
Zum Beispiel, ja.
Liegen Reformierte falsch, wenn sie davon ausgehen, einer offenen, liberalen Kirche anzugehören?
Bei uns gibt es bekennende schwule und lesbische Pfarrer und Pfarrerinnen – wir sind eine liberale Kirche. Dazu gehört, das Anderssein des Anderen anzuerkennen. Das ist manchmal etwas Schmerzhaftes, aber wir schmeissen Leute nicht wie in einer Inquisition raus, wenn sie die Meinung nicht teilen, dass Homosexuelle genauso fest von Gott geliebt werden wie alle anderen Menschen.
Die Sektenberatungsstelle Infosekta hat mehrere Anfragen zur Gellertkirche erhalten. Darunter Eltern, die sich etwa Sorgen machten, weil ihre Kinder mit extremen Haltungen zurückkommen. Stellen Sie sich vor, dass Kinder nach dem Besuch der Kirche plötzlich Sex vor der Ehe verteufeln…
Finden Sie das schlimm?
Wenn man sich aus eigenen Stücken dafür entscheidet, ist das nicht schlimm. Pubertierenden ein schlechtes Gewissen machen, weil sie das tun, was Pubertierende nun mal tun, ist bedenklich.
Haben Sie nicht das Vertrauen, dass die Kinder eigene Entscheidungen treffen?
Infosekta hält insbesondere die Vermischung von Landeskirche und freikirchlichem Gebahren für problematisch. Werden Sie in der Sache aktiv?
Nein, ich werde mich bei Infosekta melden. Ich gehe davon aus, dass unsere Leute im Gellert gut arbeiten, dass sie die Leute nicht vereinnahmen. Sie machen es gut, sie sind sehr attraktiv – das löst in einer Gesellschaft, die Religion gegenüber eher ängstlich eingestellt ist, vielleicht gewisse Sorgen aus.
Es entsteht der Eindruck, dass für Sie der Erfolg der Gellertkirche und ihrer freikirchlichen Methoden über allem steht.
Wie kommen Sie darauf?
Weil Sie bislang nicht den Eindruck vermittelt haben, als würden Sie die Vorkommnisse in und um die Gellertkirche stören.
Sie kommen mit Fällen, die ich nicht kenne. Sie hätten mich informieren können, aber das haben Sie nicht getan. Vielleicht haben Sie diese Fälle nur erfunden. Ich weiss nicht, wer mit diesen Leuten gesprochen hat, ob das unsere Mitarbeiter waren. Genau so wenig weiss ich, ob sie wirklich gemobbt worden sind. Erwarten Sie von mir, dass ich unsere Leute aufgrund von Gerüchten in die Pfanne haue?
Wir nehmen unsere Leserinnen und Leser, die in diesem Fall Ihre Gläubigen sind, ernst und gehen solchen Vorwürfen nach. Und fragen Sie nun, weshalb Sie nicht einschreiten.
Wir sind als Kirche keine Einheit, wir lassen ganz viele Bewegungen zu. Die Gellertkirche ist eine von mehreren Ausdifferenzierungen. Die Offene Kirche Elisabethen ist eine andere, dort finden schwule und lesbische Gottesdienste statt. Dort fühlen sich jene Menschen wohl, die sich in der Gellertkirche ausgegrenzt vorkommen. Wir wollen unterschiedlichste Bewegungen integrieren.
Heisst unterm Strich: Sie sind tolerant gegenüber Intoleranz?
Das ist sehr böse gesagt.