Bruno Spoerri spricht über die wilden Jazzjahre in Basel, über die Rebellion des Daig und Rivalitäten unter Musikern. Er verrät zudem, was er im Rechtsstreit mit dem US-Rapper Jay Z unternommen hat – und was er mit den gewonnenen Tantiemen machen wird.
Der Mann wird in diesem Jahr 80 – und arbeitet noch immer mit einer beneidenswerten jugendlichen Neugierde: Bruno Spoerri, Basler Jazzmusiker und Elektronikpionier, steht in seinem Zürcher Studio und wirbelt mit den Händen durch die Luft. So erzeugt er etwa Klänge, wie wir sie aus Science-Fiction-Filmen kennen.
Die Zukunft im Ohr, haben wir die Vergangenheit vor Augen: Spoerri hat zwei Bücher zur Schweizer Jazz- und Elektronikgeschichte verfasst. Und jetzt auch noch zum neuen Buch «Jazz Basel» ein Kapitel beigesteuert.
Dass er als Historiker wahrgenommen wird, ist ihm nicht ganz recht. Zugleich kann er sich freuen. Seit er uns vergangene Woche bestätigt hat, dass er den Rechtsstreit mit Rapper Jay Z gewann, ist der Jazzer in aller Munde und dabei ganz gegenwärtig.
Bruno Spoerri, ein verrücktes Jahr liegt hinter Ihnen.
Stimmt, ja, es war überwältigend. Die Geschichte mit Jay Z hat in ganz Europa für Schlagzeilen gesorgt. Bemerkenswert dabei: Dass keine US-Zeitung darüber informiert hat, obschon wir Fachzeitschriften wie etwa das «Billboard» informiert hatten. Niemand wollte dort das Plagiat-Thema aufgreifen. Vermutlich sind die Plattenindustrie und deren Anwälte so mächtig, dass viele Medien eingeschüchtert sind und lieber schweigen.
Sie aber haben nicht geschwiegen und sich mit einem Rap-Superstar angelegt. Wie erfuhren Sie überhaupt davon, dass Jay Z und Timbaland ein Sample von einem Ihrer Stücke verwendet haben?
Durch meine englische Plattenfirma, durch Andy Votel von Finders Keepers Records. Er rief mich an und machte mich auf das Plagiat aufmerksam. Dann versuchte er mit Timbaland Kontakt aufzunehmen. Doch die Amerikaner reagierten lange nicht.
Was Sie verärgerte.
Ja, auch weil Jay Z in einem BBC-Interview dreist behauptete, dass Timbaland und er das geschrieben hätten.
Dabei ist es unüberhörbar, dass da Ihre Musik verwendet wurde.
Absolut. Sie haben es nur einen halben Ton tiefer gelegt und den Beat verstärkt.
Wie gingen Sie als Urheber vor? Schalteten Sie die Urheberrechtsgesellschaft Suisa ein?
Ja, ich habe es dort gemeldet. Sie sperrten die Auszahlungen der Schweizer Tantiemen für diesen spezifischen Song und informierten andere Urhebergesellschaften darüber, dass hier ein Plagiat vorliegen könnte. Aber solange nichts bewiesen war, war ihr Handlungsspielraum beschränkt.
«Timbaland gab dann auch zu, dass er gesampelt hatte.»
Wie ging es weiter?
Andy Votel zog einen Musikexperten hinzu, der Computerbilder anfertigte und die Deckungsgleichheit so nachweisen konnte. Timbaland gab dann auch zu, dass er gesampelt hatte.
Als Sie vor einem Jahr damit an die Medien gingen, kolportierte «Watson», dass man Ihnen 25’000 Franken angeboten hatte.
Es war ein lächerlich kleiner Betrag, mit dem wir uns nicht zufrieden geben durften. Doch die Rechtsabteilung blockte uns ab. Weil sich nichts bewegte, schaltete ich eine Verlegerin ein, Frau Peterer. Sie hat zuvor schon solche Prozesse durchgeführt, kennt sich auch im Dickicht der amerikanischen Musikindustrie aus und schaffte es, dass wir jetzt Verträge abschliessen konnten.
«Ich hoffe sehr, dass Finders Keepers 80’000 bis 100’000 Dollar erhalten.»
Das heisst, Sie kommen endlich zu Ihrem Recht?
Ja! Sie hat das direkt mit den Fachleuten in den USA eingefädelt, ich bekomme jetzt 50 Prozent Urheberschaft an diesem Stück. Auch die Plattenfirma kommt zu ihren Produzentenrechten am Song. Ob jetzt aber sehr viel Geld reinkommt, ist eine andere Frage. Ich hoffe sehr, dass Finders Keepers 80’000 bis 100’000 Dollar erhalten.
Sie denken zuerst an Ihre Plattenfirma: sehr bescheiden!
Ja, aber diese Leute haben es auch verdient. Sie nahmen das ganze Risiko auf sich, als sie meine alten Sachen neu herausbrachten. Und ich war und bin froh, dass durch sie meine Sachen wieder erhältlich gemacht worden sind. Doch wie viel Geld am Ende bleibt, lässt sich nicht abschätzen. Mit den ersten Tantiemen werden mal die Kosten für die Rechtsanwälte gedeckt. Ich habe indirekt sehr viel profitiert. So oft wie durch diesen Fall bin ich seit Jahrzehnten nicht mehr in den Medien erwähnt worden. Und ich habe auch eine ganze Reihe an Engagements gekriegt. Festivals in Genf, Brüssel oder Hamburg haben mich verpflichtet. Der indirekte Gewinn ist eigentlich viel grösser als der direkte.
Ihnen ging es gar nicht ums Geld?
Nein, sondern um den Umgang unter Künstlern. Ich habe schon einige Mal gratis was weggegeben. Aber sicher nicht bei einem dermassen kommerziell orientierten Musiker wie Jay Z.
«Die Kulturvermittlung ist viel stärker gewachsen als das gesamte Fördergeld.»
Durch die Demokratisierung des Internets wird auch immer darüber diskutiert, ob alles Wissen, alle Werke frei zugänglich sein sollen. Ihre Position?
Ich habe Mühe damit. Weil die wirklich kreativen Leute, die zum Beispiel ein Musikstück schaffen, immer mehr enteignet werden. Das System schafft immer mehr Zweitverwerter, die Kulturvermittlung und damit auch die ganze Administration der Kulturgelder ist viel stärker gewachsen als das gesamte Geld, das vorhanden ist. Das geht für mich nicht auf.
Es gab eine Zeit, da war Jazz noch völlig unangepasst, Sie haben die Anfänge in Basel erlebt. Kann man von der ersten Jugendkultur hierzulande reden?
Ja, schon. Der Jazz war eine kleine Jugendkultur, allerdings nicht für alle Schichten. Die Arbeiterklasse interessierte sich nicht so dafür, vermutlich war ihr das zu verkopft. Die Jazzszene wurde von den Mittelschülern getragen. Lustigerweise waren viele Jugendliche aus dem Daig.
«Die ersten Jazzlokale in Basel galten ja auch als unsittlich.»
Haben die Daig-Kinder auf diese Weise rebelliert?
Ja, durchaus. Die ersten Jazzlokale in Basel galten ja auch als unsittlich und moralisch anrüchige Lokale, die vom Bürgertum mit Argwohn betrachtet und von diesen auch gemieden wurden.
Aktuell wird in Basel über die Schwierigkeiten diskutiert, mit denen Clubs zu kämpfen haben. Gabs diese Kämpfe schon vor 60 Jahren?
Ja, mir scheint, als wiederhole sich das ständig. Ich erinnere mich, wie die Polizei uns früher mal im Proberaum beim Bahnhof, in der Nauenstrasse, besuchte. Ein Nachbar hatte sich um 22.05 Uhr über die Musik beschwert. Auf der anderen Seite gab es aber auch einige Orte, wo Konzerte und Jazzmusik geduldet waren: im «Odeon», im «Storchen», im «Atlantis», im Café ABC oder in der «Spalenburg». Es lief schon auch was in Basel. Hinzu kamen wilde Veranstaltungen. Eine schillernde Figur in der frühen Jazzszene war ein Grafiker, Sandro Boccola. Er veranstaltete in ganzen Häusern Konzertpartys – oft, bis die Polizei kam.
Das würde man heute als «illegale Party» bezeichnen.
Ja, das war damals in den 1950er-Jahren der Underground. Und auch wenn wir Krawatte trugen, waren wir als Jazzer verrucht genug, dass uns manche Väter im Visier hatten. Als etwa der damalige Basler Verkehrsdirektor Peter Hägler erfuhr, dass seine Tochter mit mir ausging, erteilte er ihr striktes Ausgehverbot. Einige Lehrer hätten uns auch am liebsten aus dem Gymi geworfen.
Tatsächlich?
Ja. Mein Englischlehrer etwa hasste mich deswegen. Ich war in seinen Augen unangepasst. Der Einzige, der mir positiv gesonnen war, war mein Französischlehrer, Walter Widmer – der Vater von Urs Widmer, dem Schriftsteller. Er hat mir mein erstes Jazzbuch geschenkt. Er war selber eine Person, die aneckte, war Mitglied der Partei der Arbeit, also selber umstritten.
Und wann wurde der Jazz akzeptiert?
Mitte der 1960er-Jahre, als viele der Jazzszene gesellschaftlich aufgerückt waren. Mit Cheese Burckhardt etwa wurde ein umtriebiger Jazz-Trompeter der ersten Stunde Basler Regierungsrat. Die Jugend hörte nun Rock und Beatmusik, was die älteren Generationen eher besorgte als der Jazz. Die Rolle des Bürgerschrecks ging über auf diese neuen Musikszenen.
Der Jazz war für Konservative das kleinere Übel als die Rockmusik?
Ja, die Rolle verschob sich, der Jazz war nun einigermassen akzeptiert. Die Mehrzahl der Jazzer fand die Rockmusik aber zu primitiv und konnte damit nichts anfangen.
Sie aber haben nie Scheuklappen getragen, als einer der Ersten in der Schweiz elektronische Musik geschaffen, unter anderem für Werbespots. Haben das die anderen Jazzer verstanden?
Nein, es gab und gibt natürlich immer auch Traditionalisten, die das verächtlich kommentierten. Auch George Gruntz war skeptisch, wie mir zugetragen wurde. «Der Spoerri verreckt mal noch hinter seinen Synthesizern», soll er gesagt haben. Ein Jahr später hatte er aber selber einen ARP-Synthie und experimentierte mit elektronischen Klängen.
Weggefährten wie George Gruntz leben nicht mehr. Wie verbringen Sie die Zeit? Gehen Sie noch jeden Tag in Ihr Studio?
Nein, das nicht mehr, aber mehrmals die Woche. Ich experimentiere noch immer gerne mit Sounds. Im Moment zum Beispiel habe ich einen Game-Controller, den man für Computerspiele braucht, zweckentfremdet, sodass ich ihn wie ein Theremin verwenden kann.
Sie haben gesagt, dass Ihnen die Publicity zu neuen Auftritten verholfen hat. Was steht an?
Im Herbst ein Auftritt in England, zuvor ein Festival in Holland, wo ich solo auftreten werde – und auch mit dem Schlagzeuger Julian Sartorius zusammen. Das Nächste aber wird ein Auftritt sein am Jazzfestival Schaffhausen mit einem Sextett von Supermusikern: Christina Jaccard, Big Zis, Dave Ruosch, Andy Schnellmann und Arno Troxler.
Hält Sie das vital? Sie werden ja in diesem Jahr stolze 80 Jahre alt!
Ja, auf jeden Fall brauche ich eine Beschäftigung. Aber natürlich ist die Energie nicht mehr dieselbe wie in jungen Jahren. Nach einem Konzert bin ich einen Tag lang ausgelaugt. Die geistige Anspannung macht müde, dann auch das Rumschleppen der Instrumente etc.
«Das letzte Mal, als ich mir einen Roadie leistete, verschlang der ein Drittel meiner Gage!»
Eigentlich sollten Sie sich einen Roadie gönnen!
Ja, das stimmt. Aber die werden immer teurer! Das letzte Mal, als ich mir einen Roadie leistete, verschlang der ein Drittel meiner Gage!
Den könnten Sie ja jetzt dank Jay Z mit den Tantiemen bezahlen.
(lacht) Ja, stimmt. Wenn dann tatsächlich einmal Geld hereinkommt, könnte ich mir einen Roadie leisten – aber da mache ich mir nicht allzu grosse Illusionen. Ich habe mir vorgenommen, wenn es Taler regnet, dann mache ich eine neue CD mit der Notiz «generously sponsored by Jay Z».
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Bruno Spoerri live: Jazzfestival Schaffhausen, 7. Mai, Kammgarn. Das Buch «Jazz Basel» erscheint am 18. März 2015 im Christoph Merian Verlag, Basel.