Bei einem Menschen wird eingebrochen, während er schläft. Am Morgen sieht er seine durchwühlte Wohnung, ruft die Polizei und steht erst mal unter Schock. Erst später realisiert er wirklich, was eigentlich passiert ist. So das Szenario in unserem Beispiel. Rahel Bachem, ist das ein typisches Verhalten?
Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Gewisse Leute verfallen gleich zu Beginn in einen Schockzustand, der mit der Zeit abnimmt, andere kommen in einen funktionalen Modus, erledigen die Modalitäten und reagieren erst, wenn wieder einigermassen Ruhe eingekehrt ist. Es gibt Menschen, die reagieren kaum, und solche, die Jahre später noch psychisch belastet sind. Als ich die Studien zu meinem Ratgeber durchführte, haben sich Leute gemeldet, bei denen vor fünf Jahren eingebrochen worden war und die sich zu Hause immer noch nicht sicher fühlten. Die meisten Menschen – und das ist wichtig zu sagen – belastet eine solche Tat aber längerfristig kaum oder gar nicht. Ein Einbruch bedeutet nicht automatisch eine psychische Störung. Aber er kann etwas auslösen, sofort oder auf längere Zeit hin.
Wieso geht es uns nach einem Einbruch so schlecht? Oftmals sind wir zur Tatzeit ja gar nicht zu Hause – oder die Täter nehmen kaum etwas mit.
Das Daheim ist oft der einzige Ort, an dem man das Gefühl hat: Das ist meins, wenn ich hier die Tür zumache, kommt hier niemand rein, hier bin ich sicher, hier habe ich Kontrolle. Wenn jetzt ein Einbrecher kommt und sich Zugang verschafft, dann ist das ein Verlust dieses Sicherheitsgefühls.
Man ist nicht mehr Herr seines Hauses.
Genau. Und wie man darauf reagiert, kommt auf den Einbruch an. Wurde viel durcheinandergebracht? Gab es eine böswillige Sachbeschädigung? Studien haben gezeigt, dass der Umgang mit dem Einbruch schwieriger wird, je mehr Räume davon betroffen sind. Dann: Was genau wurde gestohlen? Hier zählt oft nicht die Gesamtsumme des Materialschadens, sondern der emotionale Wert der gestohlenen Dinge. Wie im Beispiel die Sporttasche des verstorbenen Freundes. Die ist unersetzbar.
In unserem Beispiel wurde eingebrochen, während die Familie schlief. Wo sind hier die Unterschiede zu einer Situation, in der man nicht zu Hause ist?
Zusätzlich spielt auch die Verfassung des Bestohlenen eine Rolle. Wer gerade eine turbulente Zeit durchmacht, einen Trauerfall oder Jobverlust verarbeiten muss, der hat eine dünnere Haut und reagiert entsprechend stärker und längerfristiger. Ist die Familie während der Tat zu Hause, kann das subjektive Bedrohungsgefühl stärker ausfallen. Die Gefahr ist präsenter – dass einem physisch was passieren könnte, dass Leib und Leben bedroht sind. Da kommen weitere Ängste ins Spiel, besonders wenn Kinder involviert sind. Das ist für Eltern zusätzlich belastend, weil sie merken, dass sie ihre Kinder nicht schützen können.
Wie nimmt man Kindern die Angst nach einem Einbruch?
Man muss ihnen kindergerecht erklären, was passiert ist. Damit sie sich im Kopf nicht ihre eigene Geschichte basteln, die dann womöglich viel schlimmer ausfällt, als es eigentlich geschehen ist. Man kann den Kindern auch sagen, was man nun konkret unternimmt: dass die Polizei da war, dass man sich ein neues Türschloss kaufen wird. Und es ist wichtig, dass man sich die Zeit nimmt, ihre Ängste anzuhören und ernst zu nehmen. Und ihnen Zeit gibt, sich wieder in ein Sicherheitsgefühl hineinzufinden. Ausserdem kann man ihnen sagen, dass Einbrecher tendenziell nicht gewalttätig sind. In den allermeisten Fällen versuchen sie, möglichst unauffällig zu bleiben.
Der Betroffene in unserem Beispiel verspürt eine ungeheure Wut auf den Täter, die aber nicht ausgelebt werden kann. Was würden Sie ihm raten?
In der Psychologie sagen wir, Wut ist eine schnelle Emotion. Häufig ist es die erste Reaktion, wenn etwas passiert. Wut gibt kurzfristig Kontrolle, in ihr ist man weniger ein Opfer als in der Verletzung oder Trauer. Wenn Wut aufkommt, ist wichtig, dass man sie zulässt. Dass man sich zugesteht: Ich bin grausam wütend und ich habe das Recht dazu.
Die Frau im Beispiel reagiert anders – sie verspürt Ekel.
Auch das ist eine relativ häufige Emotion nach Einbrüchen: Dinge, die der Täter in der Hand gehabt hat, werden als abstossend empfunden. Das geschieht auch mit Unterwäsche aus der durchwühlten Schublade oder mit ganzen Zimmern, in denen der Einbrecher war. Oft reagieren Menschen, indem sie Kleidung mehrmals waschen oder die Wände streichen. Mir erzählten auch viele Menschen, dass es ihnen geholfen habe, im Haus etwas zu verändern. Also wieder Akteur in den eigenen vier Wänden werden, kreativ sein, sich seinen Raum zurückerobern.
Reagieren Frauen tendenziell anders als Männer?
Wir beobachten, dass die Reaktion von Frauen tendenziell stärker ausfällt (Siehe auch Basler Einbruchsstudie 2013). Mehr Angst, mehr Unsicherheit. Man muss aber immer berücksichtigen, dass sie es auch eher zugeben. Aus Gesprächen mit Polizisten weiss ich, dass Männer häufig ebenso betroffen und verunsichert sind. Das können sie dann jeweils besser aussprechen, wenn sie mit dem Polizisten alleine in einem Raum sind. Grundsätzlich nehmen sie aber gemäss unserer Sozialisation erst mal die Rolle des handelnden, starken Mannes an.
Sie ermutigen in Ihrem Ratgeber «Ist das noch mein Zuhause?» zur Selbsthilfe – ab wann reicht diese nicht mehr und wann sollte professionelle Hilfe gesucht werden?
Leider gibt es wenig Möglichkeiten, sich im Einbruchsfall unterstützen zu lassen. Die Opferhilfe ist erst ab einem Täterkontakt zuständig. Aber wenn man sich zwei Monate nach dem Einbruch immer noch intensiv damit beschäftigt, wenn man immer wieder Gedanken und Erinnerungen daran hat und weiterhin Angst verspürt, im Haus zu sein, dann wäre der Psychotherapeut die richtige Anlaufstelle.
Was passiert, wenn keine Hilfe in Anspruch genommen wird?
Dann kann es zu Störungen kommen, Beeinträchtigungen des alltäglichen Lebens oder Depressionen. Man will zum Beispiel nicht mehr raus, fängt an, sein Haus zu bewachen, geht keinen Hobbys mehr nach oder vernachlässigt seine sozialen Kontakte. Das ist eine starke Beeinträchtigung der Lebensqualität und erfüllt unter Umständen die Kriterien einer psychischen Störung. Bei Einbrüchen ist es ausserdem häufig so, dass Betroffene einen Wohnungswechsel in Betracht ziehen. Das kann helfen, ist aber meistens nicht die Lösung. Die Einbruchsängste zügeln dann einfach mit. Deshalb ist es in schweren Fällen immer sinnvoller, hinzuschauen und einen Therapeut oder eine Therapeutin zu konsultieren.
In allen anderen Fällen sei Betroffenen der Ratgeber von Rahel Bachem ans Herz gelegt. Man kann ihn hier online runterladen. Bachem gibt darin ausführliche und praktische Tipps zur Selbsthilfe nach einem Einbruch.