«Wir sind kein Club Méditerranée»

Der Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaften (ISSW) an der Uni Basel, Professor Uwe Pühse, über Image und Essenz der Sportwissenschaft sowie die Zukunft seiner Forschungs- und Lehranstalt.

Er hat den Aufschwung in Basel mitgestaltet: Uwe Pühse (54). (Bild: Stefan Bohrer)

Der Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaften (ISSW) an der Uni Basel, Professor Uwe Pühse, über Image und Essenz der Sportwissenschaft sowie die Zukunft seiner Forschungs- und Lehranstalt.

Seit 20 Jahren ist Professor Uwe Pühse am ISSW tätig, 2006 übernahm der Deutsche aus Freiburg im Breisgau die Leitung. Der 54-Jährige hat den Aufschwung des Sport­studiums an der Universität hautnah miterlebt und mitgestaltet.

Herr Professor Pühse, vor 90 Jahren wurde in Basel der erste Turnlehrerkurs in universitärem Rahmen durchgeführt. Basel war damit Vorreiter in der Schweiz. Inwiefern ist das ISSW heute Trendsetter?

Wir haben gezielt Kernfragen aufgenommen, die unsere Gesellschaft berühren. Unsere Themen liegen im Schnittbereich von körperlicher Aktivität und Gesundheit. Das ist ein grosser Wachstumsmarkt. Immer mehr Menschen schauen darauf, dass sie gesund alt werden und geben dafür auch Geld aus. Das ist unter anderem an der heutigen Wellness- und Fitnesskultur abzulesen, die immer differenzierter und hochwertiger wird. Was fehlt, sind wissenschaftlich ausgebildete Fachleute, die in diesen Wellnesscentern, aber auch in Gemeinden, Kliniken und anderen gesundheitsbezogenen Einrichtungen Verantwortung übernehmen. Diese bringt unser Institut hervor.

Läuft das ISSW mit dieser Annäherung an die Gesundheitsbranche nicht Gefahr, sich vom eigentlichen Fachinhalt zu entfernen und sich auf die Dauer selbst zu unterminieren?

Die Kompetenzen, die dazu notwendig sind, beispielsweise individuell abgestimmte Bewegungs- und Trainingsprogramme für Patienten mit Diabetes, einem Burn-out oder einer Depression zu entwickeln, kommen aus der Sportwissenschaft. Wir schauen in Kooperation mit Experten aus der Medizin, wo Bewegung Einfluss auf die Gesundheit nehmen kann. In der Zusammenarbeit mit verschiedenen Instituten bringen wir entscheidende Kompetenzen ein. Es gibt keine Bedenken, dass wir irgendwie mal wegrationalisiert werden könnten, weil andere das übernähmen, ganz im Gegenteil.

Tatsächlich hatte die Sportwissenschaft als universitäres Fach in der Schweiz lange Zeit einen schweren Stand. Jetzt ist sie im Aufschwung.

Die Sportwissenschaft ist eine sehr junge Disziplin. Ihr Image ist noch immer geprägt durch die klassische Turn- und Sportlehrerausbildung. Da muss man sich nichts vormachen. Aber wir sind sicher kein Club Méditerranée. Obwohl die Praxis nach wie vor ein wichtiger Teil der aktuellen Ausbildung ist, hat sich die Lage grundlegend verändert. Der Sport als wissenschaftliches Fach hat sich in den letzten Jahren seine Berechtigung hart erarbeitet, mit vorzeigbaren Ergebnissen. Aber es gibt noch viel zu tun.

Die Sportwissenschaftliche Gesellschaft der Schweiz (SGS) behauptet in einem Curriculum, dass die fachliche Essenz der Sportwissenschaft noch nicht definiert sei. Ist es der von Ihnen beschriebene interdisziplinäre Ansatz?

Ich glaube einfach, dass viele gesellschaftliche Fragen, die heute auf dem Tisch liegen, nur durch interdisziplinäre Expertise gelöst werden können. Fachleute aus verschiedenen Wissensgebieten und mit verschiedenen Blickrichtungen müssen zusammenarbeiten, um ihr Know-how in eine Waagschale zu werfen. Darin sehe ich eine grosse Stärke unseres Instituts mit seinen sportmedizinischen, trainings- und sozialwissenschaftlichen Schwerpunkten und einen wichtigen Aspekt der Essenz der Sportwissenschaft.

Mit dem Wechsel zum Bologna-System ist die Zahl der Sportstudenten stark gestiegen. Die Popularität des Fachs hält an: Mitte Januar waren 350 Maturanden am Info-Tag des ISSW. Ist der Numerus clausus ein notwendiges Übel, das diese Entwicklung mit sich bringt?

Unsere Devise war immer: statt Quantität lieber Qualität. Wir haben jedoch einen klaren Auftrag. Dieser besagt, dass wir 100 Studierende jedes Jahr im Bachelor aufnehmen müssen. Im Master haben letztes Jahr sogar 80 neue Studierende begonnen. Die Universität überlegt nun, die Studierendenzahl um 25 Prozent zu erhöhen. Das wird in den nächsten Jahren wohl eintreten. So werden wir der gesteigerten Nachfrage gerecht.

Wo sollen all diese Sportwissenschaftler später arbeiten?

Diese Frage wird uns immer wieder gestellt. Sie ist zwar wichtig, aber wonach wir uns richten, ist der Auftrag der Regierung. Dennoch lassen wir die Studierenden nicht alleine auf ihrem beruflichen Weg. Wir nehmen Kontakte zu Kliniken und sonstigen gesundheitsorientierten Organisationen auf, ermöglichen dort Praktika und erheben den Bedarf. Und der scheint nach unseren bisherigen Erfahrungen durchaus vorhanden zu sein.

Wo wird das Institut in zehn Jahren sein, wenn es sein hundertjähriges Bestehen feiert?

Das Institut wird zu einem Kompetenzzentrum für Fragen von körperlicher Aktivität und Gesundheit herangereift sein. Es wird in Kontakt stehen mit klinischen Instituten und eng mit der Psychatrie, der Onkologie, Diabetologie oder Pneumologie (Krebsforschung, Behandlung von Diabetes-Patienten, Lungenheilkunde; Anm. d. Red.) zusammenarbeiten. Bewegung und Sport werden als Medikament quasi zusätzlich für die Patienten eingesetzt werden. Wir werden Berater und Mitgestalter der Gesundheitspolitik der Kantone sein.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.01.12

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