Wo kommt all der Hass her, Ingrid Brodnig?

Wo im Internet die Möglichkeit besteht, sich mit anderen Nutzern auszutauschen, sind Zoff, Pöbeleien und miese Stimmung nicht weit. Warum ist das so? Wir haben uns mit einer Expertin über den Hass-Katalysator namens Internet, Facebook-Posts von SVP-Politikern und die letzte Reihe im Schulbus unterhalten.

(Bild: Ingo Pertramer/Brandstätter Verlag)

Zoff, Pöbeleien und miese Stimmung sind im Internet weit verbreitet. Warum ist das so? Ingrid Brodning hat den Hass im Netz unter die Lupe genommen, wir haben uns mit ihr über den Hass-Katalysator namens Internet, Facebook-Posts von SVP-Politikern und die letzte Reihe im Schulbus unterhalten.

Er trieft durch die sozialen Netzwerke nach dem Attentat in Orlando, bei dem 49 Menschen das Leben verloren. Er klebt unter Facebook-Posts von Schweizer Politikern, denen die Fragen kritischer Bürgerinnen sauer aufstossen. Er peitscht durch die Kommentarspalten britischer Boulevard-Blätter, die den Brexit befürworten, manchmal geistert er auch durch die Kommentarspalten der TagesWoche. 

Die Rede ist vom Hass im Netz. Überall dort, wo im Internet die Möglichkeit zur Interaktion besteht, wo User sich an einer Diskussion beteiligen können, sind schlechte Stimmung und Pöbeleien nicht weit. Warum ist das so? Warum sind Kommentarspalten in den meisten Fällen nicht mehr als Schauplätze einer verrohten Diskussionskultur? Wir haben uns darüber mit der österreichischen Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig unterhalten, die sich seit mehreren Jahren mit dem Thema «Hass im Netz» auseinandersetzt. Ihr gleichnamiges Buch ist am 25. April erschienen.

Frau Brodnig, die meisten Menschen gehen negativen Emotionen wie Hass aus dem Weg. Sie setzten sich damit intensiv auseinander. Was treibt Sie an?

Ingrid Brodnig: Ich setze mich damit auseinander, weil ich glaube, dass das Internet nicht so sein muss, wie es ist. Ich stelle fest, dass viele Menschen die vielen Aggressionen im Netz als Normalfall auffassen. Das sei nun mal so, denken sie, der Ton sei dort rauer, da könne man nichts machen. Aber diese Vorstellung ist falsch. Ich glaube, dass wir viel mehr tun können, sowohl technisch als auch menschlich, um das Internet zu dem zu machen, was es eigentlich sein sollte: ein Werkzeug der Aufklärung nämlich. Mich interessiert also, welche Mechanismen hinter all dem Hass stecken, warum er so omnipräsent ist, und dann möchte ich Lösungsansätze anbieten, um konkret etwas dagegen unternehmen zu können.

Sehen Sie da aktuell besonderen Handlungsbedarf?

Hass und Hetze kommen und gehen in Wellen, gesellschaftliche Kontroversen schlagen sich auch im Internet nieder. Seit einigen Monaten nimmt der Hass zu, das hat mit der Flüchtlingsdebatte im letzten Jahr angefangen, dann kam Köln an Neujahr. Im Moment lässt sich zumindest im deutschsprachigen Raum eine Sexismusdebatte beobachten. Man kann die Zunahme von Hass zum Beispiel am Kommentarvolumen der Zeitungen festmachen, das im vergangenen Jahr massiv angestiegen ist. In Österreich gab es zudem deutlich mehr Verurteilungen wegen Online-Verhetzung als im Jahr zuvor. 

Nimmt wirklich der Hass zu, oder hat sich die Netzgemeinde einfach dahingehend sensibilisiert?

Es ist beides: Die Wahrnehmung steigt, aber auch der Hass nimmt zu. Als ich vor zwei Jahren mein erstes Buch über Anonymität im Internet publizierte, interessierte das vor allem Experten und Journalisten. Das ist heute anders und zeigt mir, dass die Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema steigt. Es braucht immer sogenannte Eisbrecher, die eine Debatte ins Rollen bringen. Die Flüchtlingsthematik war so ein Eisbrecher. Und auch der Fall Andreas Glarner bei Ihnen in der Schweiz zeigt beispielsweise, wie hart und untergriffig oft gerade gegenüber Frauen geschrieben wird. Diese Debatten stärken das Problembewusstsein. Dazu kommt, dass wir immer grössere Teile unseres Lebens ins World Wide Web auslagern. Auch damit steigt die Sensibilisierung für die Art und Weise, wie online kommuniziert wird. 

Weshalb geht es in vielen Internetforen so ruppig zu und her?

Dieses Phänomen hat der Psychologe John Suler schon vor zehn Jahren mit dem Online-Enthemmungs-Effekt beschrieben. Unter anderem fehlt uns im Internet das emotionale nonverbale Feedback auf unser Verhalten, und das führt zu einer allgemeinen Enthemmung, die uns alle betrifft. Ohne Mimik und Gestik sind wir quasi unsichtbar, was nicht das Gleiche ist wie Anonymität. Diese Unsichtbarkeit erklärt auch, weshalb viele User auf Facebook trotz Klarnamen die schlimmsten Beleidigungen schreiben können.

 

Die Erfinderin und Videobloggerin Simone Giertz baute einen Roboter, der das argumentative Verhalten einiger Internetuser gut auf den Punkt bringt.

Trotzdem sind es bei Weitem nicht alle User, die online die Beherrschung verlieren.

Ich habe vor allem zwei Gruppen von Nutzern identifiziert, die für den Frust im Netz verantwortlich sind. Die erste Gruppe sind die klassischen Trolle, also User, die sich daran erfreuen, wenn sie andere Menschen auf die Palme bringen können. Ein klassischer Troll geht zum Beispiel in ein Forum für Katzenliebhaber und fragt, ob es okay sei, seiner Katze während einer Woche kein Futter zu geben, weil er in die Ferien fahre. Eine kanadische Studie mit dem bezeichnenden Titel «Trolls just want to have fun» hat zudem herausgefunden, dass Trolle oft von Sadismus getrieben sind.

Verschiedene Medien haben nach dem Attentat in Orlando erschreckende Tweets mit krass homophoben Äusserungen zusammengetragen. Tappen sie damit in die Falle der Trolle? Wie kann man Trolle von Glaubenskriegern unterscheiden?

Das ist tatsächlich nicht immer einfach. Oft hilft aber ein Klick auf das Profil der entsprechenden Nutzer, um zu sehen, was die sonst so schreiben. Wenn einer bei unterschiedlichsten Themen seine Provokationen hinterlässt, kann man von einem Troll ausgehen, Glaubenskrieger haben eine klarere Agenda.

Trolle und Glaubenskrieger haben mit dem Internet ein machtvolles Instrument in der Hand. Hat das Internet eine neue Dimension des Hasses erst möglich gemacht?

Ich tue mich immer schwer mit der Aussage, das Internet sei die Ursache oder das Kernproblem. Aber das Internet hat viele Bedingungen geschaffen, die wie ein Katalysator wirken und der Verbreitung positiver, aber eben auch negativer Emotionen den Boden bereiten. So kann man beispielsweise relativ einfach eine Gruppe Gleichgesinnter treffen und sich dabei – manchmal ohne es zu merken – in eine sogenannte Echokammer zurückziehen. Facebook kann zu so einer Echokammer werden und ich rate darum dazu, nicht immer gleich alle, die eine andere Meinung vertreten oder schräge Inhalte posten, aus der Freundesliste zu löschen oder zu blocken. Sonst hat man irgendwann den Fall, dass man ausschliesslich mit Meldungen konfrontiert wird, die man ohnehin schon kennt und deren Meinung man teilt.

«In sozialen Netzwerken werden wir selten angestiftet, unsere Meinung zu einem Thema zu hinterfragen. Ich vermisse einen «Überrasch-mich-Knopf».

Sie sprechen vom Algorithmus, der unser virtuelles Verhalten observiert. Haben uns die sozialen Netzwerke engstirnig werden lassen?

Die Bereitschaft, andere Meinungen zuzulassen, ist tatsächlich keine Frage der Intelligenz, wie oft behauptet wird, sondern viel eher eine der Heterogenität des Netzwerkes. Forscher der Universität Wisconsin haben herausgefunden, dass Menschen mit einem unterschiedlichen Bekanntenkreis politisch viel besser und vielseitiger informiert sind. Indem uns soziale Netzwerke mit immer ähnlichen Inhalten konfrontieren, werden wir tatsächlich selten dazu angestiftet, unsere Meinung zu einem Thema zu hinterfragen. Da gibt es noch viel Potenzial, ich vermisse zum Beispiel einen «Überrasch-mich-Knopf», der die Blase zum Platzen bringt und der mir manchmal Nachrichten anzeigt, die ich sonst nie zu Gesicht bekommen würde.

Auf Facebook nie herausgefordert und in den öffentlichen Kommentarspalten schnell überfordert – ist das ein Grund für die aggressive Diskussionskultur in vielen Foren?

In Zeitungsforen ist es oft die Architektur der Seiten, die den wütenden Nutzern entgegenkommt. Viele Foren sind beispielsweise chronologisch aufgebaut. Wenn nun einer wirklich wütend ist und hundertmal etwas schreibt, dann erscheint er eben auch hundertmal zuoberst und kann so alle zubetonieren mit seiner Sichtweise. Die gutgelaunten, konstruktiven Nutzer posten vielleicht zweimal, und das reicht ihnen dann auch. Sie sind dann aber auch weniger sichtbar. Das Internet ist heute 27 Jahre alt, die Struktur steht. Aber man kann noch vieles nachjustieren und zusätzliche Sicherheitsmechanismen einbauen, damit das Netz die Aggressionen verhindert und nicht begünstigt.

«Facebook ist eine richtiggehende Drama-Maschine.»

Dass die Algorithmen von Social-Media-Plattformen und die Architektur von Kommentarspalten ausgerechnet Provokationen mit Aufmerksamkeit belohnen, scheinen insbesondere Populisten für sich nutzen zu können. In der Schweiz sorgte der Facebook-Post von Andreas Glarner für mächtig Wirbel – und Publicity.

Populisten und vor allem Rechtspopulisten sind online tatsächlich enorm erfolgreich, weil ihnen die angesprochenen Facetten der Digitalisierung helfen. Wut als politisches Instrument funktioniert im Netz aus zwei Aspekten besonders gut: Von denen, die meine Wut teilen, erhalte ich Likes. Von den andern erhalte ich entsetzten Widerspruch. Der Algorithmus sieht aber nichts Positives oder Negatives, er misst nur Interaktion, und die wird sehr hoch gewertet. Wir wissen nicht viel über den Facebook-Algorithmus, aber dass Interaktion die Relevanz und damit die Sichtbarkeit eines Profils in hohem Masse steigert, das wissen wir. Die Mechanismen belohnen also jene, die für Drama sorgen, aber eine Demokratie braucht auch Debatten, die ohne Drama funktionieren. Facebook ist heute eine richtiggehende Drama-Maschine.

Dass Facebook heute für viele Nutzer als Newsfeed funktioniert, ist also ein Problem?

Ja, denn ich erfahre nur einen Teil dessen, was auf der Welt so abgeht und zwar vor allem das, was gerade sehr aufregend ist.

«Es muss immer eine Güterabwägung zwischen dem Recht auf Meinungsäusserung und dem Recht auf Schutz vor Drohungen stattfinden.»

Viele Populisten rechtfertigen ihre Aktivitäten auf Social Media mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit 

Ja, das ist so ein Lieblingstrick von Politikern aus dem rechtspopulistischen Lager. Sie sagen erst etwas unglaublich Grobes, und wenn dann die Reaktionen auf sie niederprasseln, inszenieren sie sich als die Opfer einer vermeintlich unfairen Öffentlichkeit. Leider haben wir auch hier eine digitale Debatte, die das zusätzlich fördert. Ich glaube, dass die digitale Debatte viel zu lange von einem absoluten Anspruch auf Meinungsfreiheit geprägt wurde, und zwar bedingt durch die USA, wo ja grosse Teile des Webs entwickelt wurden und wo eine viel weitere Auffassung von Meinungsfreiheit herrscht. Aber auch in den USA gibt es Grenzen des Sagbaren, die Meinungsfreiheit ist nirgendwo unantastbar. Was wir brauchen, ist eine digitale Debatte, die nicht entlang binärer Kategorien wie null und eins – absolute Meinungsfreiheit und keine Meinungsfreiheit – verläuft. Es muss immer eine Güterabwägung zwischen dem Recht auf Meinungsäusserung und dem Recht auf Schutz vor Drohungen stattfinden.

Warum fühlen sich die «hässigen» Leserinnen und Leser in wirklich jedem Forum bemüssigt, ihre Meinung kundzutun, während die Zufriedenen lieber schweigen?

Viele Seiten laden nicht gerade zu konstruktiven Wortmeldungen ein, zum Beispiel heisst es: «Schreiben Sie uns Ihre Meinung.» Das ist eigentlich komplett falsch, weil es unsachliche und diffuse Kommentare einlädt. Besser wären gezielt formulierte Fragen an die Leser, welche Erfahrungen sie mit einem Thema schon gemacht haben. Ausserdem ist Wut eine starke Emotion, und wenn ein Forum erst einmal toxisch belastet ist, lässt sich das extrem schwer ändern. Resultat: Eine sehr emotionale Minderheit, die ein extremes Mitteilungsbedürfnis hat, ist auf einmal die scheinbare Mehrheit im Forum. Das ist wie im Bild eines Zerrspiegels. Wütende Nutzer behaupten ja oft im Internet, sie seien die schweigende Mehrheit. Aber das stimmt nicht. Weder schweigen sie, noch sind sie die Mehrheit.

Dann gibt es noch diejenigen, die keine Meinung haben, sich aber amüsieren wollen. Wie problematisch ist dieser Shitstorm-Voyeurismus?

Ich finde das zutiefst problematisch. Ich kann nichts Lustiges daran finden, die Wut der einen und das Leid der anderen unterhaltsam zu finden. Wenn ich an den zuvor von Ihnen angesprochenen Beitrag des SVP-Politikers denke, der auf Facebook zwei Frauen wegen ihres Aussehen an den Pranger stellt: Da ist es doch zutiefst verletzend, wenn nun alle hingehen und mit Belustigung die Debatte verfolgen, ob es okay ist, über deren Aussehen herzufahren oder nicht. Besser wäre, sich solidarisch zu zeigen.

«Wenn man sich gegen eine Grobheit wehren möchte, oder sich solidarisch mit Opfern virtueller Gewalt zeigt, dann sollte man dazu lieber einen neuen Post anlegen. Sonst kurbelt man dort wieder den Algorithmus an.»

Wie kann sich der 08/15-Nutzer gegen Pöbeleien im Kommentarspalten erwehren?

Wichtig ist immer, sich zu überlegen: Was kann ich in dieser Diskussion überhaupt noch bewirken? Viele Nutzer gehen mit unrealistischen Erwartungshaltungen in Online-Diskussionen und denken, wenn sie nur oft genug gegen eine falsche Meinung anschreiben, werden sie Andersdenkende überzeugen. Das ist beinahe nie der Fall. Was hilft, ist Emotionen aus der Debatte herauszunehmen. Humor ist hier ein gutes Mittel. Solidarität mit den Angegriffenen zu zeigen ist wichtig – und dann kann man auch einfach einmal nüchtern festhalten, dass man mit dem Tonfall der Debatte nicht einverstanden ist. Das wird zwar die aggressiven Kommentatoren nicht beeindrucken, aber allen, die mitlesen, signalisiert das, dass sie nicht die Einzigen sind, die das nicht okay finden.

«Internet ist Drama. Und Drama geht immer.» (Bild: memegenerator.com)

Die TagesWoche hat glücklicherweise nur wenige Ausreisser aus der ganz aggressiven Ecke, wohl aber eine Handvoll Kommentierende, die latente Pöbel-Stimmung verbreiten. Wie kann man denen am besten begegnen?

Eine eindeutige Strategie gibt es hier nicht, das sind ja offensichtlich keine Trolle. Grundsätzlich hat es immer eine grosse Wirkung, wenn die Redaktion in den Kommentarspalten präsent ist, das macht die Debatten viel sachlicher. Die ehemalige Community-Verantwortliche des «Guardian», Joanna Geary, hat die Kommentarspalten der Zeitungen mal mit der letzten Reihe im Schulbus verglichen. Dort schauen die Lehrer nicht so genau hin und darum geht es dort auch immer so hoch zu und her. Kommentarspalten werden auch heute noch oft einfach vernachlässigt, und die Nutzer bekommen das Gefühl, es lese eh keiner, was sie schreiben. Anstatt Energie auf negative Wortmeldungen zu verschwenden, lohnt es sich aber für die Community und auch für die Redaktion, wenn positive Kommentare hervorgehoben werden. Das spornt die anderen an.

Glauben Sie noch an eine weltoffene und diskussionsfähige Internetgesellschaft?

Ich glaube, dass es immer mehr digitale Diskussionsräume geben wird, die ohne Fouls und Gehässigkeiten auskommen. Es wird intensiv an der Ausarbeitung von Schutzmechanismen gearbeitet, die Medienhäuser sind zunehmend sensibilisiert, und Betroffene leiten schon heute zunehmend juristische Schritte ein. Das ist eine positive Entwicklung. Gleichzeitig muss man wohl davon ausgehen, dass die Professionalisierung bei den aggressiven Nutzern zunimmt und die Grenzen von Gesetzen immer schärfer ausgelotet werden. Die Diskussionskultur wird in fünf Jahren eine bessere sein, die Auseinandersetzung mit dem Thema wird aber nicht einfach werden.

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Ingrid Brodnig: «Hass im Netz». Brandstätter Verlag. 24.95 Franken.

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