Die Durchsetzungsinitiative hat die öffentliche Diskussion dominiert und die Schweizerinnen und Schweizer dazu gebracht, sich mit der Politik zu beschäftigen. Hoffentlich können wir diesen Elan nun auch künftig nutzen. Die nächsten wichtigen Abstimmungen sind bereits terminiert.
Was für ein Abstimmungssonntag. Die SVP erleidet mit ihrer Durchsetzungsinitiative (DSI) Schiffbruch und erhält etwa so viele Ja-Stimmen wie die Juso-Initiative gegen Spekulationen mit Nahrungsmitteln, die Heiratsstrafe scheitert ganz knapp und wir bauen nun einen zweiten Gotthardtunnel.
Was sich im Vorfeld der DSI-Abstimmung ereignet hat, ist derart aussergewöhnlich demokratisch, dass es als Lehrstück für die Zukunft zu betrachten ist. Die Debatte um die DSI ist hochemotional geführt worden. Rechtsnationale Kreise wollten die Schweiz umbauen und eine Zwei-Klassen-Gesellschaft einführen, und was ist passiert?
Der Machtanspruch der SVP ist zurückgewiesen.
Neben Wirtschaftsführern, Juristen, Wissenschaftlern und Künstlern haben sich Tausende privat gegen die Initiative eingesetzt. Die DSI hat die Menschen mobilisiert wie schon lange nicht mehr. Zum ersten Mal in diesem Jahrtausend haben über 60 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgegeben.
Die SVP sah sich einem «permanenten Shitstorm der Differenzierung» ausgesetzt, wie es Hansi Voigt von «Watson» in seinem Kommentar sehr schön formulierte. Oder etwas einfacher ausgedrückt: Das Volk hat den Machtanspruch der SVP zurückgewiesen.
Andere Vorlagen gingen unter
Etwas schade finde ich jedoch, dass bei diesem gross(artig)en Kampf für eine tolerante, vielfältige, offene und gerechte Schweiz die anderen wichtigen Vorlagen leider viel zu wenig besprochen worden sind. Vergangenen Freitag fanden sich auf Google News 71’600 Einträge zum Stichwort «Durchsetzungsinitiative», 12’400 zu «Heiratsstrafe», 8580 zu «Gotthardröhre» und bloss 2530 zu «Nahrungsmittelspekulation». Dabei hätte es auch bei diesen Vorlagen grossen Klärungsbedarf gegeben.
Ich hätte gerne intensiver diskutiert, was es für Folgen haben kann, wenn in der Verfassung die Ehe als exklusive Verbindung von Mann und Frau festgeschrieben wird, oder ob das Versprechen von Bundesrätin Doris Leuthard zur zweiten Gotthardröhre, dass die beiden Tunnel immer nur einspurig befahren werden, überhaupt haltbar ist. Und über die Spekulation mit Nahrungsmitteln weiss eh kaum jemand genau Bescheid. Da wäre eine ausgiebige Debatte absolut nötig gewesen.
Ein Erfolg der Differenzierung
Die Schweizerinnen und Schweizer haben sich an der Diskussion um die DSI aktiv beteiligt und realisiert, dass man etwas beeinflussen kann. Den Populisten, die zu jedem Problem immer dieselbe Antwort geben wie zum Beispiel «Der Ausländer ist schuld und muss weg», kann man auch mit differenzierten Argumenten begegnen. Dieses Engagement braucht jedoch Kraft. Es braucht den Willen, sich besser als bloss über Schlagzeilen zu informieren, und es braucht die Bereitschaft, immer wieder zu diskutieren.
Es ist nun zu hoffen, dass wir uns dieses Engagement erhalten können, denn bereits im Juni stehen weitere wichtige Abstimmungen an. Wir befinden zum Beispiel darüber, ob die Einnahmen aus dem Strassenverkehr nur noch in die Strasseninfrastruktur investiert werden dürfen, über ein bedingungsloses Grundeinkommen oder über das neue Asylgesetz.
Dieser Abstimmungssonntag war ein Weckruf, nun gilt es wach zu bleiben, neugierig, interessiert, hinterfragend.
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