Für ausländische Grosskonzerne wie Uber rollt das Schweizer Parlament gerne den roten Teppich aus. Den Kürzeren ziehen dabei das Schweizer Recht, die Schweizer Arbeitnehmer und die Sicherheit im Strassenverkehr.
Der Gesetzgeber kann sich bei heiklen Themen wie dem Strassenverkehrsgesetz keine Fehler leisten. Es geht um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer. Das Gesetz hält in Art. 56 fest, dass der Bundesrat die Arbeits- und Präsenzzeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer anordnet, ihnen «eine ausreichende tägliche Ruhezeit sowie Ruhetage» zusichert und für «eine wirksame Kontrolle der Einhaltung dieser Bestimmungen» sorgt.
Das hat der Bundesrat mit der «Verordnung über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Führer von leichten Personentransportfahrzeugen und schweren Personenwagen» (ARV 2) getan. Dem Gesetzgeber war klar, dass für Berufsfahrer genauer definierte Arbeits- und Ruhezeiten gelten müssen als im allgemeinen Schweizer Arbeitsgesetz.
Ständerat: Kontrollmittel abschaffen
Die einfache Lösung heisst Fahrtenschreiber: Berufsfahrer müssen laut ARV 2 einen Fahrtenschreiber einbauen und ein Kontrollbuch führen (ARV 2 Art. 14ff.). Damit ist die Einhaltung der Regeln im Fall einer Kontrolle überhaupt möglich.
Eine praktische Lösung, die für Verkehrsteilnehmer und Passagiere beruhigend ist: Ist der Fahrer seit einem Monat jeden einzelnen Tag unterwegs und hat kaum geschlafen? Die Auswertung des Fahrtenschreibers zeigt es bei einer Kontrolle.
Doch damit soll bald Schluss sein: Der Ständerat hat am Donnerstag die Motion von Philippe Nantermod (FDP, VS) angenommen. Sie beauftragt den Bundesrat, die Gesetzgebung anzupassen, «um den regelmässigen und berufsmässigen Personentransport in Personenwagen den ordentlichen Vorschriften des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) und der Arbeitsgesetzgebung zu unterstellen, statt dass die … (ARV 2) für diese Transporte gilt.»
Uber über alles
Warum? Nantermod führt sich als Retter der Taxi-Branche auf, spricht in seiner Motion von einem «verzerrten Wettbewerb zulasten der Taxis», den es zu korrigieren gelte, nun, da Uber in der Schweiz angekommen sei.
Aber das ist nicht die Wahrheit. Passiert ist folgendes: Uber ist angerollt – und hat keinerlei Anstalten gemacht, sich mit dem beliebtesten Dienst UberPop überhaupt je an die ARV 2 zu halten. Die Folge: Über 100 Verfahren gegen UberPop-Fahrer. Nantermod und der Rat helfen nicht den Taxis, sondern dem US-Giganten aus der Patsche. Auf Kosten der Sicherheit aller Fahrer und ihrer Fahrgäste.
Es wäre für Uber ein Leichtes, sich an die bestehenden Gesetze zu halten. Die Technologie ist derzeit konkurrenzlos, das Schweizer Taxi-Gewerbe müsste sich auch dann anschnallen, wenn Uber-Fahrer sich an die ARV 2 halten und Fahrtenschreiber in ihre Autos einbauen müssten. Oder man könnte sagen, der Fahrtenschreiber sei ein Relikt aus der Vor-Handy-Zeit – Berufsfahrer müssten stattdessen einfach eine Fahrtenschreiber-App benutzen. Das wäre eine denkbare Modernisierung des Gesetzes.
Der Bericht der Eidgenössischen Kommission für Verkehr- und Fernmeldewesen zur Motion Nantermod, die eine Annahme empfiehlt, lässt einen ebenfalls ratlos zurück. Dort steht, die «Ankunft von Uber auf dem Markt» habe den «Sektor umgewälzt». Und daraus folge: «Heute tragen die Fahrtenschreiberpflicht, die Bewilligung für berufsmässige Personentransporte und die speziell geregelten Arbeitszeiten nicht mehr zum angestrebten Ziel bei, die Sicherheit zu gewährleisten.»
Bewiesen oder begründet wird diese Behauptung mit rein gar nichts. Der logische Kurzschluss aus der Amtsstube funktioniert tatsächlich so: Eine fremde Firma drängt mit neuer Technologie auf den Markt. Schweizer Arbeitnehmer und die Verkehrssicherheit sind durch Massnahmen geschützt (z.B. einem Fahrtenschreiber) – die besagte Firma aber hält sich nicht an diese Bedingungen. Also schafft man einfach diese Bedingungen ab und behauptet, diese würden eh «nicht mehr zum angestrebten Ziel» beitragen, «die Sicherheit zu gewährleisten».
Logisch ist das nicht.
«Dummheit erster Güte»
Die Voten gegen die Annahme der Motion im Ständerat fielen entsprechend deutlich aus: Die Polizei könne heute nur dank Fahrtenschreibern überprüfen, ob Fahrer die Arbeitszeiten einhielten und damit weder sich noch ihre Fahrgäste gefährdeten, sagte Géraldine Savary (Ständerätin SP/VD).
Als «Dummheit erster Güte» bezeichnete Paul Rechsteiner (Ständerat SP/SG) die geplante Beseitigung der Kontrollinstrumente für Verkehrssicherheit und Gesundheitsschutz bei Fahrern. Es nützte nichts. Die bürgerliche Mehrheit rollte für Uber den Teppich aus.
Der Bückling der bürgerlichen Mehrheit vor fremden Firmen – in diesem Fall Uber – war absehbar, da längst von höchster Stelle angekündigt. Mit faktenbasierten Argumenten hat das alles längst nichts mehr zu tun, sondern mit Ideologie: Ungebremster Neoliberalismus, Deregulierung um der Deregulierung Willen. Dem ersten Schritt werden grössere folgen.
Kurze Spiesse gehen ins Auge – der Brutalere gewinnt
«Der grösstmögliche Freiraum ist das Ziel», sagte Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann zum Thema Uber gegenüber der NZZ schon im Mai. Er sprach von Gesetzen im Plural, die aufgeweicht oder abgeschafft werden müssten. Alles andere würde «Innovation» angeblich verunmöglichen. «Die Normen werden sich an die neue Situation anpassen müssen, auch jene der Suva», so Schneider-Ammann.
«Das Bild der gleich langen Spiesse ist abgedroschen. Gerade das Beispiel Uber zeigt, wie neue Technologien althergebrachte Regulierungen infrage stellen», sagte Eric Scheidegger, der Chefökonom des Bundes, dem «Tages-Anzeiger». Scheidegger hatte auch gleich eine Antwort parat für die jetzige Situation: «gleich kurze Spiesse».
Plötzlich soll es egal sein, dass der Gesetzgeber gleich lange Spiesse geschaffen hat, damit der Stärkere und der Rücksichtslose den Schwächeren nicht einfach erstechen kann – weil der eben mit seinem gleich langen Spiess vor Missbrauch geschützt ist. Ausgeglichene rechtliche Verhältnisse sorgen dafür, dass – im Idealfall – erst gar niemand die Waffe einsetzt, weil man sich von vornherein mit dem gebotenen Respekt begegnet.
Der Kampf mit kurzen Spiessen ist barbarischer, einen Sicherheitsabstand gibt es nicht mehr. Der Stärkere ist klar im Vorteil. Bei schwachem Regelwerk und laschen Kontrollen gewinnt er umso schneller: Kurze Spiesse können ins Auge gehen – auch Faust- und Tiefschläge sind zu erwarten. Anything goes.
Kunden und Unbeteiligte – in diesem Fall zum Beispiel Fahrgäste oder Fussgänger – ziehen ebenfalls den Kürzeren. Die Sicherheit kommt zu kurz, wenn die Kontrollmittel beschnitten werden.
Roter Teppich für die Walze – ohne Return on Investment
«Wenn wir das System klug anpassen und den Standort attraktiv halten, dann wird die Wertschöpfung in neuen Bereichen das Steuersubstrat erhalten. Darauf sind wir auch angewiesen», erzählte der Bundesrat.
Er sollte es ja wissen.
Bei Uber kann er aber lange warten. Der Milliarden-Konzern, der weltweit eine Branche in Grund und Boden fährt, kann sich seine Tiefpreispolitik nur leisten, weil er von milliardenschweren Investoren subventioniert wird. Die Kunden decken, das hat ein internes Papier gezeigt, über das auch die «Financial Times» berichtete, gerade einmal 41 Prozent der Fahrtkosten, der Rest ist Verlust. Eine Riesen-Walze auf Pump von Gross-Investoren.
Steuern zahlt so kaum jemand – schon gar nicht in der Schweiz, denn Uber ist kein Schweizer Unternehmen (die Gesellschafterin der Uber Schweiz GmbH ist die Uber International Holding B.V. in den Niederlanden). Die Fahrer können sich einen vollen Lebensunterhalt, wie verschiedene Analysen zeigen, eh kaum leisten – und sind wiederum auf staatliche Unterstützung angewiesen. Freie Fahrt für die Ermöglicher des neuen Prekariats.
Schneider-Ammann und Konsorten wissen auch das.