Das neue Verkehrskonzept ist keine Ausrede, liebe Ladenbesitzer

Die Lädeli in Basel sind unter Druck. Das neue Verkehrsregime ist allerdings das kleinste Problem der Branche: Es mangelt an Innovation, Flexibilität und Sinn für den Zeitgeist.

Die Lädeli in Basel sind unter Druck. Das neue Verkehrsregime ist allerdings das kleinste Problem der Branche: Es mangelt an Innovation, Flexibilität und Sinn für den Zeitgeist.

Das Traditionsgeschäft Botty schliesst. Während die Regale im Liquidationsverkauf geplündert werden, fahndet die «Basler Zeitung» nach dem Schuldigen am Ende des Schuhladens. Ganz oben auf der Liste: das Verkehrskonzept.

Die Sperrung der Innenstadt für Autos per Anfang 2015 deutet die BaZ gemeinsam mit der Verlängerung der Tramlinie 8 als Gnadenschuss für den Schuhladen. Einen Tag später darf der Inhaber von Schwarz Mode nachlegen und erklärt, dass der «Umsatz seit der Einführung des neuen Verkehrsregimes in Basel merklich zurückgegangen» sei. Es sei «fünf vor zwölf» für die Ladenbesitzer in Basel.

Die Basler Läden sind tatsächlich unter Druck, dies aber nicht erst seit drei Monaten.

Die Basler Läden sind tatsächlich unter Druck, dies aber nicht erst seit drei Monaten und der Einführung des Verkehrskonzepts. Der grosse Ausverkauf läuft schon lange, die Schwierigkeiten des Detailhandels in der Stadt hat die TagesWoche bereits im Dezember 2013 skizziert. Im Zentrum stehen drei: der Preisdruck, das Internet-Shopping und die steigenden Mieten (Details in der Bildstrecke).

Die Befreiung der Innenstadt vom Verkehr ist dabei höchstens eine Randnotiz. Geld ausgeben liess sich zuvor – als übrigens auch niemand durch die Freie Strasse oder Gerbergasse fahren konnte – und lässt sich immer noch bequemer und schneller vom Sofa aus, wo ein Paar neue Schuhe, das neue Apple-Gadget oder das neue Bett bloss drei Klicks entfernt sind. (Schweizer und Schweizerinnen sind beim Online-Shopping sogar europaweit auf Platz 3, wie eine aktuelle Erhebung des Bundesamtes für Statistik zeigt.) Wer als Kundin oder Kunde in die Stadt kommt, muss mehr erhalten als nur Ware. 

Basel muss als Einkaufsstadt mehr zu bieten haben als Parkplätze und blosse Waren.

In erster Linie sind dabei die Ladenbesitzer gefordert. Heutzutage Massenware anzubieten, die günstiger im Internet zu kaufen ist, kann kein Erfolgsrezept sein. Die geringeren Fixkosten von Zalando und Co. sind ein Wettbewerbsvorteil, den Schuhläden mit ähnlichem Sortiment und Angebot nicht wettmachen können. Aber die Kunden bezahlen gerne mehr für ein Produkt, wenn sie mehr erhalten – sei es ein Erlebnis zum Kauf, persönliche Beratung, die Geschichte zum Produkt oder ausgewählte Ware.

Drei Monate Verkehrskonzept Innenstadt
Seit Anfang Jahr müssen die Autos einen Bogen um die Innenstadt machen, sofern sie nicht eine der zahlreichen Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen können.
Wir ziehen in unserem Wochenthema eine erste Bilanz.

Konkret: Wer Sneakers sucht, will nicht aus fünf Modellen auswählen, sondern aus 50 – und zwar aus den aktuellen Kollektionen, samt Beratung und Geschichte zum Modell. Hier kann ein Geschäft wie Botty mit seinem Rund-um-Angebot nicht mit einem spezialisierten Geschäft mithalten.

Nischen sind von den Läden gefragt, Innovation, Flexibilität und Zeitgeist. Sie sind Wettbewerbsvorteile, die auch das Internet (noch) nicht wettmachen kann. Denn die Suche im Überangebot des Netzes kostet Zeit und ist mühsam, da kann ein Laden mit einer klaren Zielgruppe wirklich kostbare Dienste leisten.

Gefordert ist aber auch die Verwaltung – doch nicht mit freier Fahrt für den Verkehr. Wer unbedingt mit dem Auto zum Einkauf fahren will, der wird in einem Shopping-Center immer näher parkieren können (dass auch Parkplätze alleine kein Erfolgsrezept sind, wissen wir vom Beispiel Stücki).

Fakt ist: 86 Prozent aller Einkäufe in Innenstädten werden zu Fuss getätigt – schweizweit, wie die Credit Suisse in einer Studie von 2013 erhoben hat (aktuellere Daten gibt es nicht).

In Basel ist es gar so, dass gemäss der Studie mehr Leute mit Velo, Motorrad oder zu Fuss in die Stadt kommen (19 Prozent) als mit dem Auto (15 Prozent). Die überwiegende Mehrheit (66 Prozent) reist mit dem öffentlichen Verkehr zum Shoppen an (Link zum ausführlichen Artikel zum Thema).

Ob Zürich, Neuchâtel, Rom oder Marrakesch – die trendigen Shops befinden sich längst abseits der Verkehrsachsen.

Das Verkehrskonzept ist deshalb nicht ein Problem, sondern eine Chance. Die Stadt muss aber mehr bieten als Parkplätze und Waren: Shoppen in Basel muss zum Erlebnis werden. Zickzack durch parkierte Autos und von Laden zu Laden kämpfen – oder bequem durch eine Innenstadt schlendern, in Cafés verweilen, zum nächsten Shop gehen?

Wer ehrlich zu sich ist, geniesst Letzteres. Ob in Zürich, Neuchâtel, Rom oder Marrakesch – die Innenstädte und trendigen Shops liegen längst gesäumt von Cafés abseits von Verkehrsachsen. Und der Handel profitiert davon, wie Lörrach zeigt. Schon vor dem Ansturm der Einkaufstouristen stiegen die Umsätze nach der Umgestaltung der Innenstadt.

Dass Basel für ein attraktives Einkaufserlebnis eine bessere Durchmischung in der Innenstadt braucht, ist als Erkenntnis nicht neu. Bereits 2012 hat Mathias F. Böhm, Geschäftsführer von Pro Innerstadt, bei einer Begehung der Freien Strasse mit der TagesWoche dies als möglichen Schlüssel für die Rettung der Einkaufsstadt erklärt. Kein Zufall, gerät auch Böhm in die Kritik der BaZ: Er gilt als Befürworter des neuen Verkehrsregimes, das Grundstein ist für die Gestaltung der Innenstadt.

Statt über das Verkehrskonzept zu jammern, sollte das Ziel sein, das Prinzip Spalenberg auf die gesamte Innenstadt auszuweiten.

Was entstehen kann, wenn die Strassen von Autos befreit sind und der Weg zur Gestaltung frei ist, lässt sich am Spalenberg erleben. Er gilt mit seiner Mischung aus Boutiquen und Boulevard als Vorzeige-Einkaufsstrasse in der Stadt.

Statt über das Verkehrskonzept zu jammern, sollte das Ziel sein, das Prinzip Spalenberg auf die gesamte Innenstadt auszuweiten. Vielleicht würde es dann gelingen, das grösste Problem – auch am Spalenberg – etwas zu lindern: die steigenden Mieten.

Die Beschwerden der Autophilen werden sowieso bald verschwunden sein. Mit dem Kunstmuseum-Parking entstehen über 300 neue Parkplätze – einen Katzensprung von der Freien Strasse entfernt. Dass sich die Parkgebühren auch lohnen, dafür müssen Detailhandel und Verwaltung sorgen.
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Früher war die Basler Innenstadt alles andere als autofrei. Wie sich die vollparkierten Plätze der Innenstadt einst präsentierten, ist in unserem Bildstoff zu sehen: Blick zurück auf die Autostadt Basel

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