Deutschland braucht mehr Mut gegenüber den USA

Der Skandal um den Auslandsgeheimdienst erschüttert erneut die Bundesrepublik. Unser Kolumnist plädiert für mehr Mut und Entschlossenheit gegenüber den USA. Sie führten sich auf wie eine Besatzungsmacht, da sei Bündnisverpflichtung fehl am Platz.

Demonstration gegen die Ausspähaktionen der NSA vor dem Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin im Juli 2013. (Bild: AP/Gero Breloer)

Der Skandal um den Auslandsgeheimdienst erschüttert erneut die Bundesrepublik. Unser Kolumnist plädiert für mehr Mut und Entschlossenheit gegenüber den USA. Sie führten sich auf wie eine Besatzungsmacht, da sei Bündnisverpflichtung fehl am Platz.

Der Auslandsgeheimdienst (BND) der Bundesrepublik ist wieder einmal in die Schlagzeilen geraten. Offenbar hat sich der BND als Filiale des US-Geheimdienstes NSA betätigt und in grösserem Umfang in verbündeten westeuropäischen Ländern für die NSA spioniert. All dies soll der Terrorbekämpfung dienen? Ziele waren offenbar Behörden, Politiker und auch Wirtschaftsunternehmen, darunter auch mit deutscher Beteiligung. Damit wurde sowohl gegen deutsche Gesetze und Interessen als auch Gesetze und Interessen westeuropäischer Staaten verstossen.

Was tun die eigentlich? – fragt man sich. Als die elektronische Kommunikation vieler Bürger einschliesslich des Handys der Bundeskanzlerin durch die NSA überwacht wurde – und ausser letzterem noch wird – hat die Bundesregierung nichts Effektives dagegen unternommen. Ein Abkommen, das gegenseitige Spionage ausschliessen sollte, kam nicht zustande.

Man kann aber etwas machen.

Wie wäre es denn, die Verhandlungen zu TTIP und anderen Freihandelsabkommen auszusetzen? Auch Verträge bezüglich der Stationierung von US-Truppen, Überflugrechten für US-Militärflugzeuge, generell der Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich können ausgesetzt werden, bis die USA sich zu einer grundsätzlichen Verständigung durchringen können.

Die Bundesregierung steht in der Pflicht

Aber jetzt geht es um Beihilfe zu schwerwiegendem strafbaren Verhalten. Die Bundesanwaltschaft muss ermitteln und die Bundesregierung steht in der Pflicht, diesen Komplex einer völlig verfehlten «Kooperation» des BND mit amerikanischen Geheimdiensten politisch aufzuklären, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, Konsequenzen bezüglich der Zukunft des BND zu präsentieren und selbstverständlich auch umzusetzen.

Das hört sich völlig selbstverständlich an. In diesem Fall ist aber nichts mehr selbstverständlich.

Der BND selbst informierte bereits 2008 das Bundeskanzleramt, das regierungsseitig mit der Geheimdienstkontrolle betraut ist, dann noch einmal 2010, ohne dass etwas geschah. Damit sind auch Regierungsmitglieder involviert. Die SPD, immerhin selbst Regierungspartei, fordert Aufklärung, mal sehen wie lange. Beim letzten NSA-Skandal liess das Aufklärungsinteresse sehr schnell nach.

Was ist der Grund für dieses merkwürdige Verhalten, dass die Bundesregierungen so sehr vor Konsequenzen zurückschrecken?

Offenbar gibt es einen Konflikt zwischen entschiedenen «Transatlantikern» und jenen Kräften, die ein wenig mehr Autonomie gegenüber Vorgaben aus Washington anstreben. Dieser Konflikt hatte sich in der Vergangenheit vor allem an aussenpolitischen Themen gezeigt: als Beispiele nenne ich hier die Aufrüstungsdebatte im Kontext des Nato-Raketendoppelbeschlusses und den Irak-Krieg. Immer kam es zum Schwur: Wie hältst Du es mit Amerika? Bist Du etwa antiamerikanisch eingestellt?

Rechtsbrüche sind keine Bagatelldelikte

Jedoch geht es hier um eine ganz andere Sache. Sie berührt die Frage des Verhältnisses zu den USA von einem anderen Hintergrund aus. Wenn Rechtsbrüche, seien sie von der NSA selbst oder in Kooperation mit dieser begangen, in Deutschland wie ein Bagatelldelikt behandelt werden, dann geschieht das unter Berufung auf «Bündnistreue», «transatlantische Partnerschaft» und dergleichen mehr, die eben nicht gefährdet werden sollen.

Das mögen manche auch so sehen und sich damit beruhigen. Aber wenn sie das ernsthaft denken, dann befürworten sie eine Konsequenz: dass die Rechtlichkeit, beziehungsweise der Rechtsstaat, lediglich ein Wert ist, der einem anderen untergeordnet ist: dem Wert der Bündnistreue, dem Kampf gegen wen oder was auch immer. So lässt sich eine hegemoniale Struktur kennzeichnen: Der Hegemon – in Deutschland werden die USA gern als westliche Führungsmacht bezeichnet – mutet Subjekten in seinem Hegemonialbereich Handlungen zu, die diesen nicht gefallen müssen, die sie aber hinzunehmen, im besten Fall zu rechtfertigen haben.

Die USA führen sich auf wie eine Besatzungsmacht

Der Antiamerikanismus dagegen interessiert sich nicht für eine Kritik hegemonialer Strukturen. Häufig geht er einher mit Überlegenheitsphantasien. Der deutsche Antiamerikanismus bildet sich etwas auf die deutsche Kulturnation ein und bezweifelt, ob Amerika überhaupt so etwas wie Kultur kenne; er vermutet wahrscheinlich, dass die Stelle kultureller Praxis in Amerika durch Coca Cola besetzt sei. Auch kann man Ideen des Liberalismus, der Aufklärung und der Demokratie ablehnen und sich lieber dem Ressentiment hingeben. Auch solche Menschen gibt es in Deutschland.

Da die USA für sich in Anspruch nehmen, in besonderem Masse freiheitliche Werte zu vertreten, kann die Ablehnung dieser Werte auch Züge des Antiamerikanismus annehmen. Aber den meisten Kritikerinnen und Kritikern der USA geht es darum, diese Werte zu achten und zu schützen. Guantanamo steht für deren Negation, viele Aggressionskriege ebenso. Und leider auch das, was mit dem NSA-Problem auf uns zukommt.

Deshalb braucht die Bundesregierung, auch Angela Merkel, mehr Entschlossenheit und mehr Mut gegenüber der US-Administration. Diese Hasenfüssigkeit muss überwunden werden. Die USA führen mit Deutschland Kriege, spionieren uns aus, als ob wir Feindesland wären und benutzen den BND als Hilfsorgan, um ganz Europa auszuspionieren. Sie benehmen sich diesbezüglich wie unsere Besatzungsmacht. Und das darf sich die Bundesregierung nicht weiter bieten lassen.

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