Dass die Schweizerische Nationalbank sich mit sofortiger Wirkung vom Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken verabschiedet hat, kam für alle überraschend. Genau das ist das wichtigste Indiz dafür, dass die SNB mit ihrer Politik zumindest nicht falsch liegt. Auch wenn die kurzfristigen Auswirkungen dieser Massnahme schmerzhaft werden könnten.
Als die Schweizerische Nationalbank (SNB) am Donnerstagvormittag den Euro-Mindestkurs aufgab, reagierten die Märkte umgehend. Der Eurokurs stürzte massiv ab; zeitweise wurde ein Euro für 85 Rappen gehandelt. Der Swiss Market Index (SMI), der die Schwergewichte unter den börsenkotierten Unternehmen umfasst, rauschte ebenfalls in den Keller. Bis zum Handelsschluss hat sich die Lage etwas beruhigt: Der Euro kostet wieder leicht mehr als einen Franken, der Kurseinbruch an der Aktienbörse ist zwar immer noch massiv, aber wenigstens im einstelligen Prozentbereich.
Die politischen Reaktionen auf den unerwarteten Schritt der SNB fallen denkbar unterschiedlich aus. Bürgerliche Politiker etwa geben sich eher gelassen oder befürworten die Aufhebung des Mindestkurses sogar. Die Linke ist mehr oder weniger vehement dagegen – vor allem, weil der teure Franken die Konkurrenzfähigkeit der produzierenden Wirtschaft beeinträchtigt und damit Arbeitsplätze gefährdet. «Die SNB hat offenbar etwas gegen den Industriestandort Schweiz», sagte SP-Mann Cédric Wermuth.
Das ist Unfug, denn die Einführung des Euro-Mindestkurses im September 2011 geschah zu einem erheblichen Teil, um den Druck vom Werkplatz Schweiz zu nehmen, der damals unter dem stark schwankenden Eurokurs litt. Dass ein solcher Mindestkurs eine Notmassnahme war und keine dauerhafte Einrichtung, war schon damals klar.
Die Schweizer Wirtschaft hat sich in den vergangenen drei Jahren als äusserst konkurrenzfähig erwiesen.
In den drei Jahren, die seither vergangen sind, hat sich die Schweizer Wirtschaft als äusserst konkurrenzfähig erwiesen und ist deutlich effizienter geworden. Und das heisst, dass sie heute schwankende Währungskurse besser verkraften kann als vor drei Jahren.
Aber: Schmerzhaft kann es trotzdem werden. Die meisten Experten gehen jetzt davon aus, dass der Euro-Franken-Kurs sich irgendwo in der Nähe von 1 zu 1 etablieren wird. Wenn sich gleichzeitig der Aufschwung in den USA und die damit verbundene Stärkung des Dollars fortsetzt, sollte das Währungsrisiko überschaubar bleiben. Die Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Wirtschaft dürfte also keinen allzu grossen Schaden erleiden.
Selbstverständlich gibt es Branchen, die direkt leiden werden. Der Tourismus etwa, der zu einem erheblichen Teil von Gästen aus der Schweiz und aus Europa lebt, bekommt einen gegenüber dem Euro teuren Franken unmittelbar zu spüren. Die Europäer kommen weniger zahlreich, und die Schweizer fahren mit Ferien im Euro-Ausland günstiger.
Der Detailhandel hat das gleiche Problem: Der «Einkaufstourismus» wird mit einem günstigeren Euro unweigerlich zunehmen. Man beachte aber: Was für solche leidenden Branchen schlecht ist, kann für deren Kunden durchaus positiv wirken.
Ähnliches gilt für praktisch alle an die Wand gemalten schrecklichen Folgen aller SNB-Massnahmen. Als der Euro-Mindestkurs eingeführt wurde, fand man das zwar gut für den Wirtschaftsstandort, befürchtete aber, dass sich gigantische Geldberge anhäufen würden, die alsbald in einer schrecklichen Inflation enden würden. Riesige Geldberge haben sich in der Zwischenzeit zwar angehäuft, aber wir erleben derzeit eher den Anfang einer Deflations- statt einer Inflationsphase.
Der Negativzins, der nun installiert ist, könnte sich sogar als hilfreiches Element erweisen.
Als die Nationalbank vor ein paar Monaten einen Negativzins auf Girokonten von Banken erhob, befürchtete man, dass das eine ganze Kettenreaktion im Zinsgefüge der Wirtschaft auslösen würde. Tat es nicht. Der Negativzins, der nun installiert ist, könnte sich sogar als hilfreiches Element erweisen. Dann nämlich, wenn die Aufhebung des Euro-Mindestkurses dazu führen würde, dass der Franken vermehrt als sicherer Hort für liquide Mittel genutzt wird – das würde dann kosten, seit heute ein halbes Prozent mehr.
Mit diesem Instrument könnte die SNB einiges bewegen, indem sie die Negativzinsen nochmals senkt oder indem sie zum Beispiel die Freibeträge kürzt, die vom Negativzins bisher nicht betroffen sind. «Schweizer Liquidität zu halten, wird teuer sein», warnt SNB-Chef Thomas Jordan.
Auf unabsehbare Zeit am Euro-Mindestkurs festzuhalten könnte aber auch aus einem anderen Grund verhängnisvoll werden. Die Eurozone schlägt sich derzeit mit etlichen notleidenden Mitgliedsländern herum. Am gravierendsten ist der Fall Griechenland; aber auch die Kreditwürdigkeit von Spanien, Portugal, Italien und Frankreich steht auf dem Prüfstand.
Die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, notfalls Staatsanleihen solcher Länder aufzukaufen, um deren Kreditwürdigkeit zu stützen, ist soeben von der EU als rechtens taxiert worden (gegen den Spruch des deutschen Bundesverfassungsgerichts).
Das ist nicht sehr vertrauenerweckend. Wie sinnvoll ist es für die Schweiz, den Franken mittels Mindestkurs an eine Währung zu binden, deren Stabilität nicht wirklich gewährleistet ist? Sollte der Euro zum Beispiel durch eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands abzustürzen drohen, müsste die SNB, um den Mindestkurs zu halten, unbeschränkt Euro aufkaufen – und wäre dessen Kurszerfall trotzdem ausgeliefert.
Wie sinnvoll ist es für die Schweiz, den Franken mittels Mindestkurs an eine Währung zu binden, deren Stabilität nicht wirklich gewährleistet ist?
Wie verheerend das wirken kann, hat ironischerweise gerade die Aufhebung des Mindestkurses gezeigt: Der Euro geriet für kurze Zeit unter gewaltigen Druck und gab bis auf 85 Rappen nach. Innerhalb weniger Minuten wurde bei der SNB ein Betrag verbrannt, der den gesamten Gewinn des vergangenen Jahres übersteigt. Nur virtuell und nur vorübergehend. Der Vorgang zeigt aber, dass die Durchsetzung eines Mindestkurses erhebliche Risiken birgt.
Mit dessen Aufhebung hat die Nationalbank zwei Zeichen gesetzt. Erstens geht sie davon aus, dass die Wirtschaft mit den zu erwartenden Schwierigkeiten fertig wird. Zweitens hat sie ihren Handlungsspielraum wieder vergrössert. Dass sie den Mindestkurs aufgegeben hat, heisst ja nicht, dass sie nun gar nicht mehr intervenieren will. Sie wird intervenieren – und zwar genau dann, wenn sie das für richtig hält.
Wir sollten die Nationalbanker ganz einfach ihre Arbeit tun lassen. Bisher ist die Schweiz damit jedenfalls ziemlich gut gefahren.
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