Deutschland will nach den Kölner Vorfällen kriminelle Ausländer schneller ausweisen. Das ist ein schlechtes Zeichen für die Schweiz. Weder die Migrationsfrage noch sexuelle Gewalt dürfen in diesem Zerrspiegel reflektiert werden.
Wir haben da ein Problem. Das Problem heisst Köln. Also, genau genommen heisst das Problem eigentlich gar nicht Köln. Es heisst Sexismus, Gewalt, Migration, Flüchtlingspolitik, Polarisierung, Isolation.
Na gut, noch genauer genommen haben wir da nicht nur ein Problem. Wir haben ein ganzes Pulverfass davon. Hausgemacht, beste Qualität. Köln war nur der Funke.
Dass sexuelle Gewalt zum Thema wird, ist richtig. Dass Frauen sich äussern, dass die zur Normalität gewordenen Anzeigen an die Öffentlichkeit gelangen. Das ist überfällig. Aber der Zeitpunkt ist unendlich falsch.
Es ist lächerlich, das alles gleichzeitig diskutieren zu wollen.
Denn Köln zeigt vor allem eines: unsere heillose Überforderung. Unsere Überforderung im Umgang mit sexueller Gewalt und unsere Überforderung mit der Frage der Migration im 21. Jahrhundert.
Köln ist der schlechtmöglichste Anlass zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt, um Sexismus, Gewalt und die europäische Flüchtlingspolitik zu diskutieren. Mal abgesehen davon, dass es lächerlich ist, das alles gleichzeitig diskutieren zu wollen. Also entwirren wir.
Am Dienstag teilte der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) mit, dass Deutschland Frauen vor sexualisierter Gewalt mittels Gesetzesverschärfung besser schützen wolle. Am Dienstag aber teilte die deutsche Bundesregierung auch mit, dass kriminelle Ausländer künftig schneller ausgewiesen werden sollen.
Die deutsche Reaktion ist ein schlechtes Zeichen für die Schweiz.
Es ist die direkte Reaktion auf Köln, wo an Silvester am Hauptbahnhof zahlreiche sexuelle Belästigungen durch ausländische Personen stattgefunden haben. Bislang kommen laut den Ermittlern hauptsächlich Männer aus Nordafrika als Täter in Frage.
Die deutsche Reaktion zur schnelleren Ausschaffung ist ein schlechtes Zeichen für die Schweiz. Am 28. Februar stimmen wir über die Durchsetzungsinitiative ab, die äusserst radikal fordert, dass Ausländer selbst bei Bagatellfällen sofort und automatisch auszuschaffen seien. Die Initiative ist so extrem, dass alle grossen Parteien sie ablehnen. Von ihnen kämpft mit der SVP nur die Erfinderin der Initiative für ein Ja.
Im hiesigen Abstimmungskampf wird Köln kaum eine wesentliche Rolle spielen. Dafür ist die deutsche Stadt am Rhein dann doch zu weit weg. Köln muss das aber auch nicht.
Denn die Botschaft von Sexismus, Gewalt und Fremdenhass ist stark genug: Kriminelle Ausländer begrabschen unsere Töchter und die lokalen Sicherheitskräfte erscheinen machtlos.
Wir haben da also ein Problem. Aber das Problem heisst gar nicht Köln.
Sexismus, Gewalt, Migration. Die Mischung ist perfekt. So perfekt, dass ein Funke wie Köln Herz und Verstand ebenfalls explodieren lässt.
Die Leidtragenden? Die Migranten, über deren Köpfen sich der diffuse Generalverdacht der Kriminalisierung erhärtet. Die Gesellschaft, die der Radikalisierung durch ihre eigenen Besitzstandsängste zum Opfer fällt. Und die Opfer von sexueller Gewalt, deren langjährige Anliegen Populisten nun instrumentalisieren.
Wir haben da also ein Problem und das heisst nicht Köln. Unser vordergründiges, eigenes Problem heisst Durchsetzungsinitiative und reitet auf einer Welle der Radikalisierung. Dabei geht es vor allem ums Durchsetzen machtpolitischer und isolationistischer Interessen. Mit ernsthafter Migrationspolitik oder einem aktiven Beitrag zur Flüchtlingsfrage hat das so wenig zu tun wie mit dem Kampf gegen sexuelle Gewalt.
Besser, wenn die Kölner Silvesternacht nicht als Stichwortgeber für Migrationspolitik hinhalten muss. Oder für eine längst überfällige Debatte über sexuelle Gewalt. Was in Köln passiert ist, ist widerlich und menschenverachtend. Doch genau so verachtend ist es, wenn wir unsere drängenden Probleme jetzt im Zerrspiegel dieses Vorfalls betrachten und uns selbst radikalisieren lassen.