Es war ein alter Traum. Der Umzug meiner Familie nach Basel, an den Arbeitsort meiner Frau, ermöglichte mir einen Neuanfang als Hausmann. Vielleicht sogar ein neues Leben – in jeder Hinsicht. Ein Traum war es, weil ich so meine Kinder aufwachsen sehen würde.
Meine Tochter war inzwischen in der dritten Klasse und hatte mich bisher meist nur abends und an den Wochenenden gesehen. Mein Sohn war knapp zwei Jahre alt. Ich hatte schon vorher viel Hausarbeit übernommen; meine Frau arbeitete wie ich auch 100 Prozent. Trotzdem war ich auf die Auswirkungen dieser Aufgabe nicht vorbereitet.
Du kannst dich noch so gut um alle kümmern. Allmählich wirst du zum Faktotum, das niemand mehr wahrnimmt.
Am Anfang war alles ein Spiel: aufstehen, alle aufwecken, den Morgenbrei kochen, die Tochter für die Schule «parat machen», mit dem Sohn ein wenig schwatzen, während ich den ersten Kaffee trank. Anschliessend folgten all die täglichen Arbeiten eines Hausmannes wie Ordnung machen, Wäsche waschen, Staubsaugen, Schrubben, Kochen, Helfen bei den Hausaufgaben, Geschichten erzählen und Spielen mit den Kindern. Einfach «da sein». Selbst wenn die Kinder die Läuse haben…
Aber bald wurde mir klar: Die Auswirkung meines Planens und Handelns liessen sich nicht beweisen. Du kannst noch so gut kochen, das Essen wird mit einer gewissen alltäglichen Selbstverständlichkeit hinuntergeschlungen. Du kannst noch so penibel aufräumen und putzen, eine Viertelstunde später ist wieder alles dreckig oder durcheinander. Du kannst dich noch so gut um jedes einzelne Familienmitglied kümmern, allmählich wirst du zum Faktotum, das niemand mehr wahrnimmt.
Und niemand sagt dir wirklich «Danke» – von Herzen, meine ich. Was du erhältst, ist ein alltägliches Danke, ein hingeworfenes Unterpfand für deine pflichtschuldig geleisteten Dienste. Ich verstand auf einmal die alltägliche und stets präsente Müdigkeit meiner Mutter, die ihr ganzes Leben lang als Hausfrau gearbeitet hatte.
Bei aller Freiheit, etwas war faul
Ich wusste, ich war privilegiert: Meine Frau finanzierte alles, ohne sie hätte ich dies gar nicht unternehmen können. Ich war privilegiert, weil meine Frau sich auf dieses «Experiment» – wie sie es bezeichnete – eingelassen hatte. Und sie war privilegiert, weil sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren konnte und umsorgt wurde, so gut ein Mann «umsorgen» kann.
Was meinen Traum vom Hausmann-Dasein beflügelt hatte, war die Aussicht, mehr Freiheit zu haben. Für mich hiess das, an meinen Gedichten schreiben zu können. Und ich erhielt diese Freiheit zur Genüge.
Ich schrieb morgens, wenn mein Sohn in der Krippe war. Ich schrieb mittags, nachdem ich mit ihm eine Stunde im Sandkasten gesessen hatte und mit seinen Autos und Baggern gewühlt hatte. Ich setzte mich auf eine Bank und schrieb «Sandkastengedichte». Manchmal sass ich dabei auch am Rand des Sandkastens auf dem Mammutspielplatz im Margarethenpark. Und abends schrieb ich, wenn alle schon schliefen.
Oh ja, ich war privilegiert.
Doch so sehr ich es verdrängte: Etwas war faul. Anfangs lachte ich dieses unbestimmte Gefühl weg und stürzte mich auf die Toilettenschüsseln, um sie «schlecksauber» – wie mein Sohn sagte – zu schrubben.
Was aber sollte ich anfangen mit den Blicken, die mich unterwegs trafen? Zuerst schienen sie anerkennend und bewundernd. Vor allem ältere Damen blickten mich fast verliebt an und tätschelten meinem Sohn die Backe: «Gosch mit em Babbe goge poschte?»
Ich war ein Mensch einer anderen Gattung geworden. Ich war auf dem Weg, nicht mehr Mann zu sein.
Auf den Spielplätzen allerdings traf ich auf die Mütter: eine andere Art Mensch. Sie blickten mich argwöhnisch und kritisch an. Ich verhielt mich meinem Kind gegenüber anders als sie: Mein Sohn durfte mehr (dreckeln), wurde selten zurechtgewiesen (allerdings sofort, wenn es um den Besitz anderer Kinder ging), wurde mit Ironie und Witzen getröstet, wenn er sich wieder mal das Knie geschürft hatte. Einmal schimpfte mich eine Mutter regelrecht aus, weil ich meinen Sohn eine Minute länger als in der Schweiz üblich (oder so) sich im Dreck wälzen liess, weil er eine fünfte Reiswaffel mit Schoggiguss nicht erhalten hatte. «Was für ein herzloser Mensch sind Sie denn?»
Ich könnte Tausende solche Geschichten der Verwunderung und Befremdung erzählen. Von den Kommentaren und dem bewundernden Mitleid der Arbeitskolleginnen und -kollegen meiner Frau. Oder von der Besorgnis (um meine seelische Gesundheit?) in den Blicken meiner besten Freunde.
Ich war ein Mensch einer anderen Gattung geworden. Nicht nur, weil ich mich ausgesprochen zweckmässig kleidete. Ich war auf dem Weg, nicht mehr Mann zu sein. Anders gesagt: Ich entsprach nicht mehr den Rollenbildern, auf die die Menschen sich verlassen zu können glauben. Und noch etwas veränderte sich. Auch meine Perspektive entsprach nicht mehr der eines Mannes.
Ich begann, andere Männer ausgesprochen langweilig zu finden. Ihr Gelaber von Sport, von ihrer Arbeit, ihre unechte Bewunderung für ihre Kinder, die überbetonte Wertschätzung ihrer Frauen.
Das verflixte dritte Jahr
Ja, ich war ganz und gar Hausmann geworden. So weit, dass man mich als Zwitter hätte bezeichnen können. Ich war weder Mann noch Frau. Doch gab es noch Überreste männlichen Handelns: So konnte ich beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie wichtig es meiner Frau war, dass die Kissen in einer Art dekorativer Habachtstellung auf der Couch «standen», oder weshalb mein Sohn jeden Tag eine neue Hose anziehen sollte, die ja sowieso in den ersten zehn Minuten nach Ankunft auf dem Spielplatz eingedreckt würde…
Und im dritten Jahr wurde auch deutlich, wie diese neue Rolle sich auf die Beziehung ausgewirkt hatte. Meine Frau hatte Mühe, mich – das Faktotum – als Mann zu sehen, mich als Mann anzunehmen und, ja, zu begehren. Sie wünschte sich einen Mann, der «voll und ganz im Leben» steht. Sie wünschte sich einen Mann, auf den sie «stolz» zeigen könne.
Wenn ich heute am Spielplatz vorübergehe, denke ich ein wenig wehmütig an meinen Traum davon, ein Hausmann zu sein.
Ich war perplex: Stand nicht gerade ich so etwas von «voll und ganz im Leben» wie kein anderer Mann? Konnte sie auf mich nicht so etwas von «stolz» sein?
Inzwischen hat sich vieles verändert. Ich bin nicht mehr Hausmann und lebe allein. Ich arbeite in einem Beruf, in dem «Sorge tragen» Priorität hat: Sorge tragen zum Menschen und zur Schöpfung. Ich bin Religionspädagoge geworden.
Und wenn ich am Mammutspielplatz im Margarethenpark vorübergehe, auf dessen Bänken sich die Kolonien von Müttern niedergelassen haben, denke ich oft an die langen Sommernachmittage, die ich mit Sohn und Tochter dort verbracht habe. Denke ein wenig wehmütig an meinen Traum davon, ein Hausmann zu sein.
An einen Traum, den ich in merkwürdiger Vertrauensseligkeit verwirklichte. An einen Traum, für den nicht nur ich nicht bereit war.
An einen Traum, der mehr braucht als nur die Kraft eines Traums: pure Science-Fiction, Lichtjahre von heute.
An einen Traum schliesslich, der den Männern eine Rolle abverlangt, die sie in überwältigender Mehrheit noch nicht mal zu spielen wagen.
Was für ein schwaches Geschlecht, diese Männer.