Valentin Amrhein erforscht den Gesang von Nachtigallen. Wenn diese im April wieder Nacht für Nacht loslegen, muss er vor allem eines können: im Dunkeln einhändig Velo fahren.
Zwölf Jahre lang wohnte Valentin Amrhein (44) in einem Häuschen an beneidenswerter, exklusiver Lage mitten in der Petite Camargue Alsacienne. Dort forscht der Biologe über den Gesang der Nachtigall. Amrhein, der die Forschungsstation dort leitet, lebte quasi mitten unter seinen Studienobjekten. Das hatte nicht nur Vorteile: «In der Petite Camargue mit offenem Fenster schlafen kann man im Frühling vergessen. Die Nachtigallen singen die ganze Nacht durch. Wenn am Morgen auch noch die anderen Vögel loslegen, ist das unglaublich laut», erklärt er.
Ein einzelnes Nachtigallenmännchen bringt es auf beachtliche 90 Dezibel und beherrscht etwa 200 unterschiedliche Strophen. Nicht alle Nachtigallen aber singen in der Nacht. «Sobald ein Männchen ein Weibchen gefunden hat, hält es nachts den Schnabel. Es singt dann nur noch tagsüber, um sein Revier zu markieren», hat Amrhein nachgewiesen. «Wer Ende Mai nachts noch singt, outet sich als übrig gebliebener Junggeselle.»
Triller gegen Rivalen
Wer wissenschaftlich nachweisen will, dass der Nachtgesang als Lockruf für Weibchen dient, braucht Balanciervermögen. Denn einhändiges Velofahren nachts im Wald gehört zu den wichtigsten Anforderungen für den Biologen und seine Kollegen. Eine Hand am Lenker, in der anderen das Telemetriegerät zur Ortung, verfolgten sie mit einem Sender ausgestattete Nachtigallen-Weibchen auf Partnersuche. Tagsüber bewegen sich diese so gut wie nicht. Nachts aber legen sie bis zu sechs Kilometer zurück, hören mehreren Männchen zu, bis sie sich schliesslich mit einem der Sänger paaren.
Amrhein kann verstehen, dass die Männchen nach der Paarung verstummen: «Die sind dann den ganzen Tag mit Futtersuche für ihren Nachwuchs beschäftigt. Nachts brauchen sie ihren Schlaf.» Tagsüber aber müssen die verpaarten Männchen nicht nur Futter suchen, sondern auch eifrig singen – diesmal um Rivalen von ihrem Revier fernzuhalten.
In einer ihrer Studien spielten Amrhein und seine Forscherkollegen Nachtigallen-Gesang vom Band ab, um zu untersuchen, wie die Männchen auf die vermeintliche Konkurrenz reagierten. «Der Revierbesitzer steigert den Anteil der Strophen mit Trillern, wenn ein Rivale in der Nähe singt. Will er zeigen, dass seine Geduld am Ende ist, fällt er dem Rivalen ins Wort.» Das sei im Grunde ähnlich wie beim Menschen, wenn jemand, der aufgeregt sei, den anderen nicht ausreden lasse.
Für die Familie aus der Idylle
Zur Leitung der Forschungsstation im französischen Naturschutzgebiet, die der Uni Basel angegliedert ist, kam Amrhein per Zufall. Er war aus Bonn fürs Studium nach Basel gekommen und ergriff die Gelegenheit, sich seine Ausbildung zu finanzieren, als sein Professor Heinz Durrer die Forschungsstation aufbaute. «Damals war es natürlich praktisch, dass ich dort auch wohnen konnte. Bei Studenten ist das Geld bekanntlich knapp.» 1999 wurde er Leiter der Station. Mittlerweile ist er verheiratet und hat drei Töchter. Irgendwann wurde das kleine idyllische Haus zu eng, und die Familie zog nach Riehen.
Die Forschungsstation leitet er nach wie vor. Jedes Jahr kommen Studentinnen und Studenten von der Uni Basel, aber auch von französischen Universitäten an die Forschungsstation und studieren die Ökologie von Vögeln, Sumpfschildkröten oder Schmetterlingen.
Hier singen sie schöner
Es gibt noch einiges, was Amrhein über die Nachtigall herausfinden möchte. So gelang es etwa in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Vogelwarte Sempach, Nachtigallen mit Datenspeichergeräten zu bestücken, und so herauszufinden, dass sie in Westafrika überwintern.
«In Ghana sind wir dann mit Lautsprechern mit Nachtigallengesang durch die Gegend gefahren und haben gehofft, dass uns die Tiere antworten.» Als die Nachtigallen schliesslich aufgestöbert waren, staunte der Biologe nicht schlecht: «Einige Männchen klangen bei Weitem nicht so schön wie bei uns; das waren vermutlich Jungtiere, die im selben Jahr geboren wurden.»
Amrheins Traum ist, die Forschung im Winterquartier in Ghana voranzutreiben. Es sei erstaunlich wenig bekannt über das Leben unserer heimischen Zugvögel im Winterquartier. «Da kann man sich fast fühlen wie Darwin auf den Galapagosinseln und etwas weitgehend Unerforschtes untersuchen.» Im Grunde sei es nämlich so: «Die Nachtigall ist ein afrikanischer Vogel, der freundlicherweise vier Monate im Jahr zu uns kommt, um hier seine Jungen aufzuziehen. Und wir dürfen uns in dieser Zeit an ihrem Gesang erfreuen.»