Die Küche im «Roten Bären» ist schon ab Mittag belebt, obwohl das Restaurant an der Grenze zum Rotlichtviertel erst abends auftischt. Chefkoch Roger von Büren kontrolliert die Temperatur im Sous-Vide, wo eine Kalbsschulter seit zwei Tagen bei 60 Grad gart, und prüft die Qualität der angelieferten Frischware. Er guckt, fühlt und riecht, was ihm augenscheinlich Freude macht.
Die Sinneseindrücke bringen Schwung in seine Synapsen. Ob Tomate oder Zitrone, stets kommentiert er, was damit geplant ist und vor allem, was man alles noch damit machen könnte.
Macht von Büren seinen Mund auf, kommt Essen raus – zum Glück nur verbal. Wobei es durchaus willkommen wäre, würde er seinem Gegenüber servieren, wovon er gerade erzählt. Denn der 33-Jährige avanciert in seinem ersten Job als Chefkoch zum Shooting Star der Basler Gastroszene. Seit kaum einem Jahr steht er im «Roten Bären» am Herd, schon wurde er von «Basel geht aus» zum Newcomer 2016 gekürt – und nun hat er gar einen Brief von Gault-Millau erhalten.
«Ich will einfach wissen, wie viele Punkte es sind!»
Die Gastro-Bibel will von Büren in der nächsten Ausgabe mit Punkten auszeichnen. «Bis vor zwei Wochen hätte ich gesagt: Wir brauchen weder Punkte noch Sterne. Nun finde ich das schon geil, ist es doch eine schöne Auszeichnung für unser Team, aber ich bin auch nervös.» Die Erklärung folgt, während er auf dem Stuhl herumrutscht wie ein Kind, das sich auf seine Weihnachtsgeschenke freut: «Ich will einfach wissen, wie viele Punkte es sind!»
Ein bisschen gedulden muss er sich noch. Der Führer mit den Punktzahlen von 12 bis 20 erscheint im Oktober. Doch bringt eine hohe Punktzahl nicht auch enormen Leistungsdruck mit sich? «Druck bin ich mir aus der Küche gewohnt», winkt von Büren ab. Er hat schon in vielen Restaurants gekocht, wobei er die Schweizer Lokale noch als gemütliches Pflaster empfindet.
Während seiner Wanderjahre stand er in London öfter bis zu 16 Stunden in der Küche, ohne Pause, teilweise gar ohne Lohn. Dort erlebte er Küchenchefs, die ihren Arbeitskittel mit einer Diktatorenuniform verwechselten und mehr brüllten als kochten.
Daheim sind die Portionen grösser
Selber überzeugt und motiviert er sein Team lieber mit leisen Tönen. Trotzdem nennt er London eine sehr wertvolle Erfahrung: «Ich wollte dort einfach lernen, was kulinarisch möglich ist.» Darum war vor drei Jahren nicht Stress der Grund für seine Rückkehr nach Basel – es war die Romantik: «Hier lebt meine Liebe, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen will.»
Weil die Liebe durch den Magen geht, bekocht er natürlich auch die Freundin und ihr Kind. Sind sie die Testesser seiner Experimente? Von Büren winkt ab: «Da schaue ich mehr, dass die einzelnen Geschmacksrichtungen auf einem Teller zusammenkommen und weniger auf die Form und Ausarbeitung der Komponenten. Daheim bin ich limitierter, man kann sich nicht zu viert um einen Teller kümmern.» Und die Portionen sind grösser als im «Roten Bären».
Denn dort tröstet nur die Aussicht auf den nächsten Teller, dass der grosse Genuss so klein war. Das für Basel neue Hauskonzept bedingt, dass die Gäste nicht die klassische Menüfolge aus Vorspeisen und Hauptgängen bestellen, sondern drei bis fünf verschiedene Teller von der Karte kombinieren.
«Mit vielen kleinen Tellern können die Gäste viel mehr entdecken als bei einem normalen Hauptgang.»
Die Speisen sind geschmacklich raffiniert und aufwendig präpariert. Trotzdem hat man kein architektonisches Esswerk vor sich, wo man kaum weiss, wo und wie man reinstechen soll, sondern einen sinnlich arrangierten Teller, der Appetit macht.
«Mit vielen kleinen Tellern können die Gäste doch viel mehr von den Spielereien aus der Küche ausprobieren und entdecken als bei einem normalen Hauptgang», verteidigt von Büren sein Konzept, bevor er mit einem Lachen hinzufügt: «Und falls mal was nicht schmeckt, folgt schon bald was anderes!»
Kittchen oder Küche
Seine grosse Leidenschaft für das Kochen entdeckte von Büren erst spät und ein Stück weit unter Zwang. Die Ausbildung begann er mit 20 Jahren auf dem Arxhof, dem Massnahmenzentrum für straffällige junge Männer. «Ich war kein wirklich böser Bube, hatte aber viel zu viel Seich gebaut.»
Eine Lehre hatte von Büren während seiner Jugend in Solothurn nicht einmal angefangen. Er lernte auf der Strasse. «Ich sah das Leben als grosses Abenteuer, fuhr früh Auto ohne Ausweis, knackte Töfflis, frisierte sie und schmuggelte Waren über die Grenze, die ich hier verkaufte – bis ich hopsging.»
Der Richter stellte ihn dann vor die Wahl: Kittchen oder Küche. Von Büren entschied sich für die Lehre, obwohl er davor nie gekocht hatte: «Mit 20 sollte man an einem anderen Punkt im Leben stehen. Immerhin hatte ich genug Realitätssinn, dass ich die Lehre unter allen Umständen durchziehen wollte.»
Sein Traumauto, einen Lancia Thema, hat er nun legal erworben und fährt es mit Ausweis. Schnelle Zweiräder mag er noch immer, allerdings fährt und veredelt er nun Rennvelos. Den Wilden markiert er heute nur noch in der Küche. «Ich lasse gerne mal eine Bratpfanne gröber auf den Herd knallen. Das bringt Dynamik, Charakter und Rock ’n’ Roll in die Küche. Darum koche ich lieber mit Gas als Induktion.»
Doch nun werden die Pfannen ruhen. Von Büren macht erstmals seit der «Rote Bären» vor einem Jahr öffnete zwei Wochen Ferien. Er fährt im Auto mit Freundin und Velo ins Baskenland – sein «place to be», wenn es ums Essen geht. «Der Brief von Gault-Millau kam zur rechten Zeit. Nun kann ich entspannt Inspiration sammeln und dann wieder Vollgas geben.»
Eine, zwei Ideen zur Aufwertung des Lokals hat von Büren schon. Doch keiner muss fürchten, der «Rote Bären» werde wegen der neuen Plakette am Eingang nun allzu vornehm. Die Montagskonzerte sollen genauso Platz haben wie alle Gassengäste, die bloss an der Bar etwas trinken wollen. «Aber bei Essen und Service habe ich schon ein paar Ideen, was verbessert werden kann.»