Es ist kalt und finster draussen. Zwei Jungs sitzen im Treppenhaus des leicht maroden Gebäudes an der Kleinhüningerstrasse 205 und spielen mit ihren iPhones. Ulla Stöffler ruft ihnen mit ihrer energiegeladenen Stimme zu: «Na, ist euch langweilig? Auf der Erlenmatt ist Robi-Spiel-Aktion, gell!» Die Jungs nicken dankend.
Das Klybeckquartier ist Stöfflers Revier. Woche für Woche ist die 49-Jährige als Mobile Quartierarbeiterin auf den Strassen unterwegs und kümmert sich um die Anliegen und Sorgen der rund 7300 Bewohner – und davon gibt es etliche. Im Quartier zwischen Dreirosenbrücke und Wiese leben die ärmsten Familien von Basel. Die Sozialhilfequote ist mit 13,6 Prozent am höchsten, der Ausländeranteil mit 52,4 Prozent ebenso. Auch bei der Arbeitslosenquote schwingt das Quartier obenauf. Existenzängste gehören hier zur Tagesordnung.
«Merke ich, dass sich eine Person von der Schweizer Gesellschaft abwendet, frage ich, was sie denn hier macht.»
Stöffler beschreibt das Klybeck als Yin-Yang-Symbol: «Das, was gut ist, ist gleichzeitig auch häufig nicht so gut. Mich fasziniert das Multikulturelle in diesem Quartier, das aber auch viele Herausforderungen mit sich bringt.» Damit meint sie etwa das unterschiedliche Verständnis der Kulturen, was Recht und Werte sind – und wie diese aus ihrer Sicht mit dem geltenden Gesetz in Einklang gebracht werden sollten.
Stöffler findet es bereichernd, diesen Diskurs mitzukriegen. Sie hört aber nicht nur aufmerksam zu, sondern bietet auch Paroli: «Wenn ich merke, dass sich jemand von der Schweizer Gesellschaft abwendet, frage ich diese Person, was sie hier denn überhaupt macht. So entsteht eine Kontroverse, was erstaunlich gut beim Gegenüber ankommt und spannende Diskussionen mit sich bringt.»
Verlust von günstigem Wohnraum macht Angst
Aufgewachsen ist Stöffler im deutschen Kandern. Sie machte eine Lehre als Goldschmiedin und studierte später Sozialarbeit in Freiburg. Im Jahr 2000 startete sie als Gassenarbeiterin beim Schwarzen Peter. Es folgten Stationen beim Fanprojekt Basel, dem Frauenhaus, dem Bildungs- und Arbeitsprogramm «lotse», der Jugendarbeit Muttenz und dem Bereich Sozio-Kultur in Kaiseraugst. Seit August 2016 ist Stöffler Mobile Quartierarbeiterin des Klybeckquartiers.
Hier kümmert sie sich, die selber im benachbarten Matthäus wohnt, um «Banalitäten». Immer wieder übersetzt sie den Bewohnern Behördenbriefe oder sorgt dafür, dass Eltern Unterstützung bei Alltags- und Erziehungsfragen bekommen. Auch die Wichtigkeit von Bildung wird stets thematisiert sowie Deutschkurse für Eltern, damit sie die Kinder in der Schule besser unterstützen können. «Vieles, worüber wir uns keine Gedanken machen, ist hier teilweise nicht selbstverständlich.»
Die grösste Angst der Bewohner sei momentan, dass der bezahlbare Wohnraum verloren gehe, sagt Stöffler. «Wenn sie von Massenkündigungen am Giessliweg hören, bekommen sie Panik und fürchten, dass sie als Nächstes an der Reihe sind.» Viele seien mit der Wohnungsmiete schon am Limit. «Es gibt etliche Familien hier, die am Ende des Monats nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder satt kriegen.» Stöffler versucht dann zu vermitteln, ihnen das Einkaufen im Caritas-Laden zu ermöglichen oder für die Kinder einmal in der Woche einen Mittagstisch-Platz zu organisieren.
Und wie kommt das Stadtentwicklungsprojekt Klybeck plus im Quartier an? Verursacht es auch Ängste? Stöffler schüttelt den Kopf: «Das ist kein wirkliches Thema momentan. Das ist noch so weit weg, dass das die Vorstellungskraft der Bewohner übersteigt.» Sie selber sieht die Gefahr, dass das Quartier, das schon heute enorm von Lärm und Verkehr geprägt sei, durch das Projekt dann noch mehr an seine Grenzen kommt. So würden schon der Einkaufstourismus, die Partymeile am Hafen und die drei Moscheen im Quartier zu viel Verkehr führen und zu Stress bei den Bewohnern.
«Es muss uns einfach bewusst sein, dass das Klybeckquartier ein grösserer Hotspot ist als andere Quartiere.»
«Wenn noch ein Grossbauprojekt kommt, geht das nicht spurlos an der Gesundheit der Bewohner vorbei.» Stöffler findet es deshalb wichtig, den Bewohnern immer wieder eine Auszeit zu gönnen, «damit sie mit ihrer Umgebung besser klarkommen». Letzten Frühling etwa organisierte sie 50 Tickets für einen Europa-Park-Besuch.
Stöffler wünscht sich denn auch, dass der Kanton häufiger mit Angeboten wie Hüpfburgen, Kinder-Ferienstadt und Ähnlichem ins Quartier komme. «Es muss uns einfach bewusst sein, dass das Klybeckquartier ein grösserer Hotspot ist als andere Quartiere – und ein Quartier voller Reichtum und Farben.» Sie würde nirgends anders arbeiten wollen.