Ein Nachmittag im Spätsommer, das Thermometer zeigt über 30 Grad. Die Hitze kriecht aus den Mauern auf dem Gundeldinger Feld, bis der Körper kocht. Arvid Weck macht das nichts aus, der 33-jährige Basler ist nämlich selber Koch.
Seit fast drei Jahren bringt Weck das «Zmorgeland» in die «Markthalle». So heisst dort der Sonntags-Brunch. Dann war da noch das eher experimentelle Café Con Lettras in einem ehemaligen Bücherladen im Kleinbasel, und die Jahre zuvor war Weck Koch im Restaurant seiner Mutter in Roggenburg.
Jetzt aber hat er etwas ganz Neues im Sinn, «eine ziemliche Challenge», wie er sagt: sein Menu Surprise für das «Stadtdinner» am 27. September. Fünf Gänge will er den 80 Gästen servieren. Die Produkte stammen fast alle direkt aus der Stadt. Ultralokale Küche also. Aber was gibt so eine Stadt wie Basel überhaupt an Essbarem her?
Kochen, was Basel hergibt
Seit Wochen streift der Koch durch die Quartiere und über deren Grenzen hinaus, um seine Zutaten zu finden. Das Produzenten-Netzwerk des Vereins Urban Agriculture Basel hilft ihm dabei. Gemüse kosten aus dem Garten des offenen Strafvollzugs auf dem Bruderholz, Stadtpilze beschnuppern im St.Johann – für solche Sachen ist der Vater eines zweijähigen Sohns in letzter Zeit oft unterwegs.
Und jetzt versucht er, sich Bienen aus dem Gesicht zu wedeln. Weck hat gehört, auf dem Dach des «BioBistro» im Gundeldinger Feld liege süsses Gold versteckt. Da musste er hin. Und wir wollten mit.
Andreas Seiler heisst der Mann, der dieses Gold schürft. Seit 17 Jahren ist er Geschäftsführer des Bistros. Wir nehmen den Lift aufs Dach, steigen aus und stehen auf einer Wiese. Mitten in der Stadt. Ein kleines Naturidyll, wo normalerweise Ziegel sind. Der Boden ist grün überwuchert. «Mauerpfeffer», sagt Seiler. «Kann man, glaube ich, essen.» – «Ah ja?», wundert sich Weck und schaut neugierig zu seinen Füssen runter.
Dann gilt aber doch die volle Aufmerksamkeit dem Honig, den Seilers Stadtbienen hergeben. Drei Völker hält er hier auf dem Bistro-Dach, seit sieben Jahren. Beim Schützenmattpark hält er weitere Völker, dort schon seit zehn Jahren. Mehrere Kilo produziere ein Volk im Jahr. Koch Weck dreht zwei Gläser davon langsam in seinen grossen Händen, prüft sie eingehend.
Der Honig ist für ihn besonders wertvoll. Denn sein Stadtdinner stellt ihn vor Schwierigkeiten, die er so nicht erwartet hatte. «Die Hauptzutaten sind nicht das Problem. Aber die kleinen Sachen, Zucker, Salz, Milch – an die denkt man nicht gleich.»
Wo soll man solches in Basel denn auch finden? Der Honig wird deshalb seinen Gerichten die Süsse geben. Und das Salz? «Ja, das ist ein Kompromiss. Das wird wohl aus den Rheinsalinen kommen.» Eine Pfeffermühle wird an seinem Dinner jedoch fehlen.
Dieses ultralokale Stadtdinner ist für Weck in erster Linie ein Experiment. Und doch geht es darüber hinaus: «Fast jedes neue Restaurant schreibt sich heute lokal und selbstgemacht über die Tür», sagt Weck. «Die Begriffe sind ausgelutscht. Und häufig sogar falsch. Woher kommt zum Beispiel das Öl? Oder der Kaffee?»
Er selbst nimmt das Öl für das Stadtdinner übrigens vom Baselbieter «Ölisten» Simon Müller – ein weiterer Kompromiss. Aber wirklich zu wissen, woher die Produkte kommen, sie selber geerntet zu haben, das verändere eben schon etwas: «Du bist viel mehr du selbst, wenn du so kochst», findet Weck.
Beeren pflücken bei den Pinguinen
Der Koch packt zwei Honiggläser in den Rucksack und setzt seine Mütze auf. Nächste Station: Basler Zoo. «Wir holen Kornelkirschen», erklärt er. Er habe dort mehrere Bäume gesichtet, die reich behangen seien mit den roten Früchten. Und die darf man einfach ernten? «Ich weiss nicht», sagt er schmunzelnd, «wir werden es einfach versuchen.»
An der Zoo-Kasse fragen wir dann doch. Und siehe da: «Das ist super, genial!», ertönt es durch die Plexiglasscheibe an der Eingangskasse. «Geh, und ich überleg mir in der Zwischenzeit, was man sonst noch in der Stadt sammeln könnte», sagt die Kassiererin. Schon huscht Weck durchs Drehkreuz.
Zügig tigert er durch den Zoo. Seine Augen hetzen von links nach rechts, von Busch zu Busch. «Es ist übel. Wie eine Sucht. Du kannst nie aufhören mit dem Suchen», sagt Weck.
Schlimm sind für ihn inwischen auch die vielen gutgemeinten Vorschläge von Freunden und Verwandten: «Dort gibts noch das, und hast du jenes gesehen?» Irgendwann habe er sich sagen müssen: «Jetzt reichts, ich kann nichts mehr hören. Ich muss mich jetzt hinsetzen und das Menu aufschreiben. Sonst werde ich noch verrückt.»
Was er am 27. September genau auftischen wird, bleibt eine Überraschung. Die Kornelkirschen sind sicher gesetzt.
Wir erreichen das Gehege der Pinguine. Kritisch beobachten sie, wie Weck sich nach vorne lehnt, um an den Baum mit den dunkelroten Früchten zu gelangen, die er in seinen Behälter tröpfeln lässt. «Die sind mega süss, probier mal eine», sagt Weck.
Süss, ja. Aber doch auch säuerlich und pelzig auf der Zunge. Weck wird sie wohl mit dem Honig einkochen, sagt er. Tupfer der fruchtigen Fusion werden die Teller zieren.
Reichts auch für ein Wintermenu?
Die Früchte kullern durch den zwei Finger breit gefüllten Plastikbehälter, als wir zur Kasse stapfen. Zwei, drei Hände voll Kornelkirschen reichen dem Koch. Die Frau hinter dem Plexiglas hält, was sie versprochen hatte: Man könnte noch Vogelbeeren sammeln, die übrigens ungiftig seien. Oder Labkraut. Auch die Wurzeln der sogenannten Nachtkerze könne man essen. Nach einigen Bissen seien diese dann aber doch etwas langweilig.
Kurz: Einmal mehr ein «Dort gibts noch das, und hast du jenes gesehen?» – Arvid Weck hört brav zu, nickt eifrig. Auch wenn er für dieses «Stadtdinner» keinen der Tipps wird brauchen können: Ein einmaliger Event soll es nicht werden. Zu jeder Saison einer wäre schön.
Die Kassiererin ist skeptisch: «Also im Winter wirds verdammt schwierig.» Weck zuckt mit den Schultern. Schwierig? Umso besser eigentlich für ihn. Dann hat er wieder eine neue Challenge.
Das «Stadtdinner» wird am 27. September um 18 Uhr in der «Markthalle» serviert. Den Fünfgänger gibt es auch in einer Variante für Vegetarier. Tickets bestellen kann man auf der Website.