Jahrelang nannten wir sie die Pizza Boys. Das war immer nett gemeint, respektvoll, ein bisschen kumpelhaft. Aber als sich zuletzt ein Schatten über die Redaktion an der Spitalstrasse 18 legte und alles ein bisschen schwerer und bedeutsamer wurde, da hiessen auch die Pizza Boys plötzlich nicht mehr Pizza Boys, sondern: «Ernährer». Niemand weiss, wer damit angefangen hat. Ist auch egal.
Wobei, so egal auch wieder nicht. Die terminologische Fixierung dessen, was die Pizza Boys für die Redaktion der TagesWoche letztlich immer waren, Ernährer nämlich, führte ohne Umschweife zur Erkenntnis, dass Mehmet Yildiz und Mehmet Ortac ins letzte Heft gehören, komme was wolle.
Hier sind sie also. Auf ein letztes Mahl mit Mehmet Yildiz und Mehmet Ortac, den wahren Ernährern der TagesWoche.
Trinkgeld für Traumhaus
Mehmet Ortac macht Pizza, rechte Seite der Theke, Mehmet Yildiz macht den Rest, linke Seite. Ortac hat Stress, Yildiz kassiert. So läuft das hier, kein Schnickschnack, klare Aufteilung. Ist die Pizza fertig, legt Ortac sie auf den Glastresen neben der Kasse, Yildiz sagt «9.90, bitte». Und die zehn Rappen Trinkgeld, die niemand zurückhaben will, hält er einem trotzdem immer hin. Aus Höflichkeit.
60 bis 80 Dönertaschen, Dürüm und Pide, griechische Salate oder Pizzas gehen hier tagtäglich über die Theke. Der Döner kostet sieben Franken. Jede Pizza 9.90.
Das Letzte was man sieht, wenn man den Laden verlässt, ist dieser Mehmet Yildiz, wie er die zehn Rappen Trinkgeld in der Hand hat, leicht erhoben zum Gruss, Schöne zäme, und das Geld dann in das Sparschwein neben der Kasse fallen lässt. Auf dem Sparschwein steht «Traumhaus».
«Manchmal sage ich zum Spass zu Mehmet: ‹He, Mehmet, langsam reichts schon für den Fensterrahmen›», scherzt Mehmet. Und man sieht Yildiz und Ortac vor dem inneren Auge einen schönen Fensterrahmen kaufen für ihr Traumhaus. Und man gönnt es ihnen sehr.
Man sagt eigentlich verdammt viele nette Sachen in dieser «Arena», sie ist die Wohlfühloase unter den Dönerbuden.
Mehmet Yildiz schmeisst die Bude seit 13 Jahren. Er ist 55 Jahre alt, sein Cousin Mehmet Ortac 35 Jahre. Yildiz lebt seit 33 Jahren in Basel, kam aus der Türkei, hat dann erst mal zwanzig Jahre in Therwil in einer Textilfabrik gearbeitet. «Harte Arbeit, jeden Tag, Kaschmir, Tweed, Cord. Wir haben Stoffe vorbereitet, die dann in Asien irgendwo zusammengenäht wurden.»
Dann ging die Fabrik zu, die Produktion war zu teuer, Asien billiger. Massenentlassung. «Ich weiss, was für eine Situation das ist bei euch», sagt Yildiz über die Theke, als wieder ein TagesWoche-Trupp Futter fasst.
Danke, Mehmet Yildiz. Man sagt viel Danke in der «Arena», aber auch «Hallowiegehts» und «Wieläuftsso». Man sagt eigentlich verdammt viele nette Sachen in dieser «Arena», sie ist die Wohlfühloase unter den Dönerbuden.
Ortac: Der Mesut Özil unter dem Pizzabäckern
«Nachdem ich damals bei der Texttilfabrik entlassen wurde, habe ich hier dieses Lokal gefunden», sagt Yildiz. «Und wie ich so davor stand und mir vorstellte, dass das jetzt mein neues Leben wird, da hab ich mich gefreut. Aber ich habe auch gedacht, dass wird sicher ein Kampf, dieses Dönermachen. Also hab ich den Laden ‹Arena› getauft. Wie eine Kampfarena, weisch.»
Unter der Theke mit den Zutaten hängt ein Plakat. Darauf wirbt ein bleicher Mann mit Perücke für ein Konzert von Vivaldi. Auf dem Bildschirm über dem Kühlschrank läuft ein Schlittschuhwettkampf. Es riecht nach Zwiebeln. Arenaduft. Love is in the air.
Mehmet Ortac, der Cousin von Yildiz, ist der Mesut Özil unter den Pizzabäckern. Taktisch brillant, technisch beschlagen, abschlussstark. Bei Ortac bilden sich manchmal Warteschlangen bis auf die Strasse, alle wollen sie seine Pizzas. Die schönen Mitarbeiter von Herzog & de Meuron, die verblasenen Studenten, die Akkuraten vom Biozentrum mit der kurzen Mittagspause. Und die Journalisten. «Ich erkenne manchmal an der Stimme, was die Kunden so machen», sagt Ortac.
Der 35-Jährige ist ein kommunikatives Genie. Manchmal begrüsst er die Kunden, die bei Herzog & de Meuron arbeiten, mit irgendwelchen Facts über Hotels auf Stelzen in Russland, die das Büro gerade baut, und man fragt sich: Woher zum Teufel weiss der das? Ortac ist einer, der wahrscheinlich abends in Architekturblogs stöbert und die letzten News über die Baustelle des Biozentrums googelt, damit er am nächsten Tag zwischen Käseverteilen und Sardellenzerzupfen mit seinen Kunden ein paar Insiderdetails austauschen kann.
Für eine Pizza braucht er zwischen fünf und sechs Minuten, wenn die Temperatur des Ofens stimmt. Sie stimmt eigentlich immer.
Für Ortac ist die TagesWoche erkennbar an einer bestimmten Bestellung: «Spinat mit Speck, wenn das einer will, dann weiss ich: Der arbeitet bei der TagesWoche.» Dann sagt Ortac noch ein paar nette Dinge über die TagesWoche und dass es schade sei und traurig. Aber es werde schon weitergehen, es gehe immer irgendwie weiter, macht 9.90, en Guete, Schöne zäme.
Ja, en Guete zäme und farewell, bester Take-Away der Stadt. Wir werden eure gutgelaunte Nahkampfarena in bester Erinnerung behalten, denn was da auch immer kommen mag: ohne Mampf kein Kampf. Nirgendwo.