Thierry Freyvogel war der zweite Direktor des Basler Tropeninstituts. Einst baute er im afrikanischen Busch ein Feldlabor auf und kämpfte mit Schlangen. Heute schätzt er guten Wein.
Wenn der 85-Jährige mit Erzählen beginnt, erwacht die afrikanische Savanne. Elefanten und Büffel trampeln durch den Raum, Tsetse-Fliegen schwirren in der Luft, und Thierry Freyvogel steckt kopfüber in Erdlöchern und stöbert Warzenschweine auf. Wer Freyvogel beim Erzählen zuhört, unterbricht ihn ungern.
Wir treffen Freyvogel, der in Arisdorf lebt, in seiner einfach eingerichteten Zweitwohnung am Basler Schützengraben. Als Kind flüchtete er bei Beginn des Zweiten Weltkriegs mit seinen Eltern von Paris nach Basel. Später verbrachte er einen Teil seines Lebens in Afrika. Heute hat er ein beschaulicheres Leben, hackt Holz, rupft Unkraut, ist Mitglied in einer Zunft und trinkt gerne guten Wein.
«Ist Ihnen klar, dass ich ein alter Mann bin?» Sechzig Jahre sind vergangen, seit sich in Basel ein Doktorand auf den Weg zum Jungfraujoch machte, im Gepäck ein Käfig mit malariainfizierten Hühnern. Freyvogel wollte herausfinden, ob die Krankheit in der Höhe wie erwartet glimpflicher verläuft. Doch die Tiere starben rascher in den Bergen als jene in der Unterdruckkammer in Basel, zum Doktortitel reichte es Freyvogel allemal.
Im selben Jahr begleitete er Rudolf Geigy, den Gründer des Schweizer Tropeninstituts, auf einer Forschungsreise durch Ostafrika. «Bei einem Abendessen eröffnete mir Geigy, er wolle im tansanischen Ort Ifakara ein Feldlabor einrichten. Ich solle mich darum kümmern.» Übersetzt klingt Ifakara wenig verlockend: Es bedeutet «Ort zum Sterben», wegen der vielen Tropenkrankheiten. Der 25-jährige Freyvogel liess sich davon nicht abhalten und machte sich wenig später auf ins Kilombero-Tal nach Ifakara.
Mit einfachen Mitteln und der Hilfe von Einheimischen erfüllte er innert drei Jahren seinen Auftrag in der tropischen Hitze. Das Tropeninstitut nutzte das Labor von da an zur Erforschung von Krankheiten und als Ausbildungsstätte für Mitarbeiter und die lokale Bevölkerung. Immer wieder kehrte Freyvogel in das tansanische Tiefland zurück. «Jedes Mal, wenn ich von dort zurückkam, wusste ich wieder, weshalb wir diese Arbeit machten: Sie leistet einen konkreten Beitrag zur Lebensqualität der Menschen in ärmeren Ländern.»
Freyvogel unterrichtete in Ifakara die Studenten und fütterte Mücken zu Forschungszwecken mit seinem Blut. In dieser Zeit erlebte er die Folgen einer schweren Malaria am eigenen Leib. Auch den Biss einer Puffotter überstand er glimpflich. «Ich wusste, wovon ich sprach, als ich später in Basel Gifttierkunde und Parasitologie unterrichtete.» Einige Jahre später machte ihn Rudolf Geigy zum Leiter der Abteilung Biologie und 1972 zu seinem Nachfolger als Direktor des Tropeninstituts.
«Das Staunen ist etwas vom Wertvollsten, das wir als Naturwissenschaftler vermitteln können.»
Als Direktor setzte sich Freyvogel für die internationale Forschungszusammenarbeit ein und übergab das Schulungszentrum an den tansanischen Staat. Seither hat sich nicht nur der Name des Instituts verändert, das heute Swiss Tropical and Public Health Institut (TPH) heisst. Das Jahresbudget ist von der zu Zeiten Freyvogels knappen Million auf 60 Millionen angestiegen, die Zahl der Mitarbeiter hat sich vervielfacht. Und das ehemalige Feldlabor zählt zu den wichtigsten Gesundheitsinstitutionen Afrikas.
Freyvogel verfolgt die Entwicklungen des TPH aus der Distanz. Aktuelle Forschungsberichte liest er keine, «da komme ich nicht mehr mit, das hat sich so rasch entwickelt». Die Dokumente seines ereignisreichen Lebens hat er kürzlich im Staatsarchiv abgegeben. «Ich habe meine Vergangenheit abgehängt.» Geblieben ist seine Faszination für die Biologie.
Detailliert beschreibt Freyvogel, wie der Malaria-Erreger einen Weg aus dem Mückendarm findet und eine Zyste bildet. Wie die Sichelzellen in die Speicheldrüse des Moskitos gelangen und dort darauf warten, dass dieser zusticht. «Das ist ein fantastisches Prozedere. Wie wissen diese Parasiten, dass sie vom Magen in die Speicheldrüsen müssen?» Hier stossen die naturwissenschaftlichen Erklärungen für Freyvogel an ihre Grenzen, diese Fragen führen für ihn zur Philosophie und Religion. «Das Staunen ist etwas vom Wertvollsten, das wir als Naturwissenschaftler vermitteln können. Die Studierenden sollen merken: Da ist ja etwas Wahnsinniges los, Unvorstellbares.»
Hinter seinem Rücken stehen im Regal Bücher von Jaspers, Barth und Rousseau. Evolution, Philosophie, Religion – für den gläubigen Freyvogel ist das kein Gegensatz: «Ich habe da keine Schwierigkeiten. Man muss diesen Fragen nur mit der nötigen Offenheit begegnen.»