Der Bebbisagg, das schlechte Gewissen und ich

Wie schlimm ist es, wenn ich meine Bierdeckeli nicht getrennt entsorge und den Karton am Joghurtbecher dranlasse? Eine Reise über Basler Müllberge.

Wo landet mein Bebbisagg? Und was geschieht mit falsch entsorgtem Metall? Jörg Stolz von den IWB erklärt, wie der Verbrennungsofen im St. Johann funktioniert.

Manchmal frage ich mich, wie viele Stunden ich in meinem Leben schon damit verbracht habe, Konfi-Gläser auszuwaschen, die Kartonhülle von Joghurtbechern abzuklauben und Kronkorken vom Abfall zu trennen. Ich mag es nicht ausrechnen. Aber was macht man doch nicht alles für ein sauberes Gewissen.

Den Flug nach Barcelona habe ich binnen fünf Minuten mit wenigen Klicks gebucht. Wahrscheinlich kann ich den CO₂-Ausstoss von diesem einen Flug mit einem Leben korrekter Mülltrennung kaum wettmachen. Und doch ist das schlechte Gewissen schnell verflogen.

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Wie kommt es, dass ich mich schlecht fühle, wenn das Bierdeckeli im Bebbisagg landet, aber wenig Hemmungen beim Fliegen habe?

Donnerstagmorgen, wir fahren mit der Müllabfuhr durch Kleinhüningen. Ich will wissen, wo mein Bebbisagg landet und ob es schlimm ist, wenn ich die Bierdeckeli und den Joghurtkarton falsch entsorge.

Die zwei Studenten mit orangen Outfits und Flaumbärten hieven die blauen Müllsäcke vom Strassenrand in den Kehrichtwagen. Es klirrt. «Da hats wieder Flaschen drin», sagt einer. Unwissende oder faule Mülltrenner: «Das erleben wir tagtäglich.»

Wenn das Glas den Bebbisagg aufreisst, kann es für die Lader gefährlich werden. Noch gefährlicher seien weggeschmissene Nadeln, die Leute unachtsam im Bebbisagg entsorgen. Dass wirklich jemand verletzt werde, komme aber äusserst selten vor, sagt der Fahrer.

Der Lader ist voll. Wir fahren zur Verbrennungsanlage am Fuss der bekannten rot-weissen Schornsteine am äusseren Rand des St. Johann. Dort lädt der Fahrer die vier Tonnen Kehricht ab. Die Müllsäcke purzeln in den Abgrund und landen in einem 40 Meter tiefen Becken.

Von dort kommt der Müll in den Ofen. Die Asche, die nach der Verbrennung übrig bleibt, kommt in die Deponie Elbisgraben hinter Liestal. Dort wird die Schlacke – so werden die Überreste aus der Verbrennungsanlage genannt – sortiert. Magnete ziehen Kronkorken und andere Metallstücke raus. Ein Teil davon kann als Altmetall wiederverwertet werden.

Rund 1000 Tonnen Kehricht werden jeden Tag in der Verbrennungsanlage im St. Johann abgeladen.

Also alles nicht so schlimm, wenn ich meine Bierdeckeli im Bebbisagg entsorge? Das führt zu energetischem und finanziellem Mehraufwand, ökologisch ist es aber keine Katastrophe. Und die Kartonhülle vom Joghurtbecher? Der Karton wird zwar nicht wiederverwertet, dafür brennt er gut und erzeugt Fernwärme.

Karton, Plastik und Metall erfüllen also auch dann einen Zweck, wenn sie falsch entsorgt werden. Ein ökologisches Problem ist aber, dass die Materialien nicht im Kreislauf bleiben und neu hergestellt werden müssen.

Ihr Resultat:

Dasselbe gilt beim Altglas. Jede Glasflasche, jedes Konfi-Glas, das ich in den Bebbisagg werfe, landet als Schlacke auf der Deponie im Elbisgraben. Entgegen einem weit verbreiteten Mythos hilft Glas nicht beim Verbrennen in der Kehrichtanlage. Es kommt so wieder aus dem Ofen, wie es reinging. Es kann auch nicht aus der Schlacke aussortiert werden.

Falsch entsorgtes Glas wiegt deshalb ökologisch schwer. Es gibt keinen Mehrnutzen, wird für immer dem Kreislauf entzogen und benötigt Platz in der Deponie.

Mit dem Glaslaster zum Hafen

Wir folgen einem Lastwagen, der die Altglas-Container leert. Bei einer Sammelstelle im Kleinbasel lagern nicht nur alte Flaschen, die Bewohner haben auch ein paar Müllsäcke danebengestellt. Ein Mitarbeiter der Stadtreinigung hebt die Säcke zur Seite. Dass Leute ihren Abfall einfach hinstellen, komme fast immer vor, sagt er. Meistens dann, wenn schon ein, zwei Säcke dort liegen. Wer erwischt wird, zahlt eine Busse von 200 Franken.

Der Lastwagenkran hebt den Container hoch. An der Unterseite hängt ein Stromkabel raus. «Kabel, alte Radios – im Glascontainer finden Sie alles, was in das Loch reinpasst.» Mit einem lauten Klirren rasseln die Flaschen in den Lastwagen. Grün, weiss, braun, fein säuberlich nach Farbe getrennt.

Dann gehts zum Hafen, wo abgeladen wird. Der Laster der Stadtreinigung muss warten. Ein Bagger füllt gerade einen Lastwagen mit Weissglas.

Die Firma Rhenus transportiert das Altglas nach Bad Wurzach in Oberschwaben. Dort wird es eingeschmolzen und zu neuen Flaschen und Gläsern verarbeitet. Vom Weiss- und Braunglas können zirka 80 Prozent rezykliert werden, beim Grünglas sind es 100 Prozent.

Das hängt damit zusammen, dass Grünglas einen grösseren Toleranzbereich hat: Wenn einige braune und weisse Flaschen im Grünglas landen, ist das kein Problem. Beim Weiss- und Braunglas muss das farbfremde Glas herausgefiltert werden, damit das Weiss weiss und das Braun braun bleibt.

Glas trennen wir so gut wie sonst keinen rezyklierbaren Stoff. Die Sammelquote liegt bei 96 Prozent.

Die Recycling-Bilanz beim Glas sei zwar gut, aber es ginge noch besser, erklärt Timo Weber vom Amt für Umwelt und Energie: «Wenn Sie zum Beispiel ein Bier aus der Region aus einer Mehrweg-Glasflasche trinken, ist das am umweltfreundlichsten.»

Eine bessere Ökobilanz als Glasflaschen haben überraschenderweise Aludosen. Wenn sie richtig entsorgt werden, können sie zu 100 Prozent wiederverwertet werden. Der Vorteil dabei: Aludosen besitzen weniger Masse als Glas. Sie brauchen für Transport und der Wiederaufbereitung also weniger Energie.

Zu unserer Wegwerfkultur sagt Weber: «Priorität sollte haben, dass der Abfall gar nicht erst anfällt, dass zum Beispiel Verpackungsmüll vermieden wird. An zweiter Stelle ist wichtig, dass möglichst viel stofflich wiederverwertet wird. Falls das nicht geht, sollte vom Abfall so viel wie möglich energetisch – sprich als Fernwärme oder Strom – verwendet werden.»

Plastik verbrennen oder wiederverwerten?

Ob es besser ist, eine Plastikverpackung zu verbrennen oder sie zu rezyklieren, das lasse sich aber nicht immer eindeutig beantworten, so der Umweltwissenschaftler. Denn: Manche Verpackungen sind nicht so einfach rezyklierbar, weil sie aus verschiedenen Kunststoffen bestehen. Dann ist die Verbrennung vielleicht die bessere Lösung, weil Plastik grundsätzlich einen sehr hohen Brennwert hat.

Gerade in Basel-Stadt kann das ökologisch Sinn ergeben, weil die Verbrennungsanlage im Vergleich zu anderen viel Energie aus dem Kehricht gewinnt. Das ist auch ein Argument dagegen, Kunststoffe separat zu entsorgen.

Einige Gemeinden in der Ostschweiz machen bereits, was in Deutschland seit Langem geschieht: Sie sammeln Verpackungsmüll separat. Ein Teil davon wird danach eingeschmolzen und wiederverwertet.

«Es wäre dumm, wenn wir das Potenzial von separaten Kunststoffsammlungen nicht nutzen würden.»

Felix Meier, Stiftung Praktischer Umweltschutz Schweiz

Eine Studie des Basler Instituts Carbotech zeigt auf, dass die separate Kunststoffsammlung aber verhältnismässig wenig bringt. Der ökologische Nutzen, wenn eine Person ein Jahr lang den Kunststoffmüll separat entsorgt, sei etwa gleich gross, wie wenn eine Person auf eine einzige Autofahrt von 30 Kilometern verzichtet.

So viel täglicher Aufwand für so wenig Öko-Nutzen? Der Regierungsrat sah die Studie kürzlich als Grund, auf die Sammlung von Kunststoff zu verzichten. Das separate Sammeln sei zu aufwendig und zu teuer, schreibt die Regierung im Ratschlag zu einem Entsorgungs-Pilotprojekt.

Anders sieht es der Umweltexperte Felix Meier von der Stiftung für Praktischen Umweltschutz Schweiz (Pusch). Er findet das ökologische Potenzial, also die bei 30 Kilometer Autofahrt verursachten Emissionen, hochgerechnet auf alle Einwohner, doch relativ gross. Die Leute wollten Plastikabfälle separat sammeln, das würden die Erfahrungen in Ostschweizer Gemeinden zeigen, sagt er. «Es wäre also dumm, wenn wir dieses Potenzial nicht nutzen würden.»

Gerade das Kostenargument stört Meier: «Es heisst immer, das Geld könnte man besser einsetzen. Aber wofür denn? Vieles lässt sich zurzeit nicht umsetzen, um den CO₂-Ausstoss zu reduzieren. Daher sollten wir dort, wo die Bevölkerung mitmacht, alles tun, was möglich ist.»

Etwa 700 Kilogramm Müll fallen in der Schweiz jedes Jahr pro Person an. Nur Dänemark, Norwegen und Neuseeland produzieren pro Kopf mehr Abfall.

Wie viel ist möglich?

In der Verbrennungsanlage zwischen Kannenfeldplatz und Grand Casino wird bereits sehr viel gemacht von dem, was möglich ist. Die Riesenklaue über dem Abfallbecken greift zu und schnappt sich zwei Tonnen Bebbisäcke und anderen Müll. Sie fährt hoch und lässt den Abfall über einen Trichter auf ein Förderband fallen.

Der Abfall muss gut durchmischt sein, damit der Ofen gleichmässig brennt. Bei etwa 1000 Grad Celsius verbrennt der Müll. Das Feuer geht nur dann aus, wenn der Ofen kontrolliert und instand gesetzt wird. Das war letztes Mal im März der Fall.

Sonst liefert das Feuer durchgehend Strom und Wärme, die in der ganzen Stadt verteilt werden – auch im Sommer, wenn es brennend heiss ist. Die Fernwärme werde dann zum Teil in Kühlenergie umgewandelt, erklärt Jörg Stolz von den IWB.

Wir fahren mit dem Lift aufs Dach der Anlage. Hier befinden sich die Filter der Verbrennungsanlage. Die Elektrofilter säubern die Luft und halten 99,9 Prozent vom Staub zurück. Die Staubemissionen, die oben aus den Schornsteinen kommen, würden die Grenzwerte etwa um den Faktor zehn unterschreiten, sagt Stolz. Der Kanton wollte das so, weil der Rauch direkt über die Stadt hinwegzieht.

Die Flugasche, die in den Filtern hängen bleibt, soll ab 2021 in einer neuen Anlage gewaschen werden. So können zum Beispiel Metallteilchen vom Rest der Asche getrennt und wiederverwertet werden. In Solothurn gibt es bereits eine solche Anlage. Der aufwendige Prozess sei weltweit einzigartig, sagt Stolz.

Jörg Stolz von den IWB erklärt, wie der komplexe Reinigungsprozess funktioniert.

Was von meinem vollen Bebbisagg übrig bleibt, ist also etwas CO₂ und ganz wenig Staub. Der Kanton tut sehr viel dafür, die Umwelt so wenig wie möglich mit dem Müll zu belasten.

Ihm geht es dabei ein bisschen wie mir: Beim Abfall schaut er sehr genau hin, in anderen Bereichen tut er fast gar nichts. Zum Beispiel beim Verkehr. In der Feldbergstrasse werden die Grenzwerte sämtlicher Schadstoffe seit Jahren überschritten. Massnahmen dagegen: null.

Dabei ist dieses Problem für Mensch und Umwelt viel gravierender als die Abfallwirtschaft. Nur vier Prozent der umweltschädlichen Treibhausgase werden in der Schweiz durch Kehrichtverbrennungsanlagen verursacht. 31 Prozent verursacht der Verkehr. Das sagen die neuesten Zahlen des Bundesamts für Umwelt.

Wozu das alles?

Der ganze Aufwand, die Elektrofilter, Asche-Waschanlagen, Glas-Sammelstellen, das PET-Sammeln, Bierdeckeli-Aussortieren – bringt es am Ende gar nichts? Sollten wir den ganzen Recycling-Wahn lassen und uns mit den Dingen befassen, die wirklich schwer wiegen: Autofahren und Fliegen?

Ich will von einem Umweltpsychologen wissen, warum wir beim Thema Klimaschutz so ambivalent handeln. Steckt dahinter vielleicht eine Bewältigungsstrategie? Wir trennen unser Leben lang den Müll und denken deshalb, es sei okay, dass wir fliegen, Auto fahren und in Mengen Fleisch verzehren? Eine Art unbewusster Ablasshandel für Umweltsünden?

Diesen Effekt gebe es tatsächlich, sagt Marcel Hunecke von der Fachhochschule Dortmund. Er bewirke, dass wir das Gefühl haben, in einem Bereich genug getan zu haben und deshalb etwas anderes lassen können – zum Beispiel den Verzicht auf einen Langstreckenflug. In der Soziologie heisst das «moral licensing», ein moralischer Entlastungseffekt.

Aber es sei auch das Umgekehrte möglich, erklärt Hunecke. Der sogenannte Spill-over-Effekt – zu Deutsch Übertragungseffekt – bewirke, dass wir Verhaltensweisen aus einem Bereich auf einen anderen übertragen. Dass zum Beispiel jemand mit Mülltrennung beginnt und plötzlich auch sein Verhalten bei der Ernährung ändert.

Eine Person, die Zürich–New York retour fliegt, verursacht etwa so viel CO₂-Emissionen wie der Abfall von einer Person in der Schweiz über zehn Jahre.

Vor allem der Aufwand, der mit einem bestimmten Verhalten verbunden ist, sei ausschlaggebend, wie viel wir für den Klimaschutz tun. «Auf Plastiktüten im Supermarkt zu verzichten ist verhältnismässig einfach. Eine Fernreise mit Zug und Schiff zu unternehmen, ist hingegen mit einem sehr grossen Aufwand verbunden. Der Langstreckenflug ist quasi alternativlos.»

Also tun wir immer nur dort etwas, wo es am einfachsten ist? Nicht nur der Aufwand sei entscheidend, sondern auch die persönliche Betroffenheit, sagt Hunecke. «Erleben wir einen Hitzesommer, wie etwa jetzt, erzeugt das Thema Klimaschutz eine hohe Relevanzstruktur. Ist der Klimawandel nicht spürbar, bleibt das Thema abstrakt und damit fehlt eine Voraussetzung, sein Verhalten grundlegend zu ändern.»

Nach dem Besuch bei den Entsorgungsmännern, in der Verbrennungsanlage, der Glasdeponie am Hafen und nach etlichen Gedankengängen habe ich mir ein Set Tupperware aus Glas gekauft. Ich habe mir vorgenommen, die Nüsschen das nächste Mal verpackungsfrei in der Abfüllerei zu holen, die Aprikosen ohne Plastiksäckchen zu kaufen und jedes Bierdeckeli penibel ins Altmetall zu werfen.

Es ist nur ein kleiner Beitrag fürs Klima, aber ein Anfang. Im nächsten Hitzesommer fahre ich auch mit dem Zug in die Ferien – sehr wahrscheinlich.

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