Den letzten Achtungserfolg im Kampf gegen Plastik erlangten 40 Kunden einer Tesco-Filiale im Südwesten Englands. An der Kasse schälten sie ihre Einkäufe aus den Verpackungen und steckten sie in mitgebrachte Beutel. Zurück blieben Berge von Abfall.
Die «plastic attack» war ein echter Coup: Internationale Medien berichteten und drängten Tesco zur Aussage, sich «ganz bestimmt um die Reduktion von Plastikverpackungen zu kümmern». Aktivisten planen bereits eine ähnliche Aktion in Zürich für Anfang Juni.
Vor einem Jahr: Der grosse Hype
Wer sich der Ereigniskette ähnlicher Aktionen entlang zurückhangelt, landet in Basel. Mit der «Abfüllerei» an der Güterstrasse 169 und «Basel unverpackt» am Erasmusplatz öffneten vor ziemlich genau einem Jahr gleich zwei Quartierläden ihre Türen, die sich dem verpackungsarmen Verkauf von Lebensmitteln verschrieben haben. Ziel: Den Grossverteilern und ihrer Verpackungswut auf den Schlips treten und das Bewusstsein der Konsumenten schärfen.
Die Aufmerksamkeit war den beiden Projekten gewiss. Die Crowdfunding-Aktionen zur Anschubfinanzierung schlugen ein, sämtliche lokale Medien berichteten, und in den sozialen Medien hagelte es Likes und Posts. «Zero waste» war das Thema der Stunde. «Unverpackt-Läden schiessen wie Pilze aus dem Boden», hiess es etwa bei Telebasel.
Doch die Aufregung war übertrieben. Wer regelmässig an «Basel unverpackt» vorbeikommt, trifft das Geschäft mit den hübschen Auslagen am Erasmusplatz häufig leer an, die Diskrepanz zwischen der Begeisterung bei der Eröffnung und realer Kundenfrequenz ist eklatant.
Ein Like macht noch keinen Sommer für die alternative Ernährungskultur.
Das schürt den Verdacht: Themen wie Lebensmittelverschwendung, «zero waste» und verpackungsarmes Einkaufen sind hip. In der Realität aber zerschellt der Boom an den harten Brocken Routine und Bequemlichkeit. Oder anders gesagt: Ein Like macht noch keinen Sommer für die alternative Ernährungs- und Einkaufskultur.
Ivo Sprunger hat zusammen mit Simone Häberle die «Abfüllerei» gegründet. Er bestätigt den Verdacht, sagt aber auch: «Ich bin realistisch genug, nicht hinter jedem Online-Post einen realen Käufer zu vermuten.» Die grosse Resonanz in den sozialen Medien sei nach der Eröffnung abgeflacht, habe aber einen soliden Kern von Stammkunden gebracht. Wie viele das sind, mag Sprunger nicht sagen.
Nathalie Reinau hat mit sechs weiteren Beteiligten die Genossenschaft «Basel unverpackt» ins Leben gerufen. Sie sagt: «Der Hype war vor allem am Anfang gross, unter der Woche haben wir aber manchmal bis zum Mittag keine Kunden.» Sie sagt aber auch: «Unsere Kunden sind keine Gelegenheitseinkäufer, sie kommen einmal in der Woche und erledigen dann gleich ihren Wocheneinkauf. Dann gibts schon auch mal eine Schlange an der Kasse.»
An solchen Tagen erreicht «Basel unverpackt» einen Umsatz im tiefen vierstelligen Bereich, das reicht gut für die Miete und die weiteren Auslagen. Entlöhnen lässt sich das Team – das sind nach wie vor die Initianten selbst – nur sehr bescheiden. Rund 30 Genossenschafter zahlen zudem 200 Franken pro Anteilsschein und Jahr, im Gegenzug dürfen sie mitbestimmen, zum Beispiel bei der thematischen Auswahl der Workshops.
Beim Schweizerischen Verein gegen Lebensmittelverschwendung kennt man das Problem: «Dass beim Einkaufen zu viel Plastik verbraucht wird und Foodwaste ökologischer Unsinn ist, das ist mittlerweile breiter Konsens in der Gesellschaft», sagt Vereinspräsident Claudio Beretta. Doch Wissen und Handeln seien eben nicht deckungsgleich. So blieben viele bei ihren Gewohnheiten mit der Haltung: «Verschwendung von Lebensmitteln ist schlecht, doch bei mir fällt nichts an.»
Zugleich weist Beretta darauf hin, dass explizit verpackungsfreie Läden in Schweizer Städten erst vor zwei, drei Jahren flächendeckend lanciert wurden. Die Bewusstseinsbildung brauche Zeit, Einkaufsgewohnheiten änderten sich langsam.
Immerhin: Der Verein Foodwaste.ch stellt ein gesteigertes Interesse am Thema fest, sei es in Form von Anfragen für Referate oder durch vermehrten Zugriff auf die Website.
Erfolgsbedingt: Verfrühter Ladenschluss bei der «Äss-Bar»
Zwei Basler Läden mit alternativen Konsumkonzepten boomen tatsächlich. Neben dem «Backwaren Outlet» an der Güterstrasse verkauft auch die «Äss-Bar» in der Spalenvorstadt seit Mai letzten Jahres Backwaren von gestern zum halben Preis. Mit Erfolg: «Wir sind oft bereits vor Ladenschluss ausverkauft und müssen früher schliessen», sagt Regina Albiez, Geschäftsführerin der «Äss-Bar». Zurzeit kooperiert die «Äss-Bar» mit vier Bäckereien, mit weiteren laufen Gespräche.
Man kann die beiden Konzepte nicht gegeneinander ausspielen. Trotzdem scheint es, dass preisgünstige Esswaren «to go» bei der Kundschaft auf mehr Anklang stossen, als verpackungsfreie Lebensmittel, für die man einmal in der Woche ein Set Tupperware an den Erasmusplatz oder ins Gundeli tragen muss. Alles eine Frage des Preises also?
«Wir kennen den Vorwurf, ein gut situiertes Publikum anzusprechen, das Zeit und Geld für den Einkauf hat», sagt Reinau. «Aber das stimmt nur bedingt. Viele Grundnahrungsmittel sind bei uns nicht teurer als vergleichbare Produkte in der Migros. Baumnüsse zum Beispiel. Oder getrocknete Aprikosen.» Nur Zeit müsse man halt investieren. «Dafür stehen bei uns Blumen auf der Theke.»
Für einzelne Produkte nutzen «Abfüllerei» und «Basel unverpackt» Synergien bei der Bestellung. Damit werde dem Vorwurf, beim Transport nicht umweltschonend zu sein, etwas Wind aus den Segeln genommen, sagt Reinau. Und weiter: «Die Zusammenarbeit läuft gut, wir sehen uns nicht als Konkurrenten.»
Grossverteiler hören die Signale
Im Gespräch mit beiden Eignern fällt ein Wort besonders oft: Entwicklung. Noch sei nichts gegessen, das Potenzial noch nicht ausgeschöpft. «Basel unverpackt» lud am 7. April anlässlich des ersten Jahrestages zu einem Apéro. Der Laden hofft auf mehr Resonanz im Quartier.
Geht es nach Claudio Beretta von Foodwaste.ch, so haben die Unverpackt-Läden ohnehin nur temporär ihre Berechtigung: «Im Idealfall brauchen wir die Verpackungsfrei-Läden dereinst nicht mehr. Sie sollen als Leuchtturm-Projekte vorangehen. Gut wäre natürlich, wenn die Grossverteiler sich dem Prinzip anpassen würden.»
Diese hören die Signale: Nachdem Coop und Migros eine Gebühr auf die Raschelsäckchen eingeführt hatten, lancierte Coop im November 2017 zudem wiederverwendbare Gemüsebeutel.