Eine Studentin kämpft um ihre Wohnung, ein Pensionär ist auf der Suche, und ein Romantiker aus Langenthal mixt hier noble Cocktails. Sie alle nehmen den Wandel in ihrem Quartier wahr – aber alle etwas anders. Wir haben ihnen zugehört.
«Stoppt Ghettoisierung», steht auf einem Transparent an der Hochstrasse 6. Etwa 100 Meter weiter prangt ein Schild mit Umbauplänen an der Hausfassade. Eine Querstrasse weiter wird ebenfalls gebaut. Dazu kommen Hausverkäufe und Mieterwechsel à gogo (die TagesWoche berichtete).
Das Gundeli ist im Umbruch. Wir haben fünf Gundelianer befragt, wie sie die Veränderungen im Quartier erleben.
Die Studentin, die aus ihrer Wohnung muss
WG-Bewohnerin Anna Oechslin. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Fünf Namen stehen auf dem Klingelschild, im Treppenhaus stapeln sich Schuhe. Im Haus an der Pfeffingerstrasse, Ecke Hochstrasse, wohnen Studenten, Kulturschaffende, Lebenskünstler.
Eine davon ist Anna Oechslin. Die 27-Jährige studiert Medienwissenschaften und Kulturanthropologie. Daneben legt sie als DJ in Basler Clubs auf. 2011 kam sie für das Studium aus Einsiedeln nach Basel. Seit drei Jahren wohnt sie in der Pfeffingerstrasse in einer WG.
«Hier fühle ich mich sehr gut aufgehoben», sagt Oechslin. Zwar gebe es manchmal Konflikte im Haus. Aber die würden sich wieder legen, schiebt sie nach.
Im Dezember erhielt die Studentin die Kündigung für ihre Wohnung. Sie ist nicht die einzige: Allen 100 Mieterinnen und Mietern, die in der Häuserzeile wohnen, wurde gekündigt. Die Zürcher Anlagestiftung Turidomus reisst die Häuser ab und baut einen modernen Wohnblock an diese Stelle. Die neuen Wohnungen werden ein Vielfaches davon kosten, was die Mieterinnen und Mieter heute zahlen.
Gutverdienende würden regelrecht aus der Stadt vertrieben. «Wenn diese Leute gehen, können wir die Stadt irgendwann nicht mehr finanzieren.» Deshalb sei es wichtig, auch Wohnraum im oberen Segment anzubieten. So käme auch eine bessere Durchmischung der verschiedenen Schichten zustande.
«Wenn ein Lebewesen aufhört, sich zu erneuern, dann stirbt es.» Viele Häuser im Gundeli würden nun in ein Alter kommen, in dem sie erneuert oder gleich neu gebaut werden müssten. «Die Stadt muss sich erneuern, sonst zersetzt sie sich selbst.»
Schmid versteht zwar, dass die Studenten dort für ihre Bleibe kämpfen – «das würde ich auch tun, wenn ich dort wohnen würde». Er sehe aber vielmehr das Gesamtinteresse der Stadt. Und aus diesem Blickwinkel seien diejenigen, die diesen Kreislauf blockieren, die eigentlichen Verursacher für fehlenden günstigen Wohnraum.
Die Zugezogene, die mit ihrem Hund im Katzenheim wohnt
Als Amita Barnish zum ersten Mal in dem Eckhaus war, sah sie kaum aus den Fenstern. Überall standen Käfige mit Katzen. Das Haus, das sie besichtigte, war das Gundeldinger Katzenheim. «I loved it», sagt die Engländerin.
Sie kaufte das Haus mit drei Stockwerken und etwa 250 Quadratmetern. Das war 2013. Die «cat people» durften noch etwas im Haus bleiben, bis sie an ihre neue Bleibe in Muttenz umzogen.
Barnish begann, das Haus zu renovieren. Die Renovation dauerte länger als geplant, also zog die 48-Jährige bereits ein, als im Haus noch gebaut wurde. Das sei normal für sie, in einem Haus zu wohnen, das nicht fertig ist. «Ich renoviere Schritt für Schritt.»
Zurzeit wohnt Barnish mit zwei Freundinnen in einer Art Expat-WG. Eine arbeitet bei Roche, die andere bei Syngenta, wo Barnish einige Jahre tätig war. Nun arbeitet sie bei einem mittelgrossen Pharmazie-Unternehmen in Reinach. «Ich habe es gerne, immer Freunde um mich zu haben.»
Aufgewachsen ist Dill in Langenthal. Dort absolvierte er eine Lehre zum Buchhändler und war später als Geschäftsführer tätig. Danach arbeitete Dill als Gefängniswärter und Unternehmensentwickler und absolvierte eine Ausbildung zum Masseur. Aktuell lässt er sich zum Naturheilpraktiker ausbilden und arbeitet teilzeit hinter der Bar.
Vor drei Jahren zog Dill in die Stadt – «auch wenn das jetzt doof klingt: Es war der grossen Liebe wegen». Er wohnte auf dem Bruderholz und aktuell im St. Johann.
Im «Tellplatz 3» ist er als «Geschichtenerzähler» angestellt – so steht seine Job-Beschreibung im Arbeitsvertrag. Dill macht dieser Bezeichnung alle Ehre. Er läuft von Tisch zu Tisch, navigiert die Gäste durch die Karte und weiss zu jedem Käse, jeder Wurst eine Geschichte zu erzählen.
Der Coiffeur, der aufs Land flüchtete
Metin Ulucan sitzt in der fünf Quadratmeter grossen Abstellkammer seines Coiffeurladens beim Mittagessen. Der 43-Jährige mit türkischen Wurzeln schneidet seit 13 Jahren Haare – an zentralster Lage am Tellplatz, dem Dreh- und Angelpunkt des Quartiers.
Er selbst wohnt nicht mehr im Gundeli. Er habe hier gelebt, als er 2001 in die Schweiz kam. Aber nur für kurze Zeit. Dann haben er und seine Frau in Möhlin ein Haus gebaut. «Dort ist es schön ruhig.» Für die Kinder sei es besser, auf dem Land aufzuwachsen. «Auch die Schulen sind besser – richtig streng.»
Seinen Coiffeurladen übernahm Ulucan in der vierten Hand. Sprich: Vor 80 Jahren habe ein Italiener den Laden gegründet, danach übernahmen ein Schweizer, eine Türkin und jetzt er.
«Das Quartier befindet sich im Aufwind – wie das Kleinbasel vor einigen Jahren.»
Er sei sehr glücklich im Gundeli. «Hier ist Multikulti.» Aber die Konkurrenz wachse. An jeder Ecke gehe hier ein Coiffeursalon auf. «Das bedeutet für mich: weniger Kunden, weniger Geld.»
Die alte Stammkundschaft von Ulucan sei bereits gestorben. Jetzt würden neue Leute kommen, auch viele junge. «Das Quartier befindet sich im Aufwind», sagt Ulucan. «Wie das Kleinbasel vor einigen Jahren.»
Sein Lieblingsort im Gundeli, das sei die neu eröffnete Kneipe am Tellplatz 3. Dort gehe er ab und zu einen Kaffee trinken. «Die Besitzerin lacht immer, wenn Kunden kommen. Der Laden ist tiptop.»